Süddeutsche Zeitung

"Die Ärzte"-Frontmann Farin Urlaub:"Es ist alles gesagt"

Rechte Gewalt macht Farin Urlaub wütend. So sehr, dass er gar nicht mehr sachlich argumentieren könne, sagt er. Der "Ärzte"-Frontmann über "Schrei nach Liebe", die politische Kraft von Musik und Helene Fischer.

Von Anne Kostrzewa

Ärzte-Frontmann Farin Urlaub lebt in zwei Welten: auf der Bühne und hinter der Linse seiner Spiegelreflex. Gerade erschien sein Bildband "Afrika", für den er monatelang den Kontinent bereiste. Am Freitag (18.9.) kam mit "Danger" die neue Live-DVD seines Racing Teams in die Läden.

Süddeutsche.de: Stimmt es, dass Sie sich mit zwei Litern Wasser komplett waschen können?

Farin Urlaub: Mir reicht sogar ein Viertelliter. Also ohne Haare waschen, aber die sind bei mir auf Reisen auch ganz kurz geschnitten.

Wenn Sie Ihre Standards so herunterschrauben können, was bedeutet dann für Sie Luxus?

Meine Reisen sind für mich der totale Luxus, da muss ich mich nicht noch extra belohnen. Diese Zeit zu haben, für mich, für das Land, für die Menschen.

Waren Sie immer schon so genügsam?

Ich bin gar kein genügsamer Mensch - nicht dass jetzt der Eindruck entsteht, ich wäre Wunder wie bescheiden. Aber auf Reisen ist so ein Überfluss an Reizen da. Da muss ich dann nicht noch den neusten und besten MP3-Player dabei haben. Das Schönste ist, wenn ich mein Dachzelt aufklappen kann. Das heißt, die Umgebung ist sicher genug, ich muss nichts befürchten. Wenn nur eine kleine Stoffhaut zwischen mir und der Nacht ist, ist das schon richtig toll.

Klingt, als würde Ihnen Einsamkeit wenig ausmachen.

Natürlich ist es schön, wenn man jemanden hat, mit dem man die Erlebnisse teilen kann. Aber dieser andere Mensch hat ja dann auch Bedürfnisse, auf die man Rücksicht nehmen muss. Das bedeutet immer einen Kompromiss.

Durch Afrika sind Sie einen Teil der Strecke mit Ihrer Schwester gereist. War das auch ein Kompromiss?

Meine Schwester ist ein perfekter Reisepartner. Unsere Vorstellungen decken sich ziemlich genau. Es ist zum Beispiel nicht so, dass sie immer Angst hat und ich dann denke: Ist doch total sicher. Eigentlich ist es genau umgekehrt, sie ist völlig furchtlos. (lacht)

Sie waren auch schon in Gebieten unterwegs, in die man momentan nur schwer reisen könnte, weil dort Krieg und Terror herrschen. Was fühlen Sie, wenn Sie lesen, dass hier in Deutschland Flüchtlinge angepöbelt werden, die aus diesen Ländern kommen? Dass Unterkünfte brennen, in denen Menschen wohnen, die Sie in ihren Heimatländern besucht haben?

Da steigt in mir dermaßen viel Zorn auf, dass ich zu diesem Thema gar nicht mehr sachlich argumentieren kann.

Im halleschen Stadtmagazin Frizz haben Sie sich zu Rassismus geäußert.

... und an meiner Einstellung hat sich seitdem nichts geändert.

Sie sagten: "Solange es Leute gibt, die nichts können, nichts wissen und nichts geleistet haben, wird es auch Rassismus geben." Haben Sie damit gerechnet, dass Sie damit so eine Resonanz erzeugen würde?

Nein. Das geht aber auch weitgehend an mir vorbei, weil ich nicht ständig in den Sozialen Medien unterwegs bin. Aber man hat mir erzählt, dass es eine ziemliche Welle gab. Das war die klassische Abwehrhaltung. Man hat mir jegliche Kompetenz zum Beurteilen der Situation abgesprochen. Weil ich ja recht haben könnte. So nach dem Motto: Der ist ja eh doof, der hat Geld und weiß gar nicht, was wir hier durchmachen. Ich weiß, was die Flüchtlinge durchmachen. Und das ist so viel wichtiger, als das, was ihr meint, das euch weggenommen wird. Pack!

Was heute in Deutschland passiert, erinnert an die frühen Neunzigerjahre. Damals brannten Heime in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda und Sie haben mit Die Ärzte "Schrei nach Liebe" aufgenommen ...

Das Lied hat offenbar nichts an Aktualität eingebüßt. Schlimmerweise.

Glauben Sie, dass Musik gesellschaftlich oder politisch etwas bewirken kann?

Die Antwort wäre ja dann offensichtlich Nein. (überlegt) Sagen wir so: Sie könnte ein "Rallying Call" sein, also ein Identifikationsmittel für Leute, die - in Anführungsstrichen - "auf der richtigen Seite" stehen. Dass die dann sagen, sie nehmen eine gewisse Musik als Schlachtruf, um sich zu erkennen und sich abzugrenzen vom braunen Pöbel. Weil der hat ja auch seine Musik.

In den Anfangszeiten des Punks, in den Siebzigerjahren, war Musik politisch, sie hatte eine Botschaft. Was ist davon heute noch übrig?

Wir erleben gerade eine Zeit, in der alles jederzeit verfügbar und möglich ist. Dadurch hat Musik aus meiner Sicht generell ganz viel an Aktualität und Wichtigkeit eingebüßt. Die Plattenproduzenten wollen eigentlich nur noch, dass Musik ein Hintergrundgeräusch ist. Musik ist für sie ein Werbe-Vehikel und nicht mehr Transport einer echten Lebenseinstellung.

Was bedeutet das für die Musikbranche?

In einer Zeit, in der jeder Stil von jedem jederzeit durchführbar und übernehmbar und adaptierbar geworden ist, ist es vielleicht gar nicht mehr so wichtig, ob Musik eine Botschaft hat. Wir waren damals noch richtig in Stämme unterteilt: Wenn du zum Beispiel Punkrock gehört hast, hast du natürlich nicht Synthie-Pop gehört, denn das war ja quasi feindliche Musik. Heute sagen dir Amazon oder Apple, welche Musik dir gefallen könnte. Irgendetwas kommt dahergesäuselt und die Aussage ist auch gar nicht mehr wichtig. Das merkt man auch bei einigen Textern: Denen geht es nur noch darum, dass es gut klingt. Und nicht mehr darum, dass man vielleicht auch was zu sagen hat.

Das klingt sehr kulturpessimistisch. Wären Sie nicht in der Position, daran mit Ihren Texten was zu ändern?

Keine Ahnung. Das wäre wohl ein Kampf gegen Windmühlen.

Texten Sie deshalb nicht mehr so politisch wie früher?

Naja, ich habe ja schon alles gesagt. Das jetzt einfach zu wiederholen, finde ich blöd.

Sie meinen, jetzt ist die nächste Generation dran?

Ja, jetzt sollen die ihre Meinung sagen und sie sollen sie gerne auch fundiert begründen. Aber jetzt zu sagen: Oh, wir haben eine neue "Schrei-nach-Liebe-Situation" und machen einen neuen Text darüber? Nee, es ist alles gesagt. Tolstoi hat auch nur ein "Krieg und Frieden" geschrieben. Er hätte ja auch sagen können: So, jetzt das Ganze nochmal aus der Sicht von Napoleon. Hat er aber nicht, es ging ihm um etwas anderes.

Und so ist das mit Ihren Texten?

Gerade mit den politischen. Solange ich meine Meinung nicht ändere, sehe ich keine Veranlassung, neue Texte zu diesem Thema nachzulegen.

... was zur Folge hat, dass ihre Lieder mittlerweile unpolitisch neben Musikern wie Helene Fischer auf dem Oktoberfest abgefeiert werden.

Ja, das ist bizarr. Aber mein Gott, ein guter Song ist ein guter Song. Warum sollte ich mich dagegen wehren, wenn Leute zu meiner Musik feiern. Vielleicht habe ich die Texte anders gemeint, als sie interpretiert werden, aber das ist ja dann eher meine Schuld. Dann habe ich mich offenbar nicht gut genug ausgedrückt.

Was ist denn für Sie gute Musik?

Gute Musik bewirkt etwas in mir. Das kann genauso Punk sein wie Weltmusik.

Oder Helene Fischer.

Oder für viele offenbar auch Helene Fischer, ja.

Brauchen Sie bestimmte Musik für bestimmte Lebenssituationen?

Früher war das definitiv so. Heute brauche ich sie nicht mehr von außen, es ist so viel Musik in mir. Meinen Soundtrack singe ich mir quasi selber.

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