Süddeutsche Zeitung

Deutscher Buchpreis:Es geht uns gut

Debütanten und sperrige Einzelgänger: Heute wird der Sieger des Buchpreises bekanntgegeben - über die Debatte rund um den Preis kann man sich nur wundern.

Christopher Schmidt

Rund 6000 Literaturpreise gibt es im deutschsprachigen Raum. Die meisten von ihnen sind Förderpreise. Sie dienen der Nachwuchspflege und sind Teil einer vom Buchmarkt unabhängigen Struktur, ohne die der Literaturbetrieb, wie wir ihn kennen, nicht existieren könnte. Dabei bleibt es nicht aus, dass diese Struktur eine Eigendynamik entwickelt.

Wer einmal Teil des Kreislaufes ist, kann darin so manche Schaffenskrise überwintern, und der eine oder andere hängt noch lange in der Förderschleife, ohne je wieder eine beachtenswerte Zeile zu Papier zu bringen. Umgekehrt kommt es vor, dass echte Talente auf diese Weise vom Weg abkommen, weil sie vor lauter öffentlichen Lesungen, Interviewterminen und Dankesreden keine Zeit mehr finden, ein neues Buch zu schreiben. Andererseits: Nicht jedes Bäuerchen eines Jungautors verdient einen öffentlichen Resonanzraum.

Unzweifelhaft ist jedoch, dass sich das Preis- und Förderwesen nach innen richtet, an Verlage und Agenten, Juroren und Rezensenten, das, was man Betrieb nennt. Als 2005 der Deutsche Buchpreis ins Leben gerufen wurde, dessen diesjähriger Preisträger an diesem Montag bekannt gegeben wird, sollte damit eine Auszeichnung etabliert werden, die nicht nach innen, sondern nach außen strahlt: zum Publikum, in die Medien und ins Ausland. Der Preis, der den besten Roman deutscher Sprache auslobt, möchte das deutsche Äquivalent sein zum englischen Booker Preis und zum französischen Prix Goncourt.

Im Jahr 2008, als Peter Handke auf der zwanzig Titel umfassenden Longlist nominiert war und freiwillig verzichtete, entbrannte eine Debatte um Sinn und Unsinn des Preises, die man nur bizarr nennen kann. Der Preis, der vom Börsenverein des deutschen Buchhandels gestiftet wird, sei nichts anderes als ein Marketinginstrument des Buchhandels, hieß es, er schaffe eine populistische, künstlich erzeugte Pseudo-Aufmerksamkeit und folge in seiner Auswahl außerliterarischen Kriterien. Wichtige Stimmen und Titel seien etwa aus Proporzgründen nicht vertreten, weil sich die Jury zum Beispiel sage, nicht schon wieder ein Österreicher über fünfzig.

Julia Franck, die Preisträgerin des Jahres 2007, empfand das Ritual, das die persönliche Anwesenheit der Nominierten im Frankfurter Römer vorschreibt, als entwürdigend. Daniel Kehlmann, im Jahr 2005 auf der Shortlist, pflichtete ihr bei, das seien die Wettkampfbedingungen einer Casting-Show. Unabhängig davon sei jeder, der es nicht auf die Longlist schaffe oder an der nächsten Hürde hängenbleibe, fortan mit dem Stigma des Scheiterns behaftet.

Zudem werde der gesamte Rezensionsbetrieb vereinnahmt, der sich nur noch an dieser Liste abarbeite. Michael Lentz, 2007 ebenfalls auf der Longlist, forderte die Abschaffung des Deutschen Buchpreises. Er monopolisiere den Literaturbetrieb und marginalisiere gewichtige Autoren, so Lentz.

Man kann sich nur wundern. Nicht nur über das Argument, das Mehr an Aufmerksamkeit und Geld - der Sieger erhält 25.000 Euro, die fünf anderen Finalisten werden mit je 2500 Euro bedacht - werde anderen Autoren entzogen (dabei war da ja vorher nichts). Sondern vor allem deshalb, weil ein Blick auf die Nominierten keineswegs den Verdacht nährt, es walte böse, die allgemeine Verflachung befördernde Quotenhörigkeit beim Deutschen Buchpreis.

Der Buchhandel dürfte aufjaulen

Im Gegenteil: Die unabhängige Jury sorgt mit ihren Voten eher dafür, dass der Buchhandel aufjaulen dürfte. Den Vorwurf, sie bevorzuge bei ihrer Auswahl leichter verdaulichen Lesestoff, den die Leserschaft willig vom Stapel der großen Buchhandelsketten frisst, kann man den jährlich wechselnden Preisrichtern genau so wenig machen wie den, sie schlügen sich auf die sichere Seite und schickten nur große Name und etablierte Autoren ins Rennen.

Im Gegenteil: Es ist gerade nicht die schwerer vermittelbare Literatur, die auf der Strecke bleibt. Vielmehr beugen die Juroren der Wettbewerbsverzerrung dergestalt vor, dass sie vor allem Debütanten und sperrige Einzelgänger auf die Shortlist wählen, sich also dem Mainstream verweigern. Ob Katharina Hacker, Kathrin Schmidt oder Uwe Tellkamp - durchweg gewannen Bücher, die thematisch relevant sind und formal avanciert.

So erfreulich es auch ist, dass der Deutsche Buchpreis geholfen hat, der lesenden Bevölkerung den Eindruck zu vermitteln, Uwe Tellkamps 800-Seiten Roman "Der Turm" müsse man kennen, auch wenn er ein schwerer Brocken ist - so sehr hat er in den fünf Jahren seines Bestehens den Anspruch konterkariert, mit dem er angetreten ist.

Den besten Roman deutscher Sprache zu küren, das klingt zunächst elitär, feinschmeckerisch und unterstellt eine Unfehlbarkeit, die vielen hochmütig dünken muss. Sieht man aber auf die Liste der bisherigen Preisträger, muss man zugeben, dass sich dieser Preis kaum von anderen unterscheidet. Denn tatsächlich ist auch er nichts anderes als ein gut dotierter Förderpreis.

Das mag ein innerer Widerspruch sein, und trotzdem besteht kein Grund zur Klage. Vorderhand zeigt nämlich die Praxis der Preisvergabe nur, wie intakt und gefestigt der deutsche Literaturbetrieb ist, da er sich nicht dazu erniedrigen muss, mit prestigeträchtigen Events um Aufmerksamkeit für seine Sache zu buhlen.

"Es geht uns gut" heißt der Roman von Arno Geiger, der 2005 der erste Träger des Deutschen Buchpreises war. Das Siegerbuch war auch insofern gut gewählt, als sein Titel den Zustand der deutschsprachigen Literatur beschreibt. Ja, es geht uns gut - unglücklich das Leseland, das Helden nötig hat.

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SZ vom 04.10.2010/ls
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