Deutscher Alltag:Zwei Leben

Briefe von der Front wirken wie Nachrichten von einem Ort, den es nicht mehr gibt, vielleicht nicht mehr geben sollte. Doch die Wahrheit ist: Seit Jahren sind deutsche Soldaten in Auslandseinsaätzen und verschicken täglich Feldpost. Es ist Zeit für eine Antwort.

Kurt Kister

Dieser Tage kam eine Ansichtskarte an. Das Foto zeigt einen Hubschrauber der Bundeswehr über der Wüste. Abgeschickt hatte sie ein Bekannter in Kundus, Afghanistan. Auf dem Stempel neben der Briefmarke (45 Cent, Maiglöckchen) stand: "Feldpost". Eigentlich ist das wieder ganz normal. Seit Jahren sind deutsche Soldaten auf dem Balkan und im tiefen Orient "im Einsatz", wie es so schön heißt.

Soldatenbriefe aus Afghanistan

Feldpostbrief der Bundeswehr: "Eigentlich ist das wieder ganz normal"

(Foto: dpa)

Zum Einsatz gehören Feldlager, Feldjäger, Feldgeistliche und eben auch Feldpost. Philologisch gesehen ist das hochinteressant, nicht nur weil es ein Beispiel dafür ist, wie politische Entwicklungen auch die Sprache verändern. Das Wort "Feld" hat als Präfix eine stille Renaissance erlebt. Man muss wohl eher sagen: eine Wiederauferstehung. Lange dachte man, dieses Wort sei noch kurz vor der Kapitulation der deutschen Wehrmacht im Mai 1945 gefallen.

So ganz hat es nicht geklappt mit "nie wieder Krieg, nie wieder Feldpost". Das weckt Erinnerungen. Im Schrank steht ein Schuhkarton voller Korrespondenz, den man mal im Wiener Auktionshaus Dorotheum für ein paar hundert Schilling gekauft hat. Es sind an die 300 Briefe, die von 1941 bis 1945 zwischen dem Soldaten Otto Kaiser, gegen Kriegsende Obergefreiter, und seiner Frau Pauline gewechselt wurden.

Philatelistisch ist das Konvolut mäßig interessant; viele Briefe sind mit zwei blauen Briefmarken, auf denen eine Ju-52 zu sehen ist, frankiert. Das nennt man "Luftfeldpostdoppelfrankierung", was auch von der Länge her ein Wort ist, das noch deutscher ist als das Brandenburger Tor oder Sauerbraten.

Abgesehen von den Briefmarken und Zufallsfunden wie Ottos "Ausweis für den Bezug von Niederwild und Geflügel" aus dem Jahre 1940 enthält der Karton zwei Leben - oder jedenfalls einen wichtigen Teil davon. Otto und Pauline versichern sich immer wieder gegenseitig, wie sehr sie sich vermissen und wie schlimm alles ist. Am 3. Februar 1944 hofft Pauline: "Ja, der Krieg könnte schon zu Ende gehen, bevor noch alles zu Grunde geht."

Otto wiederum schreibt gerne vom Essen, weil er als Fernmelder in der Etappe nicht so schlecht lebt wie die anderen an der Front. Am 19. Dezember 1944 berichtet der Obergefreite, dass er Blähungen vom Kartoffelsalat gehabt habe. Auf dem Briefumschlag klebt diesmal keine Marke, nur ein Stempel: der Reichsadler mit dem Hakenkreuz und einer Feldpostnummer.

Pauline und Otto überlebten den Krieg und fingen danach in Wien neu an. In den siebziger Jahren geriet die Schuhschachtel, wohl nach Paulines Tod, ins Dorotheum. Man steckt die Kundus-Karte dazu und denkt, man müsse irgendwann mal darüber schreiben.

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