Süddeutsche Zeitung

Deutsches Kino:Mann und Frau, wehrlos

Der Autorenfilmer Tom Lass gehört zur "Mumblecore"-Bewegung und spielt in seinen Filmen gern selbst den verpeilten Schmerzensmann. In "Blind & Hässlich" wird aber nun die Liebe erprobt.

Von Philipp Bovermann

Wenn ich jemandem die Hand schüttele, dann fasse ich ihm ins Gesicht", sagt Jona, die Blinde, die gar nicht wirklich blind ist - "darf ich dir die Hand schütteln?" Ferdi, der Hässliche, will lieber nicht. "Komm her", sagt sie, grapscht vorsichtig in seinem Gesicht herum. Er will ihr Gesicht auch anfassen, aber das sieht sie nicht ein, er könne sie ja sehen. "Und, was ist dein Resümee?", fragt er schließlich. "Du hast ein Gesicht", sagt sie.

Szenen wie diese machen aus "Blind & Hässlich" so was wie die melancholische Langversion jenes Porno-Prologs, der vor einigen Jahren als Lachnummer durchs Internet geisterte. Da stehen Mann und Frau in irgendeinem schäbigen Kellerabteil. Irgendwas soll wohl noch gesagt werden, bevor es zur Sache geht, also stammelt er ratlos die berechtigte Frage heraus, warum hier eigentlich Stroh rumliegt. Sie weiß es auch nicht und antwortet mit der Gegenfrage, warum er denn eine Maske trägt. Achselzuckend machen sich die beiden danach aneinander zu schaffen.

Auch in "Blind & Hässlich" sollen zwei junge Menschen zueinanderfinden und vorher noch etwas improvisieren. Der Regisseur Tom Lass gehört nämlich zur sogenannten "Mumblecore"-Bewegung, die aus New York nach Berlin kam und nach dem lebensechten Gemurmel ihrer Darsteller benannt ist. Gedreht wird guerillaartig, mit Minibudget und mit ganz viel Improvisation von allen Beteiligten. Diese wilde Feier des Moments hat oft auch wilde Filme zur Folge. Der Kameramann Eugen Gritschneder hat einmal erzählt, wie bei Nico Sommers "Familienfieber" ein Take ablief, zu dem im Skript nur stand, dass jemand aus dem Auto aussteigt. "Der Schauspieler steigt aus dem Auto aus. Zwanzig Minuten später ist er durch alle Zimmer gelaufen, ist heulend zusammengebrochen, schreiend in den Garten raus, und nach 26 Minuten war der Take zu Ende."

Die Filme des 34-jährigen Tom Lass hingegen zeichnen sich bislang durch eine zögerliche Verpeiltheit aus, passend zu den männlichen Hauptrollen, die er immer selbst spielt. Es sind Varianten des Männertyps, der vor einigen Jahren unter dem Kampfbegriff "Schmerzensmann" durch die Republik geisterte. In "Kapt'n Oskar" (2013) steht dieser nachts fröstelnd vor dem Campingzelt, eine einsame Zigarette rauchend. Seine Freundin, die seine Nähe zum Kuscheln, aber keinen Sex will, fragt ihn, ob er denn nicht reinkommen möchte, was denn das Problem sei, ob es überhaupt eins gebe. "Es könnte alles so schön sein. Mit dir ist irgendwie alles so schwer."

"Blind & Hässlich" ist nun ein spannender Versuch, wie das Modell Schmerzensmann plus Frau trotzdem klappen kann, ohne die kulturgeschichtliche Rolle rückwärts zu machen, die sich derzeit allenthalben beobachten lässt. Als Film ist dieser Versuch zunächst irritierend. Tom Lass hat für den weiblichen Part Naomi Achternbusch engagiert, die Tochter des bayerischen Anarcho-Regisseurs Herbert Achternbusch, der seinerzeit auch so eine Art Wirtshaus-Mumblecore gemacht hat. Sie spricht und guckt, als sei sie nur zur Hälfte da, wie aus großer Entfernung. Ihre Figur Jona ist vor dem Abitur und dem Ernst des Lebens nach Berlin davongelaufen. Um eine Wohnung in einem Blindenwohnheim zu bekommen, tut sie so, als sei sie blind. Sie bringt gerade den Blindenhund einer Freundin in die "Reparatur", da begegnet sie Ferdi, also Tom Lass. Der ist, ganz Schmerzensmann, frisch aus der inneren und äußeren Emigration zurück ins Leben gekehrt. Er hat im Wald gelebt, jetzt ist er in Berlin und will von einer Brücke springen, als Jona vorbeikommt.

Der junge Mann siezt die junge Frau: "Bitte gehen Sie weiter." Er habe hier gerade zu tun. Eine Szene, die anderswo mit maximaler Dramatik inszeniert worden wäre, findet hier einfach so statt. Ob er ihr den Weg zur Hundeschule zeigen könne, fragt sie trotzdem. Er so: Na gut. Dann gehen sie zusammen zur Hundeschule. Und dann geht das halt so weiter.

Hier wird nicht schlecht geschauspielert, sondern nur wenig

Auf den ersten Blick ist das schlechtes Schauspiel. Aber hier wird nicht schlecht geschauspielert, sondern nur wenig. Beim Theater würde man von "Postdramatik" sprechen. Jona schielt meist abwesend, sie spielt schließlich blind, aber manchmal muss sie kichern, und man weiß nicht, kichert da die Figur oder Naomi Achternbusch? Jona findet sozusagen auf einer Metaebene statt und lässt dem frauenscheuen Ferdi dadurch den Platz, den er braucht, um nicht davonzulaufen. Weil sie vermeintlich blind ist, muss er sich vor ihr nicht hässlich fühlen. Sie durchbricht dadurch die ewige gegenseitige Selbstbespiegelung, so wie es früher der männliche Held tat, wenn er sagte: "Mach die Augen zu und küss mich, Baby!" Jona tut das, ohne auf ein Kommando zu warten.

Er für seinen Teil hat eine, sagen wir, anzügliche Harmlosigkeit zu bieten, also das, was auch den Film auszeichnet. Jona darf sich an den schwabbeligen Männerbrüsten von Axel Ranisch ausheulen. Der Regisseur von "Dicke Mädchen" und "Alki Alki" spielt hier - nein, er verkleidet sich als Polizist und rät mit Kümmermiene: "Fährste schwarz, is besser." Es wird viel planlos geredet und gelebt, zwischendurch gehen sie kegeln. Man braucht schon eine gehörige Portion Mut, einen so herrlich langweiligen Film zu machen, und genau dieses entspannte Gähnen aus der Tiefe der Melancholie ist der Sex-Appeal des Schmerzensmanns.

Weil zum stets latenten Witz die Pointe nicht kommt, rückt die Traurigkeit nach. "Wäre es nicht schön, wenn ich auch sehen könnte?", fragt Jona. Als Ferdi in einer Szene verdroschen wird, greift sie zum Baseballschläger, wie die Mädchen in "Tiger Girl" von Jakob Lass, dem Bruder von Tom Lass. Aber nicht die Gewalt erzwingt hier die Lösung, es gibt vielmehr keine. Und wo keine Lösungen mehr sind, werden Wunder möglich. Mann und Frau stehen sich wehrlos gegenüber, am Nullpunkt des Schauspiels der Geschlechter, der ein Raum von großer Stille und Zärtlichkeit ist. Bis sich irgendwann eine Frage stellt.

Blind & Hässlich, D 2017 - Regie: Tom Lass. Buch: Lass, Ilinca Florian. Kamera: Jieun Yi. Mit Naomi Achternbusch, Tom Lass. Darling Berlin, 105 Min.

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Quelle:
SZ vom 21.09.2017
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