In der vergangenen Woche spielte der große Geiger Frank Peter Zimmermann erstmals in München auf einer Guarneri del Gesù, souverän, begeisternd (siehe unten). Und doch war es ein nicht nur in Nuancen anderer Eindruck als sonst. Der Grund: Es ist gerade mal zwei Monate her, da musste er seine heiß geliebte Violine zurückgeben. Antonio Stradivari (1644 oder 48 -1737) hatte sie 1711 gebaut. Sie gehörte nach dem Zweiten Weltkrieg eine Weile der irischen Lady Inchiquin, deren Namen das Instrument heute trägt. Zimmermann hatte seit 2002 auf ihr gespielt. Die Geige war ihm als Leihgabe von der WestLB zur Verfügung gestellt worden. Im Zuge der Abwicklung der West LB durch die Servicegesellschaft Portigon musste auch diese Violine in die Veräußerungsmasse. Zwar hatte Zimmermann fünf Millionen als Kaufpreis geboten, doch der Finanzverwalter wollte mehr. So kam es, dass eine der berühmtesten Verbindungen zwischen einem Musiker und seinem Instrument unter großer öffentlicher Kritik getrennt wurde.
Zimmermann hat mehrfach betont, dass diese Violine jene sei, nach der er lebenslang gesucht habe. Und er habe mehrere Jahre gebraucht, um ihre Geheimnisse zu ergründen. "Es gibt keine andere Geige, die solch wundervollen Farbreichtum hat und solche Süße." Zimmermann hat gesagt, dass er auf der "Lady Inchiquin" Dinge riskieren könne, die bei anderen Stradivaris, die er gespielt hat, nicht möglich gewesen wären. Die "Lady Inchiquin" setzte seiner Klangvorstellungskraft keine Grenzen, sondern forderte sie immer noch weiter heraus. Dabei hat der Künstler, wie gesagt, schon seit seinen Wunderkindtagen das Privileg erspielt, auf verschiedenen Stradivarigeigen musizieren zu können.
Die "Lady Inchiquin" ist nun weg, deswegen kam der Virtuose mit einer Guarneri nach München
Aber der Satz von der Suche nach dem adäquaten Instrument hat seine Berechtigung, denn so wie die Topspieler grundverschieden sind nach Talent, Tonvorstellung, Temperament, Klangfantasie, Phrasierungsintelligenz, virtuoser Potenz und anderem mehr, lassen sich auch die Spitzengeigen nach Kategorien wie Klangfarbe, Toncharakter, Tragfähigkeit, Ansprache und anderen Kriterien mehr unterscheiden. Kurz, keine Stradivari gleicht der anderen, obwohl sie alle nach den Prinzipien des Meisters gebaut sind. Schließlich sind alle Bestandteile jeweils individuell von den Rohhölzern bis zu deren dementsprechender Verarbeitung.
Dass daher Instrumente anderer Baumeister auch anders klingen, liegt auf der Hand. Das berühmteste Geigenbaugenie neben Stradivari war Giuseppe Guarneri (1698-1744), der den Beinamen "del Gesù" trägt. Er gilt als der bedeutendste aus einer auch sonst großen Geigenbauerdynastie. Wenn Zimmermann nun zu einer Guarneri gegriffen hat, dann kommt das in gewisser Weise einem Paradigmenwechsel gleich. Er war bisher ein ausgesprochener Stradivari-Spieler. Diese Geigen, vor allem die nach 1700, klingen trotz der Individualunterschiede in allen Registern charakteristisch und doch ausgeglichen, brillant, tonschön und harmonisch. Übrigens sehen sie auch so aus, denn Stradivari war ein akribischer Perfektionist.
Guarneri, der fünfzig Jahre nach Stradivari geboren und nur halb so alt wie jener wurde, hatte seine beste Phase nach 1734. Vor allem die Violinen aus seinen späten Jahren gelten in jeder Hinsicht als individuell höchst eigentümlich, manchmal ist dabei die Verarbeitung nicht ganz so perfekt wie bei Stradivari, was aber nicht die Klangqualitäten beeinträchtigt. Niccolò Paganini, der Geiger aller Geiger, und Ole Bull, der erste wirkliche Geigenweltstar, waren Guarneri-Fans. Paganini nannte seine Lieblingsvioline, die heute im Rathaus zu Genua aufbewahrt wird, wegen ihrer klanglichen Durchschlagskraft "Il Canone". Auch Ole Bulls Guarneri, die nun seinen Namen trägt, zeichnet sich durch großes Tonvolumen und eine enorme Vielfalt an dunklen Farben und eine Art grundmelancholischen Charakters aus.
Als Frank Peter Zimmermann nun in München das Violinkonzert von Johannes Brahms auf einer Guarneri spielte, konnte man zuerst natürlich die Meisterschaft und den unverwechselbaren Ton Zimmermanns wahrnehmen, aber in gewissermaßen anderem Licht. Statt der Süße und dem sich unter seinen Händen so selbstverständlich frei aufschwingenden Klang der "Lady Inchquin" klang die Guarneri nun im besten Sinne angriffslustiger, bissiger, in der Tiefe erdiger, ja, grimmiger und in der Höhe brennender in der Intensität. Wohlgemerkt, jahrelang hat der Geiger die Facetten seiner Stradivari erforscht. Insofern ist der jetzige Eindruck auf dieser Guarneri natürlich nur vorläufig. Angenommen, er würde das Instrument längere Zeit erkunden, dann würden sich gewiss noch weitere Nuancen auftun.
Außerdem zeigte sich, wie lächerlich die Annahme ist, ein Spieler sei nur so gut wie seine Violine. Selbstverständlich könnte Zimmermann auch auf einer Zigarrenkiste fesseln und beeindrucken. Tatsächlich setzt ein Virtuose seines Ranges immer die eigenen Klangvorstellungen und Artikulationsabsichten durch, ganz abgesehen davon, dass der nur diesem Geiger gehörende Ton auf jedem Instrument erscheinen wird. Gerade deshalb lässt sich ahnen, was es bedeutet, wenn ein solcher Musiker auf ein Instrument trifft, das seine Phantasie beflügelt, dessen Möglichkeiten an Klangfärbungen, dynamischen Extremen, dessen Sprechfähigkeit seine ureigenen Wünsche nach Mitteilung und Übertragung auf ein Publikum im Sinne der Musik erfüllen kann. Vielleicht kann daher eine Guarneri ganz andere Ecken in der Klangfantasie des Frank Peter Zimmermann gleichsam ausleuchten.