Alben der Woche:Popjahre sind Hundejahre

Dido ist zurück und nennt es Comeback. Ferris MC ist zurück und nennt es Rock. Was im Pop nicht alles geht.

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Sasami - "Sasami" (Domino)

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Quelle: SZ

Die kalifornische Songschreiberin und professionell ausgebildete Waldhornspielerin Sasami Ashworth hat die Themen ihres Debütalbums "Sasami" (Domino) auf Instagram in einem sehr schönen Satz zusammengefasst: "Everyone I fucked and who fucked me last year." Das ist natürlich ein Ablenkungsmanöver vom Promozettel und schafft eine Erwartungshaltung, die diese wundervolle Platte im besten Sinne nicht halten kann. Sasami spielt herrlich antriebslose Musik, nicht dröge, sondern tagträumerisch. Das Ergebnis ist ein Album, dem man sich einfach nur ergeben möchte. Da sind zum Beispiel die ersten Sekunden des Openers "I Was A Window", die Sasami wie ein warmes Fuzz-Kissen aus Gitarrennoten über einem ausschüttet. Oder der Song "Free", aus dessen anfänglichem Bandsalat ein herrlich poetisches Duett mit Devendra Banhart herauspurzelt. Ganz am Schluss, im letzten Track, zieht der Beat an, und Sasamis Stimme, die sich zuvor eher versteckt hat, ist auf einmal ganz da, mit einem versöhnlichen Schlusswort: "Thought I was the only one/ Turned out I was everyone".

Julian Dörr

2 / 5

Stella Donnelly - "Beware of the Dogs" (Secretly Canadian)

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Quelle: SZ

Man sollte sich nicht von der Süße und Melodieseligkeit dieser Platte einlullen lassen. Auf "Beware of the Dogs" (Secretly Canadian) verteilt Stella Donnelly, eine australische Singer-Songwriterin aus Perth, eine Schelle nach der anderen. Ein Beispiel? "Your personality traits don't count if you put your dick in someone's face" - deine Charaktereigenschaften zählen nicht, wenn du jemandem deinen Schwanz ins Gesicht hältst. Eine Platte, geboren aus dem Geist der #MeToo-Bewegung. Ein Manifest der Calling-Out-Kultur. In sanft schwingenden Indie-Pop-Songs variiert Stella Donnelly ein- und dieselbe Botschaft: Time's up. Die Zeit ist abgelaufen. In ihren eigenen Worte klingt das dann so: "Junge, wenn du sie noch einmal anfasst, dann erzähl ich es deiner Frau und deinen Kinder. Weil es nicht mehr 1993 ist. Du hast deinen Platz im Team verloren! Du bist raus!" Eine großartige, wütende Platte, die angetrieben wird von der Gewissheit, dass die Zeit mittelmäßiger Männer nun endlich vorbei ist. Im Pop genauso wie in der Welt.

Julian Dörr

3 / 5

Foals - "Everything Not Saved Will Be Lost Part 1" (Warner)

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Quelle: SZ

Eines muss man den Foals lassen: Die britische Indie-Band hat in den vergangenen knapp zehn Jahren einen beeindruckenden Weg der Erschlaffung zurückgelegt. Vom jungmännisch verzappelten Tanzflächen-Kreischer "Cassius" bis zu ihrem fünften Album, "Everything Not Saved Will Be Lost Part 1" (Warner), das wenig mehr ist als ein mit viel Brimborium und Avantgarde-Splittern angereichertes Schnarchfest. Eine Platte, genau so nichtssagend wie die Nullaussage ihres Titels. Und was ist schlimmer im Pop, als nichts zu sagen? Richtig. Nichts zu sagen, aber so zu tun, als ob. Nur weil mal eine Gitarre aus der Spur grätscht oder der Synthie klingt, als hätten sich die Keyboardtasten verklemmt, heißt das noch lange nicht, dass das hier tatsächlich interessante Musik wäre. Es sei denn, man definiert interessante Musik als: Coldplaycovern die Talking Heads.

Julian Dörr

4 / 5

Dido - "Still on My Mind" (Sony)

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Quelle: SZ

Wie lange muss man eigentlich weg sein, damit die eigene Rückkehr als Comeback zählt? "Still on My Mind" (Sony), das neue Album der britischen Sängerin Dido, wird als Comeback-Album vermarktet, obwohl ihre letzte Platte gerade erst sechs Jahre her ist. Aber gut. Popjahre sind keine gewöhnlichen Jahre. Popjahre sind Hundejahre. Und in Hundejahren war Dido ganze 42 Jahre weg. Passt also. Und es ist auch nicht so, als wäre bei Dido in den vergangenen 42 Jahren großartig was passiert. Musikalisch steht sie immer noch da, wo man sich zum letzten Mal an einen ihrer Songs erinnern kann: in den Nullerjahren. In "Give You Up" spuken die Pianoakkorde durch diesen ganz besonderen Hallraum, der einen an urbane Einsamkeit und Entfremdung denken lässt. In der Ferne pulsiert dramatisch der Herzschlag-Beat. Bu-bupp. Bu-bupp. Das war damals Pop-Zeitgeist, Ausdruck der Verwunderung, dass es die Menschheit halbwegs lebendig ins 21. Jahrhundert geschafft hatte. Heute schafft es Dido so geschickt, dieses Nullerjahregefühl zu triggern, dass man Moby und Enya in diese Songs hineinhalluziniert, obwohl sie gar nicht da sind. "Still on My Mind" ist ein einfach, aber ungemein effektiv gebautes Album. Simple Beatmuster, die Stimme obendrauf, ein bisschen Effekte, Fläche, Atmo. Manchmal kommt ein Piano dazu, manchmal Bläser - je nachdem ob dieser Neo-Esoterik-Pop, der nun auch schon wieder mehr retro ist als neo, gerade eher in Richtung Folk lehnt oder in Richtung Dance. So muss wohl die Zukunft klingen, wenn sie Vergangenheit geworden ist.

Julian Dörr

5 / 5

Ferris MC - "Wahrscheinlich Nie Wieder Vielleicht" (Arising Empire/Warner)

Ferris MC

Quelle: Starkult

Komische Ambivalenzen: Einerseits "Alles Hurensöhne außer mir". Andererseits "Wir tanzen außer Atem durch die Nacht" (wo man sich natürlich schon fragt, warum dann nicht gleich "atemlos"?). Einerseits dieses wirklich bezaubernde, beinahe blutspeiend gebrüllte "Komm mir nicht mit Politik/Oder Verschwörungstheorien/Ich will Gewalt in jeder Runde/Streu mir Zucker in die Wunde!". Andererseits doch recht furchtbar Hingeleiertes auf der Flughöhe von "Was ist aus mir geworden? Wann fing das alles an?". Einerseits der wohl sehr ehrlich gemeinte Wunsch nach einem fiesen, kleinen, bissigen Rockalbum. Aber dann halt Madsen als ausführende Band. Will sagen: eigentlich schade. Dieser Ferris MC hat ja das ewige Potenzial, auf diese sehr glaubwürdig kaputte Art die Norm zu verschrecken, bleibt aber dann doch zu oft beim Sticheln gegen spießige Anzugträger stecken. Tragisch fast. In diesem Fall aber wenigstens gleich mit der passenden Erklärung: "Für mehr hatte ich grad keine Zeit/Ich möchte, dass du weißt: Für Deutschland reicht's."

Jakob Biazza

© SZ vom 06.03.2019/biaz
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