DGB-Chef Schösser:"Zustände in Bayreuth sind nicht in Ordnung"

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Der DGB vertreibt zwar selbst Festspielkarten - der bayerische Gewerkschaftschef fände einen Streik bei der Eröffnung in Bayreuth aber gerechtfertigt.

Olaf Przybilla

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi droht, die Festspieleröffnung in Bayreuth zu bestreiken. Am Montag treffen sich beide Seiten, um einen Arbeitskampf knapp zwei Wochen vor "Tristan und Isolde" doch noch abzuwenden. Fritz Schösser, der bayerische DGB-Chef, besucht die Festspiele jedes Jahr - schon allein deswegen, weil jeweils zwei der Aufführungen Gewerkschaftsmitgliedern vorbehalten sind.

Verdi droht, die Festspieleröffnung in Bayreuth zu bestreiken. (Foto: Foto:)

SZ: Seit 1952 gehen die Karten von zwei der 30 Aufführungen in Bayreuth an den DGB. Nun klagt Verdi über Hungerlöhne und fehlende Tarifverträge für das Bühnenpersonal. Das ist pikant.

Schösser: Dieses Problem kann dem DGB doch potentiell bei jeder gecharterten Busfahrt begegnen - wenn ein Busfahrer womöglich sittenwidrig bezahlt wird. Ausschließen können wir so etwas leider niemals. Aber wir sagen auch ganz klar: Die Zustände in Bayreuth sind absolut nicht in Ordnung.

SZ: Fürchten Sie nicht, dass auch die DGB-Vorstellungen bestreikt werden?

Schösser: Sollte es zum Arbeitskampf kommen, dann natürlich schon. Und müsste es so weit kommen, dann würden wir sagen: Verdi hat in der Wahl der Mittel recht. Es ist deren Aufgabe, für angemessene Löhne zu kämpfen. Und wenn es sein muss, auch mit einem Arbeitskampf bei der Festspieleröffnung.

SZ: Der bayerische DGB vertreibt seit mehr als 50 Jahren Karten für eine Veranstaltung, der Verdi nun "Sittenwidrigkeit" vorwirft. Ist das nicht ein erstaunlicher Widerspruch?

Schösser: Es würde ein falscher Eindruck entstehen, wenn es so wirken würde, dass hier eine Hand nicht weiß, was die andere tut. Man muss wissen, dass Verdi erst in den letzten Jahren stark auf dem Hügel vertreten ist. Das Orchester ließ sich früher vor allem von der Deutschen Orchestervereinigung vertreten und der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, unserer Konkurrenz. Ich würde das Verhalten von Verdi nur dann anzweifeln, wenn die Methoden erpresserisch wären. Aber ich betone: Das sind sie nicht. Es wäre doch gar kein Problem, das Bühnenpersonal angemessen zu bezahlen und die Kosten auf die Eintrittspreise umzulegen. Ich bin mir sicher: Kein Besucher will die Kunst mit einem schlechten Gewissen genießen.

SZ: Würden Sie als Bayreuth-Dauergast als Vermittler zur Verfügung stehen, falls die Eröffnung tatsächlich in Gefahr geraten sollte - und womöglich Tristan und Isolde im Dunkeln spielen müssten, fehlender Beleuchter wegen?

Schösser: Selbstverständlich. Ich glaube aber nicht, dass die eine der beiden Seiten mit mir wirklich einverstanden wäre. Dauergast hin oder her - dass meine Sympathien eindeutig auf Seiten von Verdi liegen, dürfte doch wohl allen klar sein.

SZ: Ist eine Gewerkschaft denn überhaupt die richtige Organisation, um Wagner-Karten zu vertreiben?

Fritz Schösser, der bayerische DGB-Chef, besucht die Festspiele jedes Jahr. (Foto: Foto: dpa)

Schösser: Es hat bekanntlich historische Gründe, dass der bayerische DGB jedes Jahr über zwei Vorstellungen mit insgesamt 3400 Karten verfügen darf. Der DGB war es, der sich nach dem Krieg starkgemacht hat für die Übertragungsrechte vom Hügel. Es hat sich erwiesen, dass diese Rechte eminent wichtig waren für die Entwicklung der Festspiele. Nur einmal in den siebziger Jahren hat Wolfgang Wagner zumindest die Anzahl der DGB-Aufführungen in Frage zu stellen versucht, das allerdings ohne Erfolg.

SZ: Wie verhindern Sie eigentlich, dass sich Betriebsräte auf dem Schwarzmarkt mit ihren begehrten Bayreuth-Karten ein hübsches Zubrot verdienen?

Schösser: Dieses Problem haben alle, die Karten vom Hügel vertreiben. Aber wir dürfen von uns sagen, dass wir das am besten im Griff haben. Bei uns muss jeder unterschreiben, dass er die Karten auch selbst nutzt. Besucher müssen sich bei Verdacht ausweisen und gegebenenfalls den Sitz verlassen. Ich bin bei allen unseren Aufführungen vor Ort für den Fall, dass es damit Probleme gibt.

SZ: Es sollen bei DGB-Aufführungen häufig Autos mit Hamburger oder Düsseldorfer Kennzeichen vor dem Festspielhaus zu sehen sein - obwohl die Aufführungen doch bayerischen Gewerkschaftsmitgliedern vorbehalten sein sollen.

Schösser: Davon darf man sich nicht täuschen lassen. Die Künstler zum Beispiel kommen ja auch mit dem Auto zum Hügel. Ich schätze, 3300 unserer insgesamt 3400 Karten bleiben in Bayern.

SZ: Was zahlen die Gewerkschaftsmitglieder für ihr Bayreuth-Erlebnis?

Schösser: Wir kaufen die Karten für 86,50 Euro an und verkaufen diese dann an unsere Mitglieder je nach Güte des Platzes. Im Durchschnitt sind sie dadurch etwas günstiger als Karten im normalen Verkauf. SZ: Sie gelten als der Wagner-Enthusiast unter den Gewerkschaftern. Waren Sie das eigentlich immer schon?

Schösser: Ich habe seit 1978 alle Wagner-Inszenierungen auf dem Hügel gesehen. Ich bekenne aber, dass ich davor sehr skeptisch war. Erst durch die nähere Beschäftigung mit Bayreuth und seiner Geschichte bin ich zur Überzeugung gelangt, dass man jede Kunst instrumentalisieren kann - auch die von Wagner.

SZ: Das Glanzlicht in all den Jahren?

Schösser: Kein Zweifel: Harry Kupfers famoser "Ring".

© SZ vom 09.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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