Süddeutsche Zeitung

Dichter-Streit in Paris:Rimbaud ins Pantheon?

In den Jahren 1872/73 durchlebten die beiden Dichter Arthur Rimbaud und Paul Verlaine eine turbulente Liebesbeziehung, die mit einem Pistolenschuss auf offener Straße des älteren Verlaine gegen Rimbaud endete. Warum nicht die leiblichen Reste beider zusammen heute ins Pariser Pantheon überführen? - das fragten ein paar Pariser Publizisten, und sie konnten für die Idee auch die Kulturministerin Roselyn Bachelot-Narquin sowie mehrere ihrer Vorgänger gewinnen. Das sei abstrus, protestieren jetzt dagegen fünf Dutzend Dichter, Schriftsteller und Künstler in einem Appell in Le Monde an Emmanuel Macron, der darüber zu entscheiden hat. "Nicht jeder, der will, kommt ins Pantheon, doch wenn einer nicht will?", schreiben sie und erinnern daran, wie wenig der Erzrebell Arthur Rimbaud fürs "dankbare Vaterland" - so die Inschrift auf dem Gebäude des Pantheons - übrig hatte. "Mein Vaterland steht auf?", spottete Rimbaud zur Zeit des deutsch-französischen Kriegs, "mir wäre es lieber im Sitzen: nur keine Stiefel in Bewegung bringen, das ist mein Prinzip". Und er wetterte gegen den "Patrouillotismus".

Hier gehe es nicht um die Ehrung zweier Dichter und ihres Werks, sondern um eine Werbeoperation für ein politisch korrektes Bewusstsein unter dem Anschein des Nonkonformismus, so argumentieren die Unterzeichner des Appells. Aufgrund einer kurzen biografischen Episode sollten Rimbaud und Verlaine zu einem homosexuellen Paar vereint und als Beispiele des nunmehr Tolerierten, ja Ehrbaren in den Heldentempel der Nation gestellt werden. "Begehen Sie, Monsieur le Président de la République, der Sie so sehr auf Symbole bedacht sind, nicht diesen Irrtum, schlimmer: diese Dummheit", heißt es weiter. "Wie werden Sie die zwangsläufig bald auf den Wänden des Pantheons auftauchenden Schmierereien ahnden können, wenn einer der drinnen unter den großen Figuren Liegenden selbst einst 'Scheiß auf Gott' auf die Parkbänke kritzelte?". In diesem Sinne sind auch die Nachfahren von Rimbauds Familie gegen eine Pantheonisierung des Dichters.

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Quelle:
SZ vom 22.09.2020 / Joseph Hanimann
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