Die Band "The Strokes" in Berlin:Auf der Achtelspur

Nach mehr als einem Jahrzehnt Pause geben "The Strokes" ein Konzert in Berlin. Sie spielen so furios wie immer - mit einem Ausblick auf die Spätphase ihres Schaffens, die gerade beginnt.

Von Andrian Kreye

"The Strokes" Konzert in Berlin

Die Strokes mit (von links) Fabrizio Moretti, Nikolai Fraiture, Nick Valensi (verdeckt), Albert Hammond Jr. (von hinten) und Julian Casablancas.

(Foto: Christophe Gateau/dpa)

Anfang der Nullerjahre waren The Strokes die beste Liveband von New York. Und weil die Stadt damals noch der Nabel der westlichen Welt war, hatte das für die Rockmusik Allgemeingültigkeitsanspruch. Die gute Nachricht also zuerst. Sie sind es immer noch.

Am vergangenen Freitag erzeugten Albert Hammond Jr. und Nick Valensi in der Berliner Columbiahalle von der ersten Sekunde der Eröffnungsnummer "Heart in a Cage" an die explosionsartige Wirkung ihrer Gitarrensoundwände aus parallelen Einzelnoten und Mikro-Riffs im Achteltempo, mit der sie seit mehr als zwanzig Jahren Hallen in Glückszustände und die Zuschauer in Moshpit-Ekstasen versetzen. Fabrizio Moretti und Nikolai Fraiture untermauern das als Rhythmusgruppe mit Stahlbeton-Qualitäten. Wenn Fraiture in die Achtelspuren der beiden Gitarristen einschert, entwickelt der Schub der Band in einer Halle (und nur vor Ort in einer Halle) eine Kraft, die unerreichbar bleibt. Da spielt es auch keine Rolle, dass Julian Casablancas weder seine Stimme noch sein Selbstbewusstsein so richtig im Griff hat.

Die Strokes sind wieder zusammen. Oder immer noch? So genau lässt sich das nicht sagen

Die Strokes sind also wieder zusammen. Oder immer noch? Mal wieder? So genau lässt sich das nicht sagen. Die Band nahm das zwischen Soloprojekten, Unstimmigkeiten und Formtiefs nie so genau. Schon gar nicht Casablancas, der das Erbe der von Außenstehenden oft als etwas abweisend empfundenen New Yorker Warhol-Downtown-Coolness mit dem genialischen Gestus verwaltet, er hätte eigentlich was Besseres zu tun, als hier seinen Job zu machen, aber wenn es denn unbedingt sein muss. Was nur funktioniert, weil die Band sich zwar ebenfalls jedweder überflüssigen Regung verweigert, aber dabei eben trotzdem einen musikalischen Überdruck erzeugt, der sich im Publikum zwangsläufig entladen muss.

Casblancas ruft dabei die gesamte Gestensprachengeschichte des späten 20. Jahrhunderts ab. James Dean, Patti Smith, Iggy Pop, Richard Hell. Stimmlich bewegt er sich immer noch zwischen Scott Walker, Jim Morrison und vor allem Alan Vega. Wobei die Zeiten längst vorbei sind, als man The Strokes und ihre Nachgänger philologisch auseinandernahm, um Takt für Takt nachzuweisen, wo Velvet Underground und wo Television  durchblitzen.

Für die Rockmusik war das Debütalbum der Strokes "This Is It" 2001 so etwas wie "Das Ende der Geschichte". Was ja dann (wie auch in der Zeitgeschichte) weniger zur wohligen Stagnation als vielmehr in ein Aufsplittern der Weltläufte führte. Die Strokes waren für ihre Zeit eine der ersten Bands, die noch einmal bewiesen, dass es im Rock weniger auf Ideen und Innovation als auf Haltung, Energie und Stilbewusstsein ankommt. Weil sie das mit Sinn für Zitat und Geschichte taten, waren sie von Anfang an die Lieblingsband der Hochschulgebildeten. Das versperrte ihnen zwar den Weg in die Single-Charts. Aber immerhin hatten sie die serienmessianischen Zyklen des Rock mit den regelmäßigen Für-tot-Erklärungen und Wiederauferstehungen zu ihrem Zeitpunkt wieder zum Laufen gebracht. Ähnlich wie der Hardrock mit den Heucheleien der Hippies, der Punk mit dem Bombast des Progrock und Grunge mit der Elektrolähmung der Achtzigerjahre aufgeräumt hatten, erinnerten die Strokes 2001 daran, um was es in der Rockmusik eigentlich geht.

Pophistorisch war das die Zeit, als sich das Erbe von Radiohead mit ihren Dauerdepressionen und von U2 mit ihrem ganzen katholizistischen Orgelpunktbass-Arpeggioflirren-Crescendo-Pathos als Blaupause durchgesetzt und sich Coldplay gerade als ihre rückgratlosen Schnulzenfolger etabliert hatten. Was konnte da Besseres passieren, als eine New Yorker Band mit konsequenter Verweigerungshaltung und einem Musikverständnis, das an die wahren Wurzeln des Rock zurückreichte, nämlich zu Bo Diddley, der früh vorgeführt hatte, dass man gar keine drei Akkorde braucht, um einen grandiosen Song zu schreiben. Es reicht schon einer, es kommt nur darauf an, wie man den spielt.

Aber auch mit Nostalgie ist den Strokes nicht richtig beizukommen. Zumindest in ihrer Heimat war das Durchbruchsjahr 2001 ein richtiges - um die Bürgerschaft der Stadt New York so ziemlich geschlossen zu zitieren - Scheißjahr. Gleich zu Beginn hatte Präsident George W. Bush sein Amt angetreten, das er sich mit dem Wahlraub von 2000 gesichert hatte. Die Anschläge des 11. September stürzten die Welt in Schockstarre und brachten Dinge in Gang, die die Welt bis heute beschäftigen (Gründung des US-Ministeriums für Heimatschutz, Erlass des "Patriot Acts", Beginn des Afghanistankrieges). Im November gewann dann der Salonrassist und Milliardär Michael Bloomberg die New Yorker Bürgermeisterwahlen, der die Stadt in den folgenden Jahren den Immobilien- und Finanzindustrien zum Fraß vorwerfen sollte. Die Schwierigkeit, die frühen Nullerjahre zu nostalgisieren, machen die Rückkehr der Strokes gerade deswegen zu einem umso größeren Glück, weil jeder seine eigene, sehr persönlichere Geschichte mit ihnen hat und die eigenen Glücksgefühle meist wenig mit zeitgeschichtlichen Entwicklungen zu tun haben. Sicher kein Zufall, dass sie zum ersten Mal seit 14 Jahren in Berlin dort wieder auftreten, wo sie schon vor 18 Jahren zum ersten Mal spielten. Eine größere Halle hätten sie schon vollgekriegt. Auf den regulären Verkaufsportalen waren die Karten innerhalb von Sekunden weg.

Ohne den Ballast kulturgeschichtlicher Bedeutung funktioniert aber auch der Weg in die Gegenwart viel besser. Auch kein Zufall war sicher, dass sie fast ausschließlich Songs ihrer ersten drei Alben spielten, die sie zwischen 2001 und 2006 veröffentlicht hatten. Die Alben, auf denen sie ihren Minimalismus perfektionierten. Da fehlten dann in der Columbiahalle die Electronics, mit denen sie eh nicht so gut umgehen können, die Genre-Spiele. Sie hatten ja nicht einmal Wechselinstrumente dabei, was für Gitarristen fast schon einem Manifest gleichkommt.

Zwei neue Stücke hatten sie im Programm. Abseits der Feier ihrer selbst und der Jugend ihrer Fans treten die Strokes derzeit in die Spätphase ihrer Existenz, auch wenn ihnen die Skinny Jeans immer noch gut stehen. In den USA spielen sie gutbürgerlich im Wahlkampf des Linksdemokraten Bernie Sanders. Das neue Album "The New Abnormal", das am 10. April erscheinen soll, wurde von Rick Rubin produziert, der Instanz für Spätwerke mit Potenzial für Neuanfänge (Johnny Cash, Neil Diamond, Metallica, Eminem). Und für die Rock and Roll Hall of Fame können sie sich in vier Jahren auch schon bewerben.

"The Adults are talking" klang dann in Berlin wie klassische, etwas melancholischere Strokes. Ähnlich wie die abgebremste Variation von Billy Idols "Dancing with myself" mit dem Titel "Bad Decisions" (der auf dem Album auch als Mitkomponist genannt wird). Mit der ersten Single "At the Door" schließen sie dagegen sehr getragen den Kreis zu Alan Vegas Suicide. Nein, die Zukunft des Rock and Roll hatte in Berlin vielleicht niemand gesehen. Aber die Gegenwart. Und die ist durchaus so lebendig und fantastisch wie die Vergangenheit.

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