Deutscher Buchpreis 2011 für Eugen Ruge:Mutlose Mitte

Eugen Ruges Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" ist lesenswert, aber konventionell erzählt. Warum sich die Jury des Deutschen Buchpreises für einen Kompromisskandidaten entschieden hat.

Volker Breidecker

Die Mitglieder der unabhängigen Jury, die im Auftrag des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels am Vorabend der Frankfurter Buchmesse zum siebenten Mal den Deutschen Buchpreis vergeben haben, tagten noch hinter verschlossenen Türen, da hatte das Verbandsorgan Börsenblatt den Preisträger schon selbst gekürt:

Eugen Ruge gewinnt Deutschen Buchpreis 2011

Ist sein Sieg das Ergebnis eines fragwürdigen Auswahlverfahrens? Eugen Ruge.

(Foto: dapd)

Bereits seit dem frühen Montagnachmittag war auf seiner Webseite folgende Meldung zu lesen: "Eugen Ruge hat mit seinem Werk 'In Zeiten des abnehmenden Lichts' (Rowohlt) den Deutschen Buchpreis gewonnen - zumindest wenn es nach unseren Lesern geht. Mit 1363 Stimmen ist er für die Börsenblatt-Leser der klare Gewinner. Wen die offizielle Jury ermittelt, erfahren Sie heute Abend auf boersenblatt.net." Dieselbe Meldung wurde zeit- und wortgleich auch auf der Homepage des Branchenblatts Buchjournal verbreitet.

Noch vor Wochen wurde der sechsköpfigen Jury aus fünf namhaften Literaturkritikern und der bekannten Autorin Ulrike Draesner - das siebente Mitglied, Clemens-Peter Haase, vormals Literaturbeauftragter in der Münchner Zentrale des Goethe-Instituts, war mitten im Verlauf des Auswahlverfahrens verstorben - in den einschlägigen Branchenblättern vorgehalten, sie sei viel zu elitär zusammengesetzt, um den Bedürfnissen des breiten Lesepublikums auch nur annähernd Rechnung zu tragen.

Doch Montagabend geschah das große Wunder: Die Jury einigte sich just auf Eugen Ruge, den eindeutigen Sieger der brancheninternen Abstimmung, und sprach ihm den mit 25.000 Euro dotierten Preis zu. Diese Einmütigkeit zwischen den Fachleuten und dem Publikum verdankt sich vermutlich zwar dem Zufall. Und doch ist es kein gutes Signal, das von der diesjährigen Preisvergabe ausgeht.

Wenn man bedenkt, dass sich die Jury bisher den Vorwurf gefallen lassen musste, gerade jenen Büchern den Vorzug zu geben, die sich nur schwer vermarkten lassen, wirkt die jetzige Entscheidung mutlos. Nachdem auch das letztjährige Siegerbuch, Melinda Nadj Abonjis Roman "Tauben fliegen auf" kein Verkaufserfolg war, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Jury diesmal dem Prinzip safety first gefolgt ist.

Zwischen Qualität und Kommerz

Der 1954 in Soswa im Ural geborene studierte Mathematiker Eugen Ruge repräsentiert den idealen Kompromisskandidaten. Ruge war zu DDR-Zeiten als Dokumentarfilmer und Drehbuchautor tätig, bevor er 1988 in den Westen ging; seither arbeitet er für Bühne und Rundfunk. Sein Debütroman, eine deutsche Familiensaga, die von einer notorisch enthusiasmierten Kritikerin schon als der "DDR-Buddenbrooks-Roman" gefeiert wurde, ist ein durchaus spannender und lesenswerter, wenn auch eher konventionell erzählter und mit reichlich Rollenprosa gespickter Roman.

Das Buch hätte zweifellos Erfolg beim hiesigen und auch beim internationalen Publikum verdient. Getrübt wird die Freude allerdings dadurch, dass der Jury nichts anderes eingefallen ist, als ausgerechnet das jüngste Glied in der unendlich langen Kette deutscher Familienromane zum "besten Roman des Jahres" zu küren. In der Begründung für die Preisvergabe ist von der kompositorisch gelungenen "Bändigung" der "Erfahrungen von vier Generationen über fünfzig Jahre hinweg" die Rede.

Doch die Preisrichter stritten hier weder für Originalität, Einfallsreichtum und Wagemut noch für sprachkünstlerische Qualitäten. Ein Heimatstoff wie dieser - das tragikomische Schicksal der nach 1949 aus dem Exil zurückkehrenden "linksbürgerlichen" DDR-Elite -, wurde vor Jahren schon lebendiger, bissiger und konziser von Barbara Honigmann ("Ein Kapitel aus meinem Leben") erzählt.

Zugegeben, die nicht leicht miteinander in Einklang zu bringenden Kriterien - hier die literarische Qualität eines Buches, dort seine kommerziellen Erfolgsaussichten - zwingen die jährlich wechselnde Jury zum Spagat. Ziemlich fatal ist da das sich stets wiederholende Prozedere beim Schaulaufen der Kandidaten in der Endrunde: Für jeden der sechs Shortlist-Autoren übernimmt jeweils ein Juror die Patenschaft und präsentiert ihn gewissermaßen als "seinen" persönlichen Kandidaten - nach "Oscar"-Manier mit Kurzfilmen, die den zur Preisverleihung im Kaisersaal des Frankfurter Römers geladenen Gästen vorgeführt werden. Im gedruckten Programm werden die Kurzporträts der nominierten Autoren dann zusätzlich mit starken Aussagen "ihres" persönlichen "Patrons" zum Buch bekräftigt und beglaubigt.

Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Jeder Juror ist vor allem "seinem" persönlichen Favoriten verpflichtet und unterliegt dadurch einem nicht geringen Druck zur Selbstprofilierung. Andererseits wird er schon aus sportlichem Ehrgeiz alles daransetzen, die Wunschkandidaten seiner Kollegen nacheinander abzusägen, bis bei einem solchen Gemetzel keiner der ursprünglichen Favoriten mehr übrigbleibt. Der Erschöpfung nahe, werden sich die Juroren dann noch ein letztes Mal zusammensetzen, um einen Konsenskandidaten zu küren. Das Auswahlverfahren des Deutschen Buchpreises bedarf dringend der Überarbeitung.

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