Süddeutsche Zeitung

Deutsches Debüt:Hexenkessel

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Die Rechtsextremen werden lauter, der migrantische Widerstand formiert sich: Cihan Acars Debütroman "Hawaii".

Von Christoph Schröder

Sina besitzt einen eigenen Bungalow mit Pool, den die Eltern ihr in den Garten ihres Anwesens gestellt haben. Am Beckenrand lümmelt die Jeunesse dorée von Heilbronn herum: Tom und Julia und Rob und Sina. Und Kemal. Irgendwann fangen sie an, Kemal türkisch anmutende Quatschsätze zuzurufen; Sätze mit möglichst vielen Ü und Ö. Sie denken sich Schimpfwörter für ihn aus. Später stiehlt Kemal sich von dem herrschaftlichen Grundstück, auf dem noch gefeiert wird: "Es war Zeit, wieder hinabzusteigen zum Rest der Stadt, zum Dampf und Rauch, zum Lärm und Geschrei. Dorthin, wo es nach Suppe roch und wo ich hingehörte, ob ich wollte oder nicht."

Nicht immer sind die Gegensätze in Cihan Acars starkem Debütroman so klar gezeichnet wie in dieser Szene. Oftmals verwischen die Zugehörigkeiten, die Milieus und Frontlinien bis zur Unkenntlichkeit - um am Ende umso schärfer und gewalttätiger wieder in Szene gesetzt zu werden. Eines allerdings steht außer Frage: Wer aus Hawaii kommt, kommt von ganz unten. "Hawaii" ist der Spitzname eines verrufenen Stadtviertels in Heilbronn. Ein Quartier, von allen Seiten eingepfercht von Industriebauten, in dem in den Achziger- und Neunzigerjahren der Drogenhandel florierte und das als Ghetto verschrien war.

Cihan Acar wurde 1986 in Heilbronn geboren. Kemal Arslan, sein Protagonist und ich Erzähler, ist 21 Jahre alt und nach einem so kurzen wie schicksalhaften Ausflug in die Türkei zurück nach Heilbronn, zurück in sein Elternhaus gekommen. Der talentierte Fußballer Kemal war in Gaziantep mit einem Profivertrag und einem Jaguar ausgestattet worden. Kurz darauf baute er bei einem Autorennen einen Unfall. Der Jaguar war Schrott, Kemals linker Fuß musste mehrfach operiert werden, die Profikarriere ist beendet. Da ist er also nun wieder in Hawaii, ohne Gehaltsfortzahlung und ohne Vorstellung, wie es mit ihm weitergehen könnte.

Cihan Acar hat seinen Roman als Druckkessel konstruiert. Das Geschehen in "Hawaii" ist zeitlich auf vier Tage in einem unerträglich heißen Sommer eingegrenzt: Zwischen Donnerstag und Sonntag braut sich etwas zusammen, etwas Unheilvolles. Die Fronten verdichten sich, was sich bereits in der Eröffnungsszene andeutet, in der Kemal auf dem Nachhauseweg in einer Kneipe in unschönstem schwäbischen Dialekt deutlich gemacht wird, dass er, "der Türk", hier fehl am Platz sei. Das Aufgeriebenwerden im ewigen Zwischendrin, zwischen zwei Welten, Erwartungshaltungen, Selbstzweifeln und Alltagsrassismus ist eines der Hauptmotive des Romans, der bei allem Ernst, mit dem Acar seinem Protagonisten begegnet, auch über dosierte Komik verfügt. Die speist sich unter anderem aus Acars ausgezeichnetem Gespür für die unterschiedlichen Soziolekte, die in die Dialoge eingearbeitet sind.

Das Aggressionslevel steigt in der überhitzten Stadt von Stunde zu Stunde

Der Schriftsteller Tonio Schachinger hat in seinem im vergangenen Jahr erschienen, viel beachteten Debüt "Nicht wie ihr" das Innenleben eines nur von außen betrachtet unterkomplexen österreichischen Fußballprofis mit jugoslawischen Wurzeln literarisch ausgearbeitet. Cihan Acars Roman ist weniger forciert auf Pointe hingeschrieben, stattdessen ist die Perspektive weiter und die Erzählstimme differenzierter gehalten: Kemal Arslan ist keiner der großspurigen Checker aus der türkischen Community, die ihn dezidiert als Türken in die Pflicht zu nehmen versucht. Kemal ist ein Suchender, ein Beobachter, durch den die Ereignisse fließen und dessen Eigenwahrnehmung in einer, wie zugunsten des Autors anzunehmen ist, bewussten Widersprüchlichkeit angelegt ist: "Ich bin nicht falsch", sagt Kemal einmal, "ich bin nur manchmal dumm". Angesichts seines Reflexionsniveaus ist der Satz eigentlich als Koketterie.

Kemal gehört nicht dazu, nirgendwo. So irrt er durch die Straßen der ziemlich großartig unangenehm gezeichneten Stadt Heilbronn, absolviert auf Drängen des Vaters ein obskures Vorstellungsgespräch mit einem türkischen Geschäftsmann, besucht seinen demolierten Jaguar in einem Parkhaus, führt in Gedanken Gespräche mit dem Auto und versucht, den Kontakt mit seiner Ex-Freundin Sina neu zu knüpfen, den er von der Türkei aus abgebrochen hatte. Währenddessen steigt das Aggressionslevel in der in jeder Hinsicht überhitzten Stadt von Stunde zu Stunde. Gegen die lauter werdende rechtsextreme HWA-Bewegung ("Heilbronn, wach auf") formiert sich ein migrantischer Widerstand, dessen Akteure den Heimatbegriff mindestens in Bezug auf das Hawaii ebenso für sich beanspruchen wie die kahlrasierten Almans und deren Gefolge.

Wer benutzt welche Slogans? Wer hat das Recht, welche Symbole als Zeichen der Distinktion öffentlich zu tragen oder zu zeigen? Wie tief sitzt die Demütigung bei einem in Deutschland geborenen Türken, der an der Tür bei einer Party abgewiesen wird, obwohl er eingeladen ist? Die Eltern oder Großeltern sind nach Deutschland gekommen, arbeiten bei Mercedes, verkaufen Gemüse oder Döner.

Aber was sonst? All diese Fragen verteilt Cihan Acar, der J.D. Salinger und Jakob Arjouni als literarische Referenzgrößen nennt, auf unterschiedliche Figuren und deren biografische Erfahrungen. Es steckt viel Wut, aber noch mehr Sehnsucht nach Anschlüssen in diesem Roman, mit dem Acar jenseits allen Authentizitätsgehabes eine schlüssige Deutschland-Momentaufnahme gelungen ist.

Cihan Acar : Hawaii. Roman. Hanser Berlin Verlag, München 2020. 254 Seiten, 22 Euro.

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Quelle:
SZ vom 20.02.2020
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