Musikszene:Neuer Swing in der Nische

Musikszene: Brandee Younger an der Harfe bei der Verleihung des Deutschen Jazzpreises 2022

Brandee Younger an der Harfe bei der Verleihung des Deutschen Jazzpreises 2022

(Foto: Melissa Erichsen/dpa)

Der Deutsche Jazzpreis und die Musikmesse "Jazzahead" in Bremen zeigen eine Musikrichtung in Hochform. Es gibt nur ein Problem.

Von Oliver Hochkeppel

Wenn alle Verbesserungen so schnell greifen würden wie beim Deutschen Jazzpreis, dann hätte die Szene ein paar Sorgen weniger. Aus einem zähen Dreieinhalb-Stunden-Stream in vier Clubs beim Stapellauf im vergangenen Jahr wurde heuer eine kurzweilige, manchmal fast zu flotte Eineinhalb-Stunden-Präsenzveranstaltung im Bremer Metropoltheater. Um einzuordnen, was das bedeutet, vielleicht eine kurze Rekapitulation der Vorgeschichte. 2018 riss der Skandal um die Rapper Kollegah und Farid Bang nicht nur den Pop Echo in den Abgrund, sondern auch parallele Versuche bei Klassik und Jazz, so etwas wie einen deutschen Grammy zu etablieren. Der seit 2010 vergebene Echo Jazz war zwar kein reiner Wirtschaftspreis, litt aber ebenfalls an etlichen Geburtsfehlern, zum Beispiel durch die undotierte Vergabe durch den Branchenverband Deutsche Phono-Akademie. Als Nachfolger wurde 2021 eben der Deutsche Jazzpreis installiert, getragen von der vom Deutschen Bundestag angestoßenen gemeinnützigen "Initiative Musik". Und in 31 Kategorien mit jeweils 10 000 Euro für die Gewinner dotiert, was für die meisten deutschen Jazzmusiker fast einem Jahreseinkommen gleichkommt.

Es ist schwer genug, der Nischenveranstaltung eines Genres wie dem Jazz, der lediglich 1,5 Prozent Anteil am deutschen Musikmarkt ausmacht, einen Hauch von Öffentlichkeitswirkung zu verschaffen. Wenn der Deutsche Jazzpreis so weitermacht, könnte es gelingen. Weil man bei der Konzeption schnell gelernt hat. Viel wurde geändert. Musiker dürfen sich jetzt selbst bewerben. Die Jurys wurden besser besetzt. Vor allem aber wirkte sich die radikale Straffung der sich wiederholenden Rituale, die die meisten Preis-Galas so unattraktiv machen, positiv aus. Nach der Vorstellung der jeweils drei Nominierten wurden die meisten Preisträger schlicht verkündet. Nur Ausgewählten wurde die Ehre einer erstmals von professionellen Sprechern vorgetragenen Laudatio oder gar einer Dankesrede zuteil. Hatte sich doch in der Vergangenheit gezeigt, dass die meisten Jazzmusiker und Branchengrößen keine geborenen Redner sind. Schon gar nicht kommen sie an den Effekt heran, den Dietmar Wunder erzielt, die deutsche Stimme von James Bond.

Unter den 31 Kategorien lassen sich vielleicht einige finden, die verzichtbar sind

So waren die Höhepunkte des Abends dann auch wirklich welche. Etwa die anekdotenreiche, auf exzellentem Deutsch gehaltene Grußbotschaft des aus Chicago zugeschalteten George E. Lewis beim Ehrenpreis für den Saxofonisten Ernst-Ludwig "Luten" Petrowsky, einer Schlüsselfigur für den Jazz in der DDR. Oder die pointierte Rede der ukrainischen Sängerin und Pianistin Tamara Lukasheva über die Aufgabe der Kunst unter den aktuellen Vorzeichen. Oder die Dankesrede des französischen Sopransaxofonisten Émile Parisien in seinem lustigen Englisch. Und weil von Fola Dada (Vokal national) bis Linda Oh (Saiteninstrumente international), von Gebhard Ullmann (Holzblasinstrumente national und Sonderpreis der Jury) bis Sylvie Courvoisier (Piano international), von Oliver Steidle (Schlagzeug national) bis Michael Mayo (Künstler des Jahres international), von Charlotte Greve (Künstlerin des Jahres national) bis Magro (Debüt-Album), von Punkt.Vrt.Plastik (Band national) bis Sons of Kemet (Band international) die ganze Bandbreite des Jazz abgedeckt und tatsächlich die Relevanz im zu bewertenden Jahr ausgezeichnet wurde, blieben auch bei den Preisträgern nur die üblichen subjektiven Vorbehalte übrig.

Jetzt müsste man nur noch die 31 Kategorien entschlacken. Verzichtbar wäre etwa die Ehrung der Jazzclubs, für die es mit dem "Applaus" bereits ebenso einen eigenen Preis gibt wie für die Jazzjournalisten - auch wenn es aus lokalpatriotischer Sicht sehr erfreulich war, dass der "Deutsche Jazzpreis für journalistische Leistung" heuer an den SZ-Redakteur Andrian Kreye ging. Damit könnte man den Moderatoren - Hadnet Tesfai und Götz Bühler, kompetent und charmant - den Schweinsgalopp ersparen und Platz schaffen für ein, zwei in der Aftershow verschenkte Musikbeiträge wie von Nubya Garcia. Und im nächsten Jahr eine nahezu perfekte Veranstaltung bekommen.

Zumal der Deutsche Jazzpreis mindestens noch im kommenden Jahr in Bremen und an die "Jazzahead" gekoppelt bleibt. Ein Synergieeffekt, der für die Präsenz von Musikern wie Publikum ein Übriges tat. Wer dann die drei Tage auf der inzwischen weltgrößten Jazzmesse samt Festival mit heuer 3500 Ausstellern und Akkreditierten aus 60 Ländern anhängte, sah zudem manche deutschen Probleme noch klarer. Bei der Zahl und Güte von Musikern, Musik und selbst dem strukturkriselnden Unterbau von Labels, Vertrieben und Promotern, das veranschaulichten die Showcase-Konzerte wie die diversen Präsentationen, muss sich Deutschland international schon lange nicht mehr verstecken. Was fehlt, ist Publikumsresonanz, wie der Vergleich mit dem diesjährigen Gastland Kanada zeigte, aber auch die Zugriffszahlen und Ticketverkäufe beim Deutschen Jazzpreis. Was wiederum an strukturellen Defiziten bei Bildung, Medien, Förderung, Export und vielem mehr liegt. Auch da tut sich was, aber das ist eine andere Geschichte.

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