Am Deutschen Theater Berlin beginnt die Spielzeit mit Waldbränden, Zeckenbissen, Überschwemmungen, einem von einer Riesenschlange erwürgten Säugling, Schiffsuntergängen, dem verdienten Crash der europäischen Zivilisation und dem unvermeidlichen Untergang der Menschheit. Die Natur schlägt zurück, die Rache für die Verwüstungen des Anthropozäns ist fällig, das Aussterben der Arten erreicht endlich auch den Homo sapiens.
Und jetzt die schlechte Nachricht: Bedauerlicherweise werden diese Weltuntergänge in zwei erbarmungswürdig oberflächlichen Inszenierungen angerichtet. Auch eine Möglichkeit, die Avantgarde zu geben: Die Menschheit zerstört sich selbst, das Theater geht schon mal voraus.

T. C. Boyles Roman "Blue Skies":Wie nett, die Apokalypse ist da
In Florida steigt das Wasser, in Kalifornien brennen die Wälder. Doch T.C. Boyles Roman "Blue Skies" macht trotzdem keine Angst vor der Klimakatastrophe.
Die Regisseurin Anna Bergmann hat sich und dem Theater nicht unbedingt einen Gefallen damit getan, dass sie versucht hat, die von ihrer Regie-Kollegin Claudia Bauer begonnene und dann krankheitsbedingt abgebrochene Fellini-Adaption „Das Schiff der Träume (fährt einfach weiter)“ irgendwie zu retten. In den DT-Kammerspielen serviert Alexander Eisenach, der dem Deutschen Theater in der vergangenen Spielzeit mit „Weltall Erde Mensch“ eine peinliche Präpotenzdemonstration beschert hat, eine recht vernebelte Bühnenfassung von T. C. Boyles Ökokatastrophen-Roman „Blue Skies“. Die unfreiwillige Pointe beider Veranstaltungen ist natürlich, dass sie selbst die besten Beispiele für die Dekadenz der westlich-kapitalistischen Lebensweise sind, die sie so ausufernd beklagen.
Schrecken und Klage sind nur noch Geschmacksverstärker
Die sinnfreie Verschwendung kostbarer Ressourcen (zum Beispiel der Lebenszeit der Zuschauer), das narzisstische Kreisen um die eigene Befindlichkeit, der wohlstandsgepolsterte Ennui – hier lässt sich all das besichtigen. Es ist kein schöner Anblick. Die Mischung aus gedanklicher Konfusion, Bedeutungshochstapelei und freilaufendem Kunstgewerbe richtet einen trostlosen Cocktail an. Die Schrecken der ökologischen Katastrophe und die Klage über den moralischen Bankrott Europas werden als eine Art Geschmacksverstärker über lauter leerlaufende Theatermittel gekippt: Quatsch mit kulturpessimistischer Soße.
Die erste der beiden Inszenierungen verwendet Federico Fellinis Film „Schiff der Träume“ als Vorlage zur Illustration einer dekadenten Party-Gesellschaft, die sich freudlos ins Nirwana feiert. Ganz neu ist die Idee nicht. Schon vor einigen Jahren bediente sich Karin Baier bei dem Film, damals um den Luxuskreuzer der europäischen High Society mit den Flüchtlingsbooten im Mittelmeer zu kontrastieren. In ihrem unreflektierten Umgang mit rassistischen Stereotypen war diese Inszenierung ziemlich problematisch. Auch diesmal fehlt der Hinweis auf die Boote der Geflüchteten im Mittelmeer nicht, auch wenn er der Aufführung ganz am Ende eher zufällig und wie zur Gesinnungsdemonstration angeklebt wird: Dieses Thema müssen wir auch noch schnell abhaken.
Weil in Fellinis Film einer Operndiva das letzte Geleit gegeben und die Reise mit dem Traumschiff zumindest für die verblichene Sängerin zur Hades-Fahrt wird, gerät die morbide Party am Deutschen Theater zum Aufmarsch aufgekratzter Opernexzentriker auf dem Weg in den Untergang. Hochgetürmte Frisuren, Tänzchen auf High Heels, malträtierte Stimmbänder, Opernarien und Eitelkeiten aller Art, Selbstzweifel und Intrigen im Unterdeck – es fehlt nicht an Exaltiertheiten. Singend geht diese alteuropäische Welt zugrunde. Die Schrillheitsparade spreizt sich ermüdend, trotz Anja Schneider als Conférencier der Show, trotz Anastasia Gubareva und des furchtlosen Grotesk-Tenors Hubert Wild, trotz durchaus hübscher Musikuntermalung. Raunende Texte vom „Ende einer Epoche“, selbstverliebte Geständnisse des Scheiterns („wir haben es nicht geschafft, wir haben versagt“) machen es nicht besser. Die müde Schlusspointe gehört einem Nilpferd und einem Geier, irgendwann in der Zukunft: „Erinnerst du dich noch an die Menschen?“ - „Grrrrmmmhhh...“ Nun ja.

Ähnlich konfus und in den szenischen Mitteln so auftrumpfend wie beliebig gerät Alexander Eisenachs Romanadaption „Blue Skies“: Mehr Atmosphärennebel als Erzählung, Gebrauchspsychedelik auf der Drehbühne im Dauereinsatz (Bühne: Daniel Wollenzin). Mit Schleiertänzen im harten weißen Gegenlicht wird auch hier die Endzeitparty gefeiert, während Florida im Meer versinkt und Kalifornien brennt. Egal, das Personal ist sowieso von unzähligen Drinks, Nachmittagscocktails, Feierabendbieren und Entspannungsrotweinen angeschickert, geistige Klarheit ist nicht zu befürchten.
Kalifornische Wohlstandshippies stellen ihre Ernährung zur Rettung des Planeten auf Tacos aus Insektenmehl um und stellen sich Brutboxen für ihre Grillen in die Küche. Eine verdrehte Influencerin legt sich zur Persönlichkeitsaufwertung und gegen die Langeweile eine Tiger-Python zu (Mareike Beykirch), ihr breitbeiniger Cowboyhut-Ehemann (Jeremy Mockridge) verdient sein Geld als Bacardi-Promoter, sein ganzer Stolz ist sein neuer Tesla. Es sind lauter Klischeefiguren, und sie sollen es sein: Typenparade statt Psychologie.
Der halbgare Start in die neue Saison schließt nahtlos an die schwache vorige Spielzeit an
Man gönnt es ihnen von Herzen, dass das Hochwasser in Florida ihre Autos wegspült, dass ihre Häuser von Schimmel und Holzwürmern zerstört werden und dass ihr Wein dank der ewigen Waldbrände im zur Wüste vertrockneten Kalifornien nach Asche schmeckt. Prasseln all die zerstörerischen Naturgewalten in Boyles satirischem Roman schon recht plakativ auf seine Figuren ein, sind sie in Eisenachs Inszenierung nur noch comichafte Menetekel, Entertainment-Zutaten, die zum wohligen Schaudern einladen.
Dass eine Spielzeit mit zwei halbgaren Inszenierungen beginnt, kann vorkommen. Aber am Deutschen Theater schließt dieser Saisonauftakt mit der unangenehmen Kombination aus plumpen Botschaften (ja, der Klimawandel findet wirklich statt) mit ebenso plumpen ästhetischen Mitteln auf ungute Weise nahtlos an die vorige Saison an. Der Intendantin Iris Laufenberg, die das Theater seit vergangener Spielzeit leitet, ist in ihrem ersten Berliner Jahr nur ein sehr durchwachsenes Programm gelungen. Die zahlreichen Übernahmen aus Graz, ihrer früheren Wirkungsstätte, wirken hier einigermaßen hilflos und provinziell. Das Ensemble bleibt im Vergleich mit den anderen Hauptstadt-Bühnen relativ blass.

Deutsches Theater Berlin:Gefährlich im Minus
Trotz üppiger Subventionen hat das Deutsche Theater in Berlin anscheinend ein massives Geldproblem. Und nun?
Einzelnen Höhepunkten wie der Rainald-Goetz-Uraufführung „Baracke“, Claudia Bauers furioser Dada-Show „Ursonate“, Anita Vulesicas Angestellten-Farce „Die Gehaltserhöhung“ oder Anne Lenks raffinierte „Katze auf dem heißen Blechdach“ stehen in der Bilanz zu viele Komplettabstürze wie Eisenachs „Weltall“-Desaster gegenüber. Anderes genügt sich in der plakativen Gesinnungsdemonstration. Die Auslastung der vergangenen Spielzeit ist mit 75 Prozent im großen Haus kein Alarmzeichen, aber auch nicht überwältigend. Mit insgesamt gut 150 000 Besuchern hatte das Deutsche Theater bei einem Etat von 30 Millionen Euro rund 40 000 Besucher weniger als beispielsweise das deutlich kleinere, künstlerisch wesentlich strahlendere Berliner Ensemble, das mit einem Drittel weniger Subventionen auskommt.
Dass am Deutschen Theater, wenn auch ohne Verschulden der Intendantin, ein Millionendefizit aufgelaufen ist und dass die fristlose Kündigung des langjährigen Geschäftsführers juristisch so unsauber war, dass ihm das Theater eine hohe Abfindung zahlen musste, macht die Situation nicht komfortabler. Um es sehr höflich zu sagen: Da ist noch etwas Luft nach oben.