Strengstens verboten: Von Osten aus die Berliner Mauer abzulichten, das war in der DDR nur den Grenztruppen erlaubt. Die Soldaten dokumentierten 1966 den schlechten Zustand der innerstädtischen Grenze, entwickelten die Filme - und vergaßen diese. Dieser Schatz wird nun zum 50. Jahrestag des Mauerbaus in einer Ausstellung verarbeitet. Jeder kennt Bilder der Mauer, die - funktional, banal, brutal - Berlin durchschnitt. Sie zeigen meist ein glattes, graues Betonband mit einem Rohraufsatz. Aber so sah die Mauer erst in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aus. Eine großartige Berliner Ausstellung in den ehemaligen Räumen der italienischen Botschaft präsentiert nun eine bislang unbekannte Sicht auf die unüberwindbare Grenze, sie zeigt die Binnensicht der Grenztruppen im Jahr 1966. Berliner Mauer am Potsdamer Bahnhof / Stresemannstraße. Text: Stephanie Drees/SZ vom 11.08.2011
Zu erfahren ist der Mauerstreifen aus einer ungewohnten Perspektive: der Potsdamer Platz auf einem breiten Panorama, eine karge, weite Fläche, im Hintergrund ein Stacheldrahtzaun, eiserne Warnkreuze auf der anderen Seite. Und im Vordergrund, ganz rechts: der Rücken eines Fotografen, jung, uniformiert, zwischen den Händen klemmt die Kamera, zwischen zwei Fingern ein Zigarettenstummel. Das Bild des Grenzsoldaten...
...ist symptomatisch für die Ausstellung. Es steht für die Dokumentation der Dokumentation. Die Linse des Fotografen ist auf den Wachturm der Grenzanlage gerichtet, der mit seinem Bretterverschlag wie ein marodes Jägerdomizil anmutet. Die Beamten sollten den Zustand des sogenannten "antifaschistischen Schutzwalls" ablichten und nicht den Kollegen bei der Arbeit. Entstanden sind solche Momentaufnahmen trotzdem. Gemeinsam haben die Bilder eine beklemmende Mischung aus panoramatischer Schönheit...
...und militärischer Brutalität. Der Blick geht stets von Osten nach Westen. Fotografiert wurden die 43,7 Kilometer der innerstädtischen Mauer von den Grenztruppen der DDR, um den baulichen Zustand der "pioniertechnischen Anlage"... Das wunde Zwischenland der innerdeutschen Grenze in Berlin ist ein Ort der Geschichte, an dem sich Tausende Episoden bündeln. Es gab Fluchtversuche, Flirts und Beschimpfungen, die von den DDR-Grenztruppen penibel dokumentiert wurden. An der Clara-Zetkin-Straße / Ebertstraße (im Bild) rief ein Westberliner Polizist um 9.00 Uhr beispielsweise die Frage herüber: "Ist es bei euch auch so kalt wie bei uns?"
...zu dokumentieren. Die Mauer war damals weniger Wall als löchriger Maschendrahtzaun, Stacheldraht, eine provisorische Aufschichtung von Ziegelsteinen und manchmal einfachen Brettern. Es ist der Rohbau des Monströsen.
Der Fotograf Arwed Messmer und die Autorin Annett Gröschner entdeckten in den neunziger Jahren während Recherchen im Militärischen Zwischenarchiv einen Pappkarton mit Negativen: akribischen Aufnahmen der Mauer. Bis zur Revolution von 1989 waren sie streng geheim. Für die Ausstellung hat Arwed Messmer die oft amateurhaften Aufnahmen bearbeitet und die rund 1500 Einzelnegative zu 340 Panoramen von insgesamt 250 Metern Länge zusammengesetzt. So entsteht ein ungewohntes, eindrückliches Bild der innerdeutschen Grenze. Sie gleicht einem wunden Zwischenland. Brandenburger Tor [21.45 Uhr]: Zwei Männer, circa 30 Jahre alt, rufen dem Posten zu: "Wenn du rüberkommst, reiß vorher die Fahne vom Brandenburger Tor und bring sie mit."
Es ist ein Ort der Geschichte, an dem sich Tausende Episoden bündeln: Von Fluchtversuchen, Flirts und Beschimpfungen zeugen die Bildunterschriften und Texte, die Annett Gröschner aus den Akten destilliert hat. "Kommt doch rüber, wir haben schöne Frauen für euch. Einen Wagen bekommt ihr auch. Ob nun jetzt oder später, wir kriegen euch sowieso!", heißt es etwa im Zuruf eines Westberliners an die Truppen. Friedrichstraße / Checkpoint Charlie [15.12 Uhr]: Ein US-Soldat hält von der Checkpointbaracke aus ein circa 25 x 30 cm großes Aktfoto hoch.
Wie die Fotos wandeln auch die Texte an der Grenze zwischen historischer Dokumentation und künstlerischer Verdichtung. Ein Zwischenland, das sich zu betreten lohnt. Aus anderer Sicht. Die frühe Berliner Mauer. Unter den Linden 40; bis zum 3.10. Das Begleitbuch aus dem Hatje Cantz Verlag erscheint am 13.8. zum Preis von 49,80 Euro. Eberswalder Straße / Schwedter Straße [22.15 Uhr]: Ein Mann ruft durch ein Megaphon: "Keine Kohlen im Keller, keine Eier im Sack, das ist euer 20. Jahrestag."