Deutscher Filmpreis:Comeback für das Kino

Deutscher Filmpreise 2021

Senta Berger und ihr Sohn, der Regisseur Simon Verhoeven, der die Lola für den besucherstärksten Film "Nightlife" erhalten hat.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Schneller, strahlender, diverser: So präsentiert sich die Branche beim Deutschen Filmpreis in Berlin. Gefeiert wird die unkorrumpierbare Senta Berger, die visionäre Maria Schrader und ein Lehrer, der seine Schüler auch mal träumen lässt.

Von Christian Mayer

Das Bild des Abends ist die überlebensgroße Maria Schrader, wie sie erst ganz still in einem Hotelzimmer an der amerikanischen Ostküste sitzt, hinter sich eine hölzerne Wand, vor sich eine einsame gelbe Rose auf dem Tisch. Und dann bricht es plötzlich aus ihr heraus, sie füllt den riesigen Saal im Palais am Funkturm mit ihrem ansteckenden Lachen - und schickt eine Dankesbotschaft von New York nach Berlin. Die Regisseurin von "Ich bin dein Mensch" hat gerade die wichtigsten Auszeichnungen beim Deutschen Filmpreis gewonnen, bester Spielfilm, beste Regie, bestes Drehbuch mit Jan Schomburg, beste weibliche Hauptdarstellerin mit Maren Eggert; momentan dreht sie schon ihren nächsten Film, deshalb kann sie nicht live dabei sein. Schrader wirkt in der starken Vergrößerung wie eine animierte Skulptur, die personifizierte Freude - was wunderbar zu ihrem visionären Film passt, in dem eine Wissenschaftlerin eine Liebesbeziehung zu einem Roboter-Mann eingeht. "Jetzt bin ich doch echt gerührt", sagt sie. "Wir haben Räume geschaffen, die angstfrei sind, da war eine Weichheit und Zartheit, die diesen Film ermöglicht haben. Ich würde gerne immer so arbeiten."

Deutscher Filmpreis 2021

Maria Schrader, überlebensgroß: Das Bild des Abends.

(Foto: Soeren Stache/dpa)

Eineinhalb Jahre hat die Filmbranche auf solche Momente warten müssen, wegen der Pandemie gab es 2020 nur eine gestreamte Version des Deutschen Filmpreises. Es war eine harte, für viele auch existenziell bedrohliche Zeit, daran erinnert der Präsident der Deutschen Filmakademie Ulrich Matthes in seiner Begrüßungsrede. Doch nun dürfen wieder 1200 Gäste in den Saal, die ein Comeback feiern - die Wiedereröffnung der Kinos. Daniel Donskoy führt als singender und tanzender Moderator durch den Abend, seine Energie und Stimmgewalt sind bewundernswert, auch wenn ihm die Nervosität zu Beginn doch anzumerken ist und einige Gags im Funkenregen verloren gehen. Bloß keine Langeweile: Diese Lola-Gala soll die Zuschauer von den Corona-Sofas reißen, alles soll größer, schneller, strahlender und bunter sein, auch diverser als sonst; es wirkt, als habe jemand in der Regie sämtliche Regler auf die höchste Stufe gedreht.

"Da ist immer ein persönliches Defizit dabei"

Letztlich lebt so eine Preisverleihung aber von den Momenten der charmanten Übertreibung und Enthemmung, man braucht dazu die richtigen Protagonisten, Stichwort Rampensau. In dieser Hinsicht hat Oliver Masucci einiges zu bieten. Der Schauspieler bekommt die Lola für die beste männliche Hauptrolle - in Oskar Roehlers Film "Enfant Terrible" spielt er den Regie-Berserker Rainer Werner Fassbinder auf gnadenlos exzessive Weise. Und Masucci, der nach vier Nominierungen in den vergangenen Jahren nun endlich die begehrte Trophäe sein Eigen nennen darf, holt mächtig aus: wie er schon als Kind jeden Film im Kino sehen musste, immer die eine Mark fünfzig Eintrittsgeld in der Hosentasche, wie er die Realität komplett eintauschte gegen die großen Geschichten auf der Leinwand. Schauspieler, sagt Masucci, sind Getriebene: "Da ist immer ein persönliches Defizit dabei, wenn man auf der Bühne steht und sich von anderen angaffen lässt - ein gesunder Mensch macht so was nicht!"

Lola - German Film Award 2021 - Show

Lola für die beste männliche Hauptrolle: Oliver Masucci.

(Foto: Franziska Krug/Getty Images)

Einen Heiterkeitserfolg verbucht Thorsten Merten (beste männliche Nebenrolle in "Curveball"). Merten pfeift auf den Dresscode und überhaupt auf jede Form der Korrektheit, er kokettiert stattdessen mit seiner ostdeutschen Identität: "Wenn ich Deutsche Bank spielen soll, kommt immer Ortssparkasse raus, aber genau das wollte ja der Regisseur." Anders als die meisten Preisträger bedankt sich Merten auch nicht pflichtschuldig nur bei seiner Frau und seiner Agentin, bis das Orchester langsam den Rausschmeißer anstimmt, sondern auch bei den "Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik für die Finanzierung eines kostenlosen Studiums". Nach vielen Appellen für mehr Sichtbarkeit, Achtsamkeit und Gendergerechtigkeit wirkt das irgendwie befreiend.

Deutscher Filmpreise 2021

Lorna Ishema gewinnt in der Kategorie beste Nebenrolle.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Wie divers die Biografien im deutschen Film inzwischen sind, zeigt sich dann beim umjubelten Auftritt der in Uganda geborenen und in Hannover aufgewachsenen Lorna Ishema (beste Nebenrolle). Im Film "Ivie wie Ivie" spielt sie eine Afrodeutsche auf der Suche nach sich selbst, die endlich raus will aus der Klischeefalle. Eigentlich spricht Lorna Ishema für ganz viele Filmschaffende an diesem Abend, ob ausgezeichnet oder nicht: "Ich will, dass meine Figuren gesehen werden."

Mit Strickmütze zwischen den Smokingträgern

Nicht ganz so erfolgreich verläuft der Abend für Dominik Graf und seinen Film "Fabian oder Der Gang vor die Hunde", der bei vielen Mitgliedern der Deutschen Filmakademie zuvor als Favorit galt. Immerhin reicht es für die silberne Lola, Maria Schraders kurzweiliges Drama zwischen Mensch und Maschine schlägt den härteren, drei Stunden langen Berliner Großstadtfilm über die Zwanzigerjahre. Als bester Dokumentarfilm setzt sich der Favorit durch, "Herr Bachmann und seine Klasse": das Porträt eines Lehrers, der seinen Schülern mit Offenheit, Warmherzigkeit und Humor begegnet - und auch das ist ein großer Moment, wie dieser bescheidene Mensch mit seiner Strickmütze zwischen den Smokingträgern heraussticht und die richtigen Worte findet. Bachmann weiß, wie man ein Publikum unterhält, er zitiert sein Lebensmotto, eine Songzeile aus Hippiejahren: "Teach your children well and feed them on your dreams."

Höhepunkt des Abends ist die Verleihung des Ehrenpreises an Senta Berger. Ihr Kollege und langjähriger Bühnenpartner Klaus Maria Brandauer tritt als Überraschungsgast aus der Kulisse und hält eine Hommage an die mutige, kluge, schöne und unkorrumpierbare Wienerin, die schon lange in München lebt. Brandauer deutet an, wie viel Kraft es die junge Senta Berger gekostet haben muss, sich bei Dreharbeiten mit männlichen Filmstars auch in Hollywood gegen Übergriffe zu wehren, "aber sie konnte sich wehren, sie hat nichts zugelassen, was ihre Selbstachtung hätte verletzen können". So wurde aus Senta Berger ein Weltstar mit sozialem Gewissen und eine der beliebtesten Schauspielerinnen im deutschsprachigen Raum. Die Preisträgerin antwortet auf die Komplimente mit kontrollierter Selbstironie, einer Liebeserklärung an die Stadt Berlin, wo ihre Karriere einst beim Produzenten Artur Brauner begann, und einem innigen Dank an ihren Mann Michael Verhoeven, mit dem sie nun seit 55 Jahren verheiratet ist: "Michael hat mich sehr oft beschützt - auch vor mir selbst."

Die Lola 2021 zeigt vor allem eines: Der Deutsche Film hat das Selbstbewusstsein, sich das Publikum zurückzuerobern. Jetzt muss das Publikum nur noch die großen Gefühle erwidern.

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Oliver Masucci

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