Die 78er-Generation:Intensiv unseriös

Außenseiter, Verrückte, Künstler: "Eine Stunde ihres Lebens enthält mehr Intensität als tausend Worte eines Berufsphilosophen." Die Generation der "Ausgelöschten" ist bis heute tonangebend.

H. Liebs

Um 1978 herum kamen sie alle nach New York: die Künstler Jack Goldstein, Cindy Sherman oder Robert Longo. Blondie, die Talking Heads, Patti Smith, auch die Ramones waren schon bekannt; radikalere, noch experimentellere Typen wie Lydia Lunch, die Band Suicide oder Arto Lindsay hingen auch in Manhattan ab, formierten die sogenannte "Post-Punk"- oder "No-Wave"Szene jener Zeit.

Die 78er-Generation: 1978, in New York, verschmolzen Musik und Kunst. Diese Generation der "Ausgelöschten" ist bis heute tonangebend. Ein Beispiel ist die Band Sonic Youth.

1978, in New York, verschmolzen Musik und Kunst. Diese Generation der "Ausgelöschten" ist bis heute tonangebend. Ein Beispiel ist die Band Sonic Youth.

(Foto: Foto: ap)

Thurston Moore, späteres Mitglied von Sonic Youth, trieb sich im Max's Kansas City, im Mudd Club oder im legendären Kunstverein White Columns herum. Richard Prince, Jenny Holzer, Jean-Michel Basquiat und Tony Oursler, heute allesamt berühmte Künstler, waren da, auch Martin Kippenberger stromerte damals durch Clubs und Off-Galerien. Kunststudenten und Punkmusiker - das ließ sich südlich der 14th Street kaum trennen.

Kim Gordon, ebenfalls Kunststudentin, siedelte zusammen mit dem Künstler Mike Kelley nach New York über. Thurston Moore erinnert sich: "Kim entsprang der L.A./Venice Beach/Santa Monica-Sonnenlicht-und-Sandburgen-Szene der frühen Siebziger. Mike war von dem von Trans-Love-Energie und Erdnussbutter geschmierten Ölmoloch Detroit weggetrampt." Gordon und Moore wurden ein Paar, gründeten später das Noise-Ensamble Sonic Youth; zu den ersten Konzerten kamen fast nur Künstler. Alle waren miteinander befreundet. Kelley hatte ebenfalls in einer Band gespielt, Destroy All Monsters.

Was war das für ein einzigartiger melting pot von bildenden und musizierenden Künstlern, damals, in Manhattan, in dem so unterschiedliche Helden der heutigen Kulturwelt zusammenfanden? Worin bestand ihre Gemeinsamkeit, wieso sind sie bis heute tonangebend? Immerhin hat Kelley derzeit eine beeindruckende Retrospektive seines Werks in der Münchner Sammlung Goetz eingerichtet, Sonic Youth dokumentieren ihr Crossover-Prinzip mit vielen Sammlerstücken von Künstlerfreunden gerade in der Kunsthalle Düsseldorf und veröffentlichen im Juni ihr x-tes Album, "Eternal". Richard Prince bekam kürzlich eine riesige Werkschau im New Yorker Guggenheim spendiert, und auch eine weitere wichtige Figur jener Zeit, der Konzeptkünstler Dan Graham, wird gerade in Los Angeles im Museum of Contemporary Art museal gefeiert.

Ich war Pop

Mike Kelley bündelt seine damalige Geisteshaltung so: "Ich war ein Kind der Medien . . . ich war ,Pop'. Die Welt erschien mir als Medienfassade." Ihm habe, so erzählt er, jedes Gefühl für Geschichte, für Familie, Patriotismus, für Realität gefehlt, eine Form der Entfremdung, die später als postmodern bezeichnet wurde. "Ich war Teil der ,blank generation'."

Diese ausgelöschte, leere Generation, benannt nach einem Punk-Titel von Richard Hell, entspricht in etwa dem, was der Philosoph Jean Francois Lyotard, dessen Buch "Intensitäten" 1978 erschien, als "intensive Unseriosität" bezeichnete. Deren Protagonisten waren für Lyotard "Außenseiter, experimentierende Maler, Popkünstler, Hippies und Yippies, Parasiten, Verrückte, Eingesperrte. Eine Stunde ihres Lebens enthält mehr an Intensität (und weniger an Intention) als tausend Worte eines Berufsphilosophen."

Lesen Sie weiter auf Seite 2 über das überwältigende Gefühl der Entfremdung einer ganzen Generation.

Hass auf den Mainstream

Das überwältigende Gefühl einer Entfremdung und des Hasses auf den amerikanischen Kultur-Mainstream, auf die leerlaufenden Formalismen der Spätmoderne, beförderten in der New Yorker Szene eine experimentelle Gegenkultur des aggressiven Dilettantismus, der brachialen Dissonanz als Ausdruck einer unversöhnten, ungeheilten Welt. Der Spiegel dieser Welt war New York selbst, eine kaputte Stadt am Rande der Pleite, welcher Präsident Gerald Ford 1975 die berühmten Worte "Drop Dead" zugerufen haben soll, fall' tot um - so jedenfalls zitierten ihn damals die Daily News.

Beeinflusst von prägenden Gegenkulturen des 20. Jahrhunderts, von den amerikanischen Beat-Poeten der Fünfziger, von John Cage oder von Dada und Fluxus, entwickelten Sonic Youth damals, gleichsam in einer Art Konzeptkunst-Ansatz, ihren einzigartigen Scordatura- und Feedback-Sound der achtziger und neunziger Jahre. Hinter den Lärm-Mauern, erzeugt von Schraubenziehern und Schlagzeugstöcken, mit denen die Gitarren traktiert wurden, sowie von bis zum Anschlag aufgedrehten Verstärkern, verbargen sich jedoch wunderschöne Melodien - sowie lyrics, die sich Charles Manson ("Death Valley 69") als auch der bulimischen Schlagersängerin Karen Carpenter widmen konnten ("Tunic"). Eine Band wie Nirvana ist ohne Sonic Youth nicht denkbar.

In love with Madonna

Gleichzeitig aber bekannten sich Sonic Youth früh dazu, vom Pop-Kunstgeschöpf Madonna fasziniert zu sein. Madonna, hinter deren Selbstinszenierung sich kein Kern, keine Substanz mehr zu verbergen schien, war eine perfekte Ausgeburt des Postmodernismus - und wurde gerade darum schnell zur Galionsfigur der "Ausgelöschten" aus den Kunstschulen und Proberäumen.

Die Vertreter der blank generation sogen als "leere" Empfänger die verschiedensten kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Schlüsselreize in sich auf und verleibten sie ihrem Kosmos aus anarchischem Dilettantismus und kollektivem Experiment, der Do-it-yourself- und Improvisationskultur ein.

Und so wurde auch Mike Kelley, der zusammen mit Sonic Youth auf frühen Performances aufgetreten war, zu einem der prägendsten Künstler unserer Zeit: indem er, als postmodern "Entfremdeter", der einen großen Erzählung, dem einen Stil oder der Konzentration auf eine künstlerischen Disziplin entsagte und stattdessen die vielen kleinen, abseitigen, verdrängten Mini-Mythen und untergründigen Energien und "Intensitäten" Amerikas erforschte - und in den verschiedensten Medien, in Zeichnung, Video, Performance, Installation und Malerei neu bebilderte.

Verloren

In Düsseldorf dokumentieren Sonic Youth die tausend Plateaus ihrer Gegen- und Mikro-Kulturen der frühen Jahre in zahlreichen Paraphernalia wie Flyern, Plattencovern (von Gerhard Richter stammt die Kerze auf dem Album "Daydream Nation"), Videos, Postern oder Fanzines: Die Bandmitglieder wirken hier, sehr zeitgemäß, gleichzeitig als Musiker, Kuratoren, Sammler und Künstler. Im Münchner Haus der Kunst treten sie am Donnerstag aus Anlass der dortigen Richter-Schau auf.

Mike Kelley dagegen hat sich, wie in der Sammlung Goetz zu sehen, zum Multimedia-Experten entwickelt. Der Intellektuelle hält Vorträge über Camp-Ästhetik und Cross-Dressing, produziert CDs als Soundtracks seiner Ausstellungen, arbeitet sich an Trauma-Theorien ab - und erzeugt düstere Installationen über die Schattenseiten der amerikanischen Mythen, wie sie in Hollywood produziert werden: die heile Familie und ihre Infantilität, die Absurditäten der High School, die Superhelden, das Ausgrenzen der Freaks und Lyotard'schen "Verrückten".

Die "Entfremdeten" sind jetzt allerdings allesamt in ihren Fünfzigern. Es sind mittlerweile ergraute Respektpersonen, an denen sich eine nächste Generation orientiert. An Verlorenheit könnte diese es mit den 1978-ern aber durchaus aufnehmen.

"Sensational Fix", Kunsthalle Düsseldorf, bis 10. Mai. Katalog (Buchhandlung Walther König) 24 Euro. www.kunsthalle-duesseldorf.de. "Mike Kelley", Sammlung Goetz München, bis 24. April. www.sammlung-goetz.de. Konzert Sonic Youth im Münchner Haus der Kunst, 23. April (ausverkauft).

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