Deutschland-Tourauftakt von Katy Perry:Karies auf der Seele

Katy Perry

Bietet eine schon beinahe beängstigend perfekte Dramaturgie: Katy Perry in München.

(Foto: dpa)

Willkommen im Yolo-Wunderland: Trotz Parfum-Werbung und bösartig klebriger Pop-Hymnen ist Katy Perrys Auftritt in München sehenswert. Fünf Fragen und Antworten zum Auftakt ihrer Deutschlandtour.

Von Jakob Biazza, München

Warum tun wir uns das an?

Weil man, wenigstens als Einzelner, kaum Einfluss hat, auf wen sich quasi die komplette werberelevante Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen einigen kann. Momentan ist das nun mal Katy Perry und zwar mit allem, was dazu gehört: viraler Hit mit Super-Bowl-Halbzeitshow (Stichwort Left-Shark), diverse gutgehende Haarfarben, ein paar Verkaufssuperlative (mit dem aktuellen Album "Prism" zum Beispiel in 97 Ländern auf Platz eins der iTunes-Charts). Und ein Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde - als Pop-Star mit den meisten Twitter-Followern. 66,1 Millionen, Stand Dienstag 7.25 Uhr. Kann aber sein, dass es inzwischen schon mehr sind.

Und dann ist der Deutschland-Tourauftakt von Katy Perry auch aus Interesse ein Termin. Denn es ist ja so, dass beim Thema Frauen in der Pop-Musik ein sehr grundlegendes Missverständnis vorliegt. Weil sich seit ein paar Jahren immer mehr von ihnen in die vorderen Verkaufsränge gearbeitet haben, ist der Eindruck entstanden, es gäbe schon so etwas wie Gleichberechtigung auf dem Markt. Das ist, wenigstens ästhetisch, grober Unsinn.

Tatsächlich ist das Pop-Figurenkabinett für Frauen noch immer lächerlich überschaubar und eindimensional. Bei den Herren lässt sich die gesamte Palette vom manischen Borderline-Egomanen bis zum introvertierten Kastenbrillen-Nerd vermarkten - und die optische Spanne von Bruno Mars bis Lemmy Kilmister. Die Damen ganz oben an der Spitze, die Beyoncés also, die Rihannas und die Pinks, verkörpern, wenn wir mal ehrlich sind, eigentlich nur unterschiedlich dralle Formen derselben, etwas biederen Sexyness.

Das ist - bitte nicht falsch verstehen - kein Urteil. Es ist eine Feststellung. Wir reden hier immerhin über eine Welt, in der schon der Refrain "I kissed a girl and I liked it" genug Knistern hervorruft, um eine ganze Karriere zu begründen.

Katy Perry ist bei alldem nun eine Art Hoffnungsschimmer. Ein kleiner. Sie ist, wenigstens theoretisch, etwas weniger festgelegt als viele der Kolleginnen. Die Kalifornierin hat über die vergangenen drei Alben von Star-Produzenten wie Dr. Luke oder Max Martin ein irrwitziges Sammelsurium an Stilen verpasst bekommen. Die 30-Jährige kann damit heute so ziemlich alles sein, was sie will.

Und was gab's dann tatsächlich zu sehen?

Erst mal Werbung für Perrys Parfum. In dem Spot rennt sie durch eine barocke Szenerie mit pikiert dreinblickenden Perückenträgern. Am Ende tritt sie einen opulent verzierten Thron um und setzt sich eine Krone auf. "Killer Queen" heißt der Duft. Außerdem vermelden die Großleinwände, dass man 21 Prozent Rabatt in einem bestimmten Laden in einem Münchner Shoppingcenter bekomme, wenn man das Ticket des Abends beim Einkauf vorlegt.

Das ist aber zum Glück nicht alles. Denn das Konzert selbst ist wunderbarste verschwenderischste Pop-Herrlichkeit. Ein Yolo-Wunderland (für alle die eher auf die 49 zugehen: Yolo steht für "You only live once"), in dem jeder sein kann, wer er will: Im Publikum sind Frauen mit grellbunten Perücken (auch richtig alte - Frauen, nicht Perücken), Männer in Tutus, Paare in Tigerkostümen, Teenies mit blinkenden Katzenohren. Alles da. Alles okay. Alles irgendwie wunderschön. Und auf der Bühne: vom Fleck weg eine schon beinahe beängstigend perfekte Dramaturgie.

Einlauf mit neon-leuchtenden Speerkämpfern im Schwarzlicht, dann etwa alle drei Songs ein Szenenwechsel: nach Ägypten, mit Kleopatras und Pharaonen-Gedöns; ein bisschen König-der-Löwen-Kostümshow; ein bisschen Cirque-du-Soleil-Akrobatik mit gleich zwei Schwebeeinlagen; dazu Cats-Musical, Neunzigerjahre-Danceparty und der obligatorische Sonnenblumen-dekorierte Akustikgitarrenblock. Wann immer die Show droht, sich in wuseliger Ereignislosigkeit zu verlieren, wechselt die Ästhetik. Schwer zu sagen, wie man da auch nur eine Minute besser machen sollte.

Musik läuft auch. Eigentlich immer. Bei der ist es aber sehr viel schwerer, absolut trennscharf zu sagen, wann eine Nummer in die andere übergeht. Damit es auch hier keine Missverständnisse gibt: Perry hat ein paar schon beinahe bösartig klebrige Pop-Hymnen vorzuweisen, da gibt es gar nichts zu diskutieren. Zu einem zweistündigen Best-of verdichtet, werden die Lieder sich immer ähnlicher, inklusive obligatorischem Feierrefrain.

Der beste Moment?

Ganz eindeutig und ohne jede Diskussion der Song "I Kissed A Girl" - nicht, weil es immer noch ihr größter Hit ist. Sondern weil man sich hier (wie bei "Hot 'N' Cold") getraut hat, ihn zum großen Riff-Rock-Stampfer umzuarrangieren. Plötzlich wird das alles fast ein Live-Konzert. Die Gitarren klingen zum ersten (und zum letzten) Mal wie von echten Menschen mit echten Händen auf echten Saiten gespielt. Außerdem steigern sie sich am Ende in ein zweistimmiges Hochgeschwindigkeits-Solo-Gegniedel, das in einem Feuerwerk aus den Gitarrenhälsen mündet. Große eklige Pose und dann - gerade noch rechtzeitig - Selbstironie. Ein Pop-Traum!

Das Konzert wäre nichts für Sie gewesen, wenn ...

... Sie meinen, dass nicht jeder Refrain mit Synthies aufgeblasen sein muss, die klingen wie erst frittierte und dann schockgefrorene Zuckerwatte.

Was bleibt also?

Ein bisschen Karies auf der Seele. Der untrainierte Körper produziert nicht genug Insulin für zwei Stunden Zuckerstangen-Pop mit Schokoglasur. Noch mehr aber die total yolo-mäßige Gewissheit, dass das Leben um Jahrzehnte zu kurz ist, um an ja doch irgendwie perfekt klebrigen Katy-Perry-Songs herumzumäkeln.

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