Der Deutsche Sachbuchpreis 2024 geht an Christina Morina für ihr Buch „Tausend Aufbrüche – Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er Jahren“ (Siedler Verlag). Die Bielefelder Historikerin geht darin anhand von bislang wenig beachteten Selbstzeugnissen den Demokratievorstellungen von Bürgern und Bürgerinnen in Ost und West auf den Grund. In der Begründung der siebenköpfigen Jury unter Vorsitz des Kulturjournalisten Stefan Koldehoff heißt es unter anderem: „Demokratien befinden sich auf der ganzen Welt in der Krise. Die Frage aber, was es eigentlich heißt, Demokratie zu leben, gerät dabei oft in den Hintergrund.“ Methodisch raffiniert und augenöffnend liefere das Buch auch anhand von Briefen, Petitionen und Flugblättern „notwendige Impulse“ für die aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen: „Demokratie ist Prozess, kein Zustand.“
Anders als beim Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse, der überraschend und für viele Kritiker unverständlicherweise an das eher sperrige Buch „ca. 1972 – Gewalt, Umwelt, Identität, Methode“ des Popkulturhistorikers Tom Holert ging, war „Tausend Aufbrüche“ schon nach seinem Erscheinen im September vergangenen Jahres viel beachtet und hochgelobt worden. Auch in der SZ. Nicht zuletzt nach den Ergebnissen der Europawahl im Osten, bei denen die AfD zur stärksten politischen Kraft wurde, erscheint das Buch aktueller denn je. Wer wissen möchte, wie es so weit kommen konnte, dürfte bei Christina Morina einige Antworten finden.
Für die Preisverleihung, die am Dienstagabend im Kleinen Saal der Hamburger Elbphilharmonie stattfand, hatte die Jury aus 191 Einsendungen von 115 Verlagen neben „Tausend Aufbrüche“ noch sieben weitere – und durchweg empfehlenswerte – Bücher nominiert: „Verkaufte Zukunft – Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht“ (Suhrkamp) von Jens Beckert, „Kant – Die Revolution des Denkens“ (C.H. Beck) von Marcus Willaschek, „Die Königin – Nofretetes globale Karriere“ (Propyläen) von Sebastian Conrad, „Das deutsche Alibi: Mythos ‚Stauffenberg-Attentat‘ – wie der 20. Juli 1944 verklärt und politisch instrumentalisiert wird“ (Goldmann) von Ruth Hoffmann, „Müll – Eine schmutzige Geschichte der Menschheit“ (C.H. Beck) von Roman Köster, „Die vulnerable Gesellschaft – Die neue Verletzlichkeit als Herausforderung der Freiheit“ (C.H. Beck) von Frauke Rostalski und „Niemals Frieden? Israel am Scheideweg“ (Propyläen) von Moshe Zimmermann.
Die Preisträgerin erhält 25 000 Euro, die sieben Nominierten je 2500 Euro. Gestiftet wurde der Preis, der zwar erst 2021 zum ersten Mal verliehen wurde, aber neben dem Preis der Leipziger Buchmesse der wichtigste Sachbuchpreis des Landes ist, von der Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Hauptförderer ist die Deutsche-Bank-Stiftung.