Deutschlands Mundarten verändern sich:"Sächsisch ist der klare Prügel-Dialekt"

Bairisch ist beliebt, Sächsisch nicht. Aber woher kommen solche Unterschiede? Und gibt es sie wirklich oder bilden wir uns sie nur ein? Der Dialektforscher Karl-Heinz Göttert freut sich über kölsche Mails von Studentinnen. Er sagt aber auch: "In München wird 2040 das Bairische ausgestorben sein."

Meike Mai

SZ: Herr Göttert, in Ihrem neuen Buch behaupten Sie, dass Dialekte im Trend liegen. Woran zeigt sich das?

Leonhardifahrt in Kreuth

Trutzburgen der Mundart: Das bayerische Land. Im Foto: Frauen in Tracht sitzen am Sonntag in Kreuth bei der Leonhardifahrt auf einem Wagen.

(Foto: dapd)

Göttert: Nachdem die Dialekte lange Zeit als bildungsfern abgewertet wurden, gab es in den 70ern eine Trendwende. Die Globalisierung zeigte Wirkung und bescherte uns als sprachliches Gegenprogramm eine Aufwertung von Regionalität. Seitdem benutzen wir wieder unbekümmerter Mundart. Ein Manager, der den ganzen Tag auf Englisch verhandelt, sehnt sich abends nach einem Stück sprachlicher Geborgenheit.

SZ:Also ist der Trend nicht ganz neu?

Göttert: Nun ja, auf jeden Fall hat er nicht abgenommen: Comedians machen ihre Witze auf Berlinerisch oder Bayerisch, Politiker geben sich mit ihrer landschaftlich gefärbten Sprache volksnah, einer der erfolgreichsten Filme der letzen Jahre war der Dialektfilm "Willkommen bei den Sch'tis".

SZ: Dialekt ist also auf dem Vormarsch?

Göttert: Da muss man vorsichtig sein. Früher hab es Menschen, die nur Dialekt gesprochen haben. Heute ist der Dialekt aufgrund von Schulbildung und Medienherrschaft eher eine sprachliche Alternative, eine Art zusätzliches Register. Im Ausland unterhalten wir uns auf Englisch, bei offiziellen Gelegenheiten benutzen wir Hochdeutsch, im privaten Räumen Mundart. Das ist eine sehr schöne Form von Mehrsprachigkeit.

SZ: Bei welchen Gelegenheiten verwenden wir besonders gern Dialekt?

"Da simmer dabei"

Göttert: Wenn wir eine Konversation auflockern wollen. Neulich etwa bekam ich eine Email von einer Studentin nach ihrer Promotion. Ich hatte ihr ein Treffen vorgeschlagen. Das nahm sie an mit dem kölschen Spruch: "Da simmer dabei!" Zum einen signalisierte sie damit Zustimmung, zum anderen aber auch, dass sie die Idee wirklich gut fand. Dafür bräuchte man im Hochdeutschen ein paar komplizierte Sätze! Der Dialekt kann das einfacher und besser.

Dialekte, Goettert

Karl-Heinz Göttert ist eremitierter Professor für Germanistik der Universität Köln.

(Foto: Picasa 2.7)

SZ: Dialekt als direkter Weg zum Herzen?

Göttert: Dialekt hat tatsächlich etwas mit Wärme zu tun. Damit ist im Übrigen nicht der frühere, alte Dialekt mit seinen speziellen Lauten und Vokabular gemeint. Wir haben heute eine abgeflachtere, für größere Regionen gültige und entsprechend verständlichere Version. Man könnte auch von einer bloß sprachlichen Färbung des Hochdeutschen sprechen. Ernstzunehmende Fachleuten sind allerdings der Meinung, dass auch diese neuen Dialekte bald aussterben werden. Statistiken etwa aus Allensbach geben kein so sehr pessimistisches Bild. Sie belegen, dass sich in den letzten 20 Jahren jedenfalls nicht allzu viel verändert hat.

SZ: Erst behaupten Sie, dass Mundart wieder im Trend liegt. Nun soll sie aussterben?

Göttert: Das ist eine Meinung, die sich natürlich auf Indizien stützt. Meiner Meinung nach berücksichtigt man dabei jedoch zu wenig die Flexibilität der Dialekte, ihre Wandlung hin zum Akzent, wovon schon die Rede war. Im Übrigen: Das Aussterben der Dialekte wird seit mindestens 100 Jahren angekündigt. Ich glaube nicht daran. Warum soll die jüngere Generation, die im Augenblick tatsächlich immer mehr Dialekt verliert, den Dialekt nicht irgendwann wieder cool finden?

SZ: Nur auf dem Land, oder auch in den Städten?

Göttert: Darüber wissen wir tatsächlich sehr gut Bescheid, vor allem in Bayern, wo man die Situation noch in allerjüngster Zeit in einem vielbändigen Sprachatlas beobachtet hat. Man kennt die Verwendung des Dialekts je nach Altergruppen, Bildungsschicht und so weiter in allen Einzelheiten. Und das Ergebnis lautet: Auf dem Land werde es noch länger Dialekt geben, in München dagegen wird 2040 das Bairische ausgestorben sein. Man geht davon aus, dass die Großstädte als erste dialektfrei sind.

SZ: Und wer soll schuld sein am Niedergang?

Göttert: Da kann man wieder einmal die Schulbildung, aber auch die Allgegenwart der Medien mit ihrem Hochdeutsch nennen. Allerdings bieten gerade die Medien auch Dialekt in ihren Regionalprogrammen, der BR etwa mit "Dahoam is Dahoam" oder die "Norichten op Platt" beim NDR.

SZ: Also hat Dialekt heute immer auch etwas Heimattümelndes?

Göttert: Ja, die Gefahr besteht. Weil er natürlich nur auf regionaler Ebene gefördert wird. Hier in Köln bietet eine "Akademie för uns Kölsche Sproch" Sprachkruse an. Ich halte aber nichts davon, Dialekt wie eine Fremdsprache zu lernen. Daneben gibt es Vereine, Vorträge oder Dialekt-Dichtungen.

SZ: Und wo wird Dialekt unterdrückt?

Göttert: Heute gibt es eher subtile Formen der Unterdrückung: eine mehr oder weniger unsichtbare Form der Diskriminierung. Während man in den 60er Jahren Dialekt sprechende Kinder unter dem Schlagwort der "restringierten Sprache" noch für weniger leistungsfähig hielt und entsprechende Gegenstrategien entwickelte, gibt es heute eher Benachteiligungen etwa bei Berufseinstellungen, wenn die Kandidatin oder der Kandidat kein perfektes Hochdeutsch spricht und damit weniger seriös wirkt. Es gibt amerikanische Studien, die Bewerbungsgespräche analysierten und solche Zusammenhänge nachwiesen.

Der schwäbische Finanzminister

SZ: Weshalb sind bestimmte Dialekte in der Öffentlichkeit präsenter als andere?

Deutschlands Mundarten verändern sich: Szene des französischen Dialekt-Films 'Willkommen bei den Sch'tis' mit Philippe (Kad Merad), links, und Antoine (Dany Boon).

Szene des französischen Dialekt-Films 'Willkommen bei den Sch'tis' mit Philippe (Kad Merad), links, und Antoine (Dany Boon).

(Foto: AP)

Göttert: Es gibt Beliebtheitsskalen, die jedoch mehr als kritikwürdig sind. Es ist unsinnig, diesen Dialekt schöner als jenen zu bewerten. Sächsisch ist heute zum Beispiel der klare Prügel-Dialekt. Dabei galt er vom 15. bis zum 17. Jahrhundert als vorbildlich und liegt tatsächlich nicht unwesentlich dem Hochdeutschen zu Grunde. Auch Schwäbisch stand lange unter Druck, nun ist das Image durch die bekannte Kampagne "Wir können alles. Außer Hochdeutsch" besser geworden.

SZ: Warum trauen sich die Deutschen im Gegensatz zu Franzosen oder Engländern nicht recht Dialekt zu sprechen?

Göttert: So würde ich das nicht sehen. Generell gibt es im Norden Deutschlands weniger Dialekt als im Süden. Das hat komplizierte historische Gründen, die vereinfacht gesagt damit zusammenhängen, dass Norddeutsche im 16. Jahrhundert ihre Mundarten zum Zwecke der gesamtdeutschen Kommunikation zurückgenommen und ins Private verlegt haben. Ansonsten wurde aber in Mittel- und vor allem in Süddeutschland der Dialekt durchaus hochgehalten. Frankreich kämpft dagegen seit der Revolution gegen seine Dialekte. Man hat versucht, sie zu unterdrücken, ja regelrecht auszurotten. Englisch wiederum zerfällt in seine Großdialekte wie Amerikanisch, Australisch, Indisch - mit erheblichen Normproblemen.

SZ: Ist Dialekt immer noch Zeichen sozialer Klasse?

Göttert: Nur in Gesellschaften, die sowieso sehr durch Klassenunterschiede geprägt sind. In England änderten etwa als erstes die Beatles etwas daran. Die haben Liverpooler Dialekt gesungen. Ein Gewinn. Dialekt verwenden Menschen aber auch immer wieder gern für ihr Image. So lässt unser Finanzminister gern durchblicken, dass er Schwabe ist.

Karl-Heinz Göttert: Alles außer Hochdeutsch. Ein Streifzug durch unsere Dialekte. Ullstein, 19,99 Euro

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