Deutsches Theater:Ois Chicago

In München ist fünf Wochen lang eines der besten und erfolgreichsten Musicals vom New Yorker Broadway zu sehen

Von Michael Zirnstein

Das Orchester von Pepe Lienhard verklungen, das Parkett von Tanzpaaren geräumt, die Comedians davongestolpert, die Akrobaten hinausgepurzelt, die Teller abgedeckt, das Saallicht gelöscht im Deutschen Theater. Als dann das Spotlight erstrahlt, ist der ganze "Ball total" vergessen und auf einen Schlag "Ois Chicago". Frauen in Netzstrümpfen und Mieder, Männer mit Hüten und Gilets über blankrasiertem Brustkorb, schon befindet sich die ganze Gesellschaft im Chicago der Zwanzigerjahre, "diesem wilden Ball" mit viel Krawall, wenn auch hier mit deutschsprachiger Animation des Vaudeville-Stars Velma Kelly: "Komm mit mir, heut' sollen die Korken knallen / Ich tupf mir Rouge aufs Knie und lass' die Strümpfe fallen."

Vor der Showeinlage beim Hausball des Deutschen Theaters wartet Caroline Frank im Restaurant. Man nimmt ihr - in Katoomba, Australien geboren, auf der Musical-Schule in Wien mit einem verlockenden Akzent bewaffnet - den Vamp gleich ab. Natürlich habe man als Schauspielerin Vorteile vor Gericht, sagt die brünette Frau. "Wir haben weniger Skrupel, jemandem etwas vorzuspielen. Andererseits ist es auch von Nachteil, weil das jeder weiß, dann glaubt dir keiner."

Deutsches Theater: Stars auf der Musical-Bühne: Carien Keizer als Roxie Hart und Nigel Casey als Billy Flinn.

Stars auf der Musical-Bühne: Carien Keizer als Roxie Hart und Nigel Casey als Billy Flinn.

(Foto: eventpress/Stage)

Wenn sie mit dem Auto von der Polizei rausgewunken werde, funktioniere das jedenfalls, "ich kann ganz gut eine Schwangere spielen", sagt sie, lächelt verschwörerisch und streichelt ihren Bauch. "Hey, das ist meine Rolle", sagt die blonde Frau neben ihr. Die Holländerin und einstige "Leading Lady" im Pariser Lido erscheint in Zivil viel schüchterner, mädchenhafter als ihre Bühnenfigur. Als ebenfalls inhaftierte Nachtclub-Diva Roxie Hart wickelt sie Publikum und Richter um die angriffslustig gespreizten Finger. Bomben-Auftritt! Die Vortäuschung einer Schwangerschaft ist einer ihrer Tricks, vom Mord an ihrem Liebhaber freigesprochen zu werden und Karriere zu machen.

Das Musical basiert auf wahren Skandalen. Maurine Dallas Watkins, eine Reporterin der Chicago Tribune, schrieb 1924 über die ruhm- und ruchlose Sängerin Belva Gaertner, die wegen Mordes an ihrem Ehemann vor Gericht stand. Der Artikel machte die Angeklagte zum Star. Kurz darauf schrieb die Journalistin auch über die verheiratete Beulah Annan, die ihren Liebhaber erschossen hatte. Die kam frei, indem sie log, sie sei schwanger, und weil ihr Anwalt das Verfahren wie ein Schauspiel inszenierte. Das inspirierte die Reporterin, aus beiden Handlungssträngen ein Theaterstück zu stricken, das bereits 1926 uraufgeführt und 1942 verfilmt wurde.

Auch der Filmemacher und Choreograf Bob Fosse war fasziniert. Er brauchte zwar 13 Jahre, um sich die Rechte zu sichern, dann aber machte er 1975 aus dem Stoff zusammen mit Fred Ebb und John Kander ("Cabaret", "New York, New York") ein Singspiel. Es wurde das erfolgreichste amerikanische Musical am Broadway und am Londoner West End und war Vorlage war für den Film von 2003 mit Renée Zellweger, Catherine Zeta-Jones und Richard Gere, der sechs Oscars gewann.

"Es ist vollkommen zeitlos und hat einfach alles, was ein Musical haben soll", sagt Carien Keizer, "Schauspiel, Tanz, Musik und schwarzen Humor." Auch Caroline Frank war "gleich völlig im Glück", als die Proben anfingen. Gerade der markante, etwas schräge Tanzstil Fosses in der zackigen Choreografie hat es ihr angetan. "Ich wusste: Das ist genau das, was ein Musical-Darsteller machen möchte." Dabei hatte sie schon Hauptrollen in "Evita", "West Side Story", "Fame" oder "Marilyn". In "Chicago" kann sie, die auch in der Wiener Kabarettszene auftrumpfte, ihr komödiantisches Talent voll ausleben. Das habe sie einigen berühmten Besetzungen in "Chicago" von Ginger Rogers über Liza Minnelli bis zu den deutschen Broadway-Stars Anna Montanaro und Ute Lemper voraus, schmeichelt ihr die Mitspielerin Carien Keizer. "Körperliche Perfektion ist in der Rolle nicht wichtig."

Man könne sich nirgends verstecken, "und das ist toll", findet Carien Keizer, "Theaterleute lieben das. Aber du brauchst ein schlaues Publikum dafür." Selbst beim Schaulaufen für das nun anstehende fünfwöchige Gastspiel mitten auf dem Parkett des "Ball total" waren die Gäste dem Charme, Sex und Krawall jedenfalls erlegen. Trotz all der Ablenkung war gerade im reduzierten Glanz alles Jazz und "Ois Chicago".

Chicago, 5. März bis 10. April, jeweils Dienstag bis Sonntag, 19 Uhr, Deutsches Theater, Schwanthalerstr. 13

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