Deutschland 1945:Im Auge des Krieges

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Der Dokumentarfilmer Michael Kloft zeigt Deutschland 1945 aus Sicht amerikanischer Armeekameraleute und lässt das Material für sich sprechen.

Von Claudia Tieschky

Die schlammige Straße ist sauber im Bild. Ein Karren im Vordergrund, die Diagonale aus Allee-Pappeln. Kein Mensch. Das Bild hält lange, sehr lange, auf die Straße. Vorsichtig, aber Besitz ergreifend. Die Landnahme der Kamera geschieht in einer weiten Einstellung: Wo die Pappel-Reihe endet, fallen zwei Spitzen auf. Während das Bild abbricht, verengt sich die Wahrnehmung auf das Detail, und man erkennt, nun bloß mehr erinnernd, darin den Kölner Dom.

Die Aufnahme datiert vom Frühjahr 1945. Die Amerikaner befanden sich auf dem Vormarsch nach Köln.

Die Kloft-Methode

Im Februar 60 Jahre danach entsteht in Hamburg die Fernsehdokumentation Als der Krieg nach Deutschland kam. TV-Autor Michael Kloft spult die Sequenz vor Köln noch einmal zurück. Hatte der Kameramann bemerkt, was er filmte? Kloft sagt: "Ich glaube, in dem Moment hatte er nicht die Zeit, darüber nachzudenken." Tatsächlich ist das der Wahrnehmungsbruch: Die Sequenz folgt der Aufmerksamkeitslogik des Krieges.

Michael Kloft, Leiter der Abteilung History bei Spiegel TV, ist neben Guido Knopp der andere mächtige Zeitgeschichtskundige des deutschen Fernsehens. Vor zehn Jahren, zum 50. Jahrestag des Kriegsendes, zeigte Kloft Nazideutschland in Farbe. Er nahm dem Blick die gewohnte schwarz-weiß-Ästhetik fort, und die Illusion von Hitlers Reich als einem anderen, als einem fernen Land. In Das Goebbels-Experiment, einer Gemeinschaftsarbeit mit Lutz Hachmeister, schnitt er zu Notizen über die Deportationen Bilder vom Berliner Badesommer. Die Methode Kloft: Das ist die Augen-Überraschung.

Auch in seinem neuen Fernsehfilm über das Kriegsende wird der 43-Jährige dem Zuschauer Bilder geben, das in erster Linie. Embedded 1945 steht auf den Bändern im Regal. Das war der Arbeitstitel, das war die Idee. Im Washingtoner Nationalarchiv lagern etwa 10000 Filmrollen der Armeekameraleute vom Signal Corps, die den Vormarsch der US-Armee durch Deutschland dokumentierten.

Embedded quasi, eingebettet bei der Truppe, wie die Journalisten im Irak-Krieg. Seit den Bildern von Bagdad, seit ihn diese Parallele umtrieb, ist Kloft häufig in Washington gewesen. Er hat ungefähr 1000 Filmrollen gesichtet. Er hat gelernt, karge Karteikartenvermerke zu deuten. Und der Mann aus Hamburg sah Material, das teils über Jahre vergessen war.

Material für sich sprechen lassen

Sein Film kommt nun als Zweiteiler ins Fernsehen. Erst in einer zweimal 45Minuten langen Version für Sat1, später mit je 95 Minuten bei Vox. Mit dem Blick der etwa 40 Kameraleute, die den Vormarsch in Deutschland begleitet haben, zeichnet er den Weg der GIs nach. Eine Chronik des Schauens ist das, Tag für Tag, vom 23. Februar bis 26. April 1945, von der ersten Offensive am Flüsschen Rur bis zum Zusammentreffen mit den Russen an der Brücke von Torgau.

Über die Männer hinter den Objektiven ist wenig bekannt. Ein kurioses Detail: Mit dabei war der spätere Busenbildermann Russ Meyer. Man weiß es: Viele der Kriegsfilmer kamen aus Hollywood, gute Handwerker. "Kameraleute", sagt Kloft, "sind keine Journalisten. Sie sind das Auge."

Für amerikanische Wochenschauen wurden die Filme später zurechtgeschnitten. Das interessiert Kloft nicht. Er hat die langen, unbearbeiteten Sequenzen weitestmöglich gelassen, wie sie sind - in aller provozierender Langsamkeit. "Ich bin ganz dazu übergegangen, das Material für sich sprechen zu lassen", sagt er. "Sicher ist das ein Risiko."

Kloft ist Purist. Er duldet auch bei eindrücklichen Passagen keine Zeitlupe. Er will für die kürzere Fernseh-Fassung lieber ganze Teile aussparen, als an Einzelsequenzen zu schneiden. Die Frage nach dem anderen History-Mann, nach Guido Knopp, erübrigt sich. Die Methode selbst macht sie zu Antipoden. Ungeachtet dessen hat Kloft auch für Knopps ZDF-Abteilung einige Filme gemacht, etwa über Kaiser Wilhelm II.

Bei solchen Arbeiten ist Spiegel TV Koproduzent. Kloft: "Wir machen Geschichte als Journalisten. Ich verstehe mich da bewusst als Zugehöriger zum Hause Spiegel." So entstand Die Schweizer Banken und das Nazigold. Oder Der Tramp und der Diktator, ein Film über Charlie Chaplin und Hitler, an dem Kloft besonders hängt. Auf ähnliche Weise wird er demnächst die Nürnberger Prozesse erzählen: als Duell zwischen Göring und dem Chefankläger Robert Jackson.

Als der Krieg nach Deutschland kam - im vierten Stock des Hamburger Chilehauses, wo Spiegel TV sitzt, im abgedunkelten Schneideraum, sind die Bilder vorerst noch ungetextet, nur mit leisen Klängen unterlegt. Sphärisch, gespannt, ein stetiges Ziehen. Manchmal ein Trommelwirbel, dezent wie Knistern.

"Wir fahren in eine Stille und eine Leere", notierte ein US-Reporter beim Vormarsch. Kloft wird die Bilder später mit Geräuschen unterlegen. Zeitgenössische Reporterberichte, Tagebucheinträge und Briefe werden dazukommen, auch Beobachtungen Martha Gellhorns, der Lebensgefährtin Hemingways, die in Deutschland war.

Formulierung mit Sinn

An diesem Tag aber ist da vorerst bloß das große, stumme Schauen ins Unbekannte. Die Stunde Null - für die Amerikaner ergibt diese Formulierung hier auf einmal Sinn. Der Vormarsch beginnt auf evakuiertem Gebiet. Städte und Dörfer, in denen keiner mehr wohnt, zerschossene Kriegslandschaften. Noch wird gekämpft.

Man sieht tote Amerikaner. Später, sagt Kloft, haben sie aufgehört, das zu drehen. Köln: Häuser, aus denen weiße Laken hängen, die ersten Zivilisten. Ein junger Mann trägt ein Fahrrad über Schutt. Frauen kommen aus den Häusern. Wer Nazi ist, das sieht man nicht. Dann die Lager. Buchenwald. "Es wird auch langsam gemeiner", sagt Kloft.

Im halbdunklen Raum deutet er auf Passagen, die ihn erstaunen. Welche ihn berühren, ist schwer zu erahnen. Klofts Familie kommt aus der Gegend der Euthanasie-Mordanstalt Hadamar. Als Zivildienstleistender half er psychisch Kranken.

Später studierte er Politikwissenschaft, wurde Regieassistent (unter anderem bei Heinrich Breloers Film Wehner), arbeitete beim Doku-Produzenten Chronos Film. 1995 kam er zu SpiegelTV. Er sagt: "Ich mag keine Erziehungsfilme. Ich liefere nicht die Interpretation." Er sagt auch, am Ende seiner Filmen sei klar, welche Haltung er habe.

Möglichkeit einer Zeitreise

Einmal sieht man eine Menschengruppe. Der Kameramann hat noch eine zweite Einstellung genommen, ein Close-Up auf das ratlose Gesicht eines Teenagers. "Professionelles Interesse auf jeden Fall. Ich gehe mal davon aus, auch ein menschliches", sagt Kloft. Es wirkt, als habe er manchmal Scheu, Schlüsse zu ziehen. Spröde ist das, und vielleicht seine Einzigartigkeit in einer Zeit, in der das Genre Dokumentation sich bedenkenloser mit Fiktionalem unterhaltsam macht.

"Das ist berühmt", sagt er, als ein magerer Häftling die Hände zum Himmel faltet, klagend, dankend, während ihn die Amerikaner aus dem Lager Dora fortbringen. Berühmte Bilder meidet Kloft nicht. Er lässt das Bild einfach zurücksinken in seine Geschichte: "Es ist die Möglichkeit einer Zeitreise. Es ist etwas, was mir die Beschreibung in Worten nicht liefert. Ich will wissen, wie das gewesen ist." Wahrscheinlich ist es so, dass ein Kloft-Film zuallererst ihn selbst überraschen muss.

Als der Krieg nach Deutschland kam, Sat1, 14. März und 21. März, jeweils 22.15Uhr; Vox, 19. März, 22.25 Uhr und 26. März, 22.55Uhr.

© Süddeutsche Zeitung vom 10.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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