Deutschsprachige Erstaufführung:Fernbeziehungen

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Trotzige Kontaktverweigerung: Klaus Köhler, Hannah von Peinen, Julian von Hansemann und Simon Braunboeck (von links). (Foto: Andreas Etter)

"Tage des Verrats" ist ein Stück über Intrigen und Liebe. Wer über ein Ensemble verfügt wie das Staatstheater Mainz, kann es auch spielen.

Von Jürgen Berger

Im Vergleich zu manchen Bundesligaspielern können Schauspieler geradezu Vorbilder einer verantwortungsvollen Distanzierung sein. Den Eindruck vermittelte das Mainzer Schauspiel. Niemand neigte zur Rudelbildung. Ganz im Gegenteil. Vorne auf der Bühne bewegten sich alle so, dass man den Eindruck hatte, das Mainzer Ordnungsamt habe eine Heerschar von Corona-Beamten ins Theater geschickt, damit sie dort mit einem Zollstock Distanzen regeln. Das galt auch für den Zuschauerraum, der zu einem großen Wohnzimmer umgebaut war. Überall kleine Sofas und Sitzgelegenheiten, auf denen vermummte Einzelpersonen oder Paare anscheinend damit beschäftigt waren, kleine Tragödien einer trotzigen Kontaktverweigerung aufzuführen. Das eigentliche Schauspiel gab es aber weiterhin vorne auf der Bühne. Eine der ersten Inszenierungen unter dem düsteren Stern Covid-19 widmete sich dem amerikanischen Politthriller "Tage des Verrats" des Drehbuchautors und Filmproduzenten Beau Willimon. Die Uraufführung gab es 2008 am Broadway, drei Jahre später sorgte George Clooney für eine Kino-Adaption unter dem Titel "The Ides of March".

Die deutschsprachige Erstaufführung orientiert sich an Willimons Theaterfassung und der zentralen Figur Stephen Bellamy. Der PR-Manager soll im Vorwahlkampf der Demokraten dafür sorgen, dass ein wenig aussichtsreicher demokratischer Gouverneur Präsident der USA wird. Bellamy ist noch jung, aber bekannt dafür, dass er Kampagnen organisieren kann. Nachdem er sich mit dem Wahlkampfmanager der Gegenseite getroffen hat, fällt er plötzlich ganz tief, und zwar obwohl er auf dessen Versuch der Abwerbung nicht eingeht. Das Treffen war eine Falle und ist für Willimon Anlass genug, die Hintergründe politischen Handelns auszuleuchten.

Dass das amerikanische Wahlsystem einen eitlen Wirrkopf wie Donald Trump an die Spitze der Weltmacht spülen würde, konnte er nicht ahnen. Wie im Politgeschäft getrickst, manipuliert und intrigiert wird, scheint Willimon ziemlich gut zu wissen, schließlich ist ihm ein explosives Wellmade-Drama gelungen.

Drei Rampen mit Autos - eine solche Bühne lässt sich mit der nötigen Distanz bespielen

K.D. Schmidt, der leitende Regisseur des Staatstheaters Mainz, ließ sich von Thomas Drescher ein Bühnenbild bauen, das wie gemacht ist für ein Theater in pandemischen Zeiten: drei Rampen führen mehr oder weniger steil nach oben, dort ruhen sterile Autokarosserien. Dieses Gebilde erlaubt dem Ensemble, in großem Abstand zueinander zu agieren, hat aber auch zur Folge, dass die Akteure große Mühe haben, die dialogische Wucht des Textes in szenische Intensität umzumünzen. Man sieht permanent, dass K.D. Schmidt ganz korrekt auf Distanz inszeniert hat. Später allerdings, wenn zum politischen Intrigenspiel ein One-Night-Stand Bellamys mit der Praktikantin Molly kommt, ändert sich alles. Im Zuschauerraum ist es zwar immer noch so, als würde das Publikum in einer Welt der kühlen Unantastbarkeit leben, vorne auf der Bühne entstehen aber plötzlich Atmosphären von Liebe, Hass, Trauer und trotzigem Aufbegehren.

Zu danken ist das Julian von Hansemann, der als abgestürzter Karrierist so tief ins Politikgeschäft eintauchte, dass er jetzt nur noch Rachepläne schmieden kann und nicht bemerkt, dass er aus dem Spiel ist. Ihm gegenüber steht Elena Berthold, sie ist eine junge Frau, die sich nicht aus Gründen der eigenen Karriereförderung auf den gestrandeten Überflieger eingelassen hat, sondern weil sie diesen Kampagnen-Nerd liebt. So etwas soll vorkommen.

Elena Berthold und Julian von Hansemann jedenfalls zeigen, dass auch in Corona-Zeiten ein Theater der Nähe möglich ist, selbst wenn Schauspielerinnen und Schauspieler sich nicht nahe kommen dürfen.

© SZ vom 12.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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