Süddeutsche Zeitung

Deutsches Debüt:Ohne Gedächtnis

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Was macht der Deutsche in Argentinien? Damiano Femferts Debütroman "Rivenports Freund" hat sich viel vorgenommen, löst aber wenig ein.

Von CHRISTOPH SCHRÖDER

Es ist die Kaspar-Hauser-Geschichte, die Damiano Femferts Debütroman als Folie unterlegt ist: An einem Junitag des Jahres 1952 wird in der nordargentinischen Provinz Jujuy, im Grenzbereich zum westlichen Nachbarland Chile, ein verletzter Mann gefunden. Er hat nichts als seine Kleider am Leib, keine Papiere bei sich, ist nicht bei Bewusstsein und wird in das Krankenhaus der in der Nähe gelegenen Provinzstadt S. gebracht. Dessen Chefarzt, Dr. Rodrigo Sebastian Rivenport, wird zu seinem Unmut von seiner Haushälterin beim Sortieren seiner Schmetterlingssammlung im Keller seines Hauses gestört und an das Bett des Unbekannten gerufen, der von nun an über Monate hinweg die Gerüchteküche der Stadt am Köcheln hält.

Die Kernfrage, die sich aus der Konfrontation des nicht sprechenden, aber permanent besprochenen Fremden mit einer in sich geschlossenen Gemeinschaft ergibt, ist im Grunde jene Frage, die gegenwärtig wieder an Dringlichkeit gewinnt: Wie viel Zuschreibung und wie viel Eigenanteil stecken in dem, was wir als Identität bezeichnen? Der Fremde, ein für die Gegend untypisch großer, noch dazu blonder und blauäugiger Mann, ist als bloße Projektionsfläche den Spekulationen ausgesetzt und beginnt naturgemäß erst nach seinem Aufwachen aus dem Koma Eigenschaften zu entwickeln: So verwirrt auch sein Geist zu sein scheint, so groß sind seine Begabung für das Orgelspiel und, das wird als komisches Element und Kontrapunkt zur katholischen Frömmigkeit inszeniert, seine Geilheit. Ein durchreisendes englisches Ehepaar stellt die Vermutung an, der Mann könne Deutscher sein. Darauf angesprochen, bringt er den Namen "Kurt" hervor. So wird er auch zukünftig genannt werden.

Femferts in der Anlage kluger Plot entwickelt zu Beginn eine Spannung, die sich aus dem historischen Kontext speist: Ein Deutscher, der wenige Jahre nach Kriegsende in Südamerika auftaucht, eignet sich bestens als literarisches Spekulationsobjekt: Ist Kurt möglicherweise ein Täter? Ein Opfer? Ein Schmuggler oder ein Selbstmörder?

In "Rivenports Freund" ist das NS-Regime gerade einmal seit sieben Jahren passé

Damiano Femferts Roman scheitert allerdings zunehmend an der strategischen Grundsatzentscheidung des Autors, seine Geschichte zwar in der dritten Person, aber aus der Perspektive des Arztes Rivenport zu erzählen: Ein verwitweter Mann um die 50; ein Langweiler, dessen größte und von Femfert vollkommen überzeichnete Angst die vor Veränderungen ist. Die wenig originelle Gedankenwelt dieser Figur wird ungefiltert übernommen und infiziert den Text mit ihrer Banalität: Die Anden? "Das Jagdrevier der Adler und Kormorane. Das Reich der Zorros, Chinchillas und einer Vielzahl unentdeckter Insektenarten." Man kommt hungrig nach Hause? "Die gute Maria würde sicher etwas Feines gezaubert haben." Tiefschürfend wird es auch immer, wenn Rivenport über Grundsätzliches sinniert: "Religion, Gott und Glaube sind ähnlich wie Metaphysik oder Mathematik abstrakte Konzepte, die nicht leicht zu erklären sind." Oder auch: "Chile und Argentinien, tatsächlich zwei unterschiedliche Welten." Die Reihe der in den Textfluss gespülten Phrasenmüll-Beispiele ließe sich beliebig fortführen.

Das überschaubare Reflexionsniveau der Hauptfigur und deren bräsige Ausdruckswelt finden ihre Entsprechung in der Art und Weise, wie Damiano Femfert seinen vielversprechenden Ansatz verschenkt. Rivenports akribisch gepflegtes Hobby der Schmetterlingssammlung ist eng verbunden mit dem Phänomen der Verpuppung und der Transformation eines Wesens in ein anderes.

In "Rivenports Freund" ist das NS-Regime gerade einmal seit sieben Jahren passé. Die Kurt-Frage könnte also lauten: Wie anpassungsfähig an die sich verändernden äußeren Umstände kann ein Individuum sein? Ist Kurt, das vermeintlich unbedarfte musikalische Genie, dem sich der menschenscheue Rivenport vorsichtig freundschaftlich annähert, traumatisiert oder ein glänzender Schauspieler?

All das ist in "Rivenports Freund" bestenfalls angerissen, im ungünstigsten Fall einfach nur benannt, ohne erzählerisch ausgeführt oder in evidente Zusammenhänge gebracht zu werden. Dem hochbrisanten politischen Aspekt, der in der Figur des Kurt steckt, wird Femfert ebenso wenig gerecht wie dem dämonischen Potential, das sich aus dem Spiel mit dem Klischee des blonden, hünenhaften, blauäugigen Deutschen schöpfen ließe.

Das Porträt eines einsamen, in sich gefangenen Mannes auf der Suche nach einem Ausweg aus der Einsamkeit, psychologisches Verwirrspiel, historisch determinierter Krimi - all das wollte Damiano Femfert möglicherweise schreiben, doch endet sein aufwendig aufgepumpter Roman dann doch mit einem enttäuschenden Zischen. "Rivenports Freund" ist der Fall eines ambitionierten Autors, der sich bei seinem Debüt überhoben hat.

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SZ vom 21.02.2020
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