Deutscher Alltag:Zügellos

Angela Merkel ist aus dem Urlaub zurück und will mehr Führungsstärke zeigen. Es wäre ja schon ein Anfang, wenn bis Ende September zumindest mal über die Existenz der Kanzlerin Konsens hergestellt werden könnte.

Kurt Kister

Deutschland darbte. Führerinnenlos trieb es dahin, der Süden ersoff im Dauerregen, Berlin war voller Schwaben, Ballack löste Kachelmann als mutmaßlichen Unhold der Nation ab. Schreckliche Zeiten. Man wäre nicht überrascht gewesen, hätte man aus dem Osten das vielzehntausendfache Donnern der Hufe hunnischer Horden gehört, die aufgebrochen wären, weil ihr Khan in Facebook gelesen hätte, dass Angela Merkel in die Berge geflohen ist und das Land kopflos zurückließ.

Angela Merkel

Merkel ist wieder da, sie hat die Regierungszügel wieder ergriffen. Zwar hängt an diesen Zügeln kein starkes Pferd mehr, sondern nur noch eine Schindermähre. Aber auch die will sie nun klarer lenken.

(Foto: AP)

Merkel ist nun wieder da, Hunnen sind nicht gekommen, jedenfalls nicht über das in den Sommerferien hinaus übliche Maß. Merkel hat die Regierungszügel wieder ergriffen. Zwar hängt an diesen Zügeln kein starkes Pferd mehr, sondern nur noch eine Schindermähre. Aber selbst der muss jemand zeigen, wo es langgeht. Merkel will, so melden es die politisch interessierten Feuilletonisten aus der Hauptstadt, künftig mehr Führungsstärke zeigen. Das ist interessant, denn wenn jemand Führungsstärke zu eigen ist, dann muss er (oder sie) die nicht zeigen, weil die Leute schon früher gemerkt haben, dass sie (oder er) die Chefin ist.

Haben sie das aber nicht gemerkt, handelt es sich meistens nicht um einen der seltenen Fälle diskreten, also verborgenen Chefinnentums, sondern vielmehr um dessen Nicht-Existenz. Die wiederum kann nicht durch Behauptungen ("Ich bin jetzt führungsstark") aufgehoben werden. Überhaupt ist die Aufhebung der Nicht-Existenz eine doppelte Verneinung und damit eine für jeden CDU-Politiker zu komplizierte Operation.

Der Nachweis des Unnachweisbaren erinnert an die vielen sonderbaren Gottesbeweise: Wer an Gott glaubt, der braucht keinen Beweis, dass es ihn gibt. Wer hingegen nach einem Gottesbeweis sucht, der will eigentlich einen Beweis dafür, dass es Gott nicht gibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Gott mit dem Satz: "Es gibt mich!" offenbart, ist sehr gering, denn das wäre eine Reaktion auf die Kleingläubigkeit der Menschen, die Gottes nicht würdig wäre, zumindest nicht nach der Bestrafung der um das goldene Kalb getanzt habenden Israeliten.

So ähnlich ist das auch mit Angela Merkel und der Führungskraft. Es wäre ein guter Anfang, wenn Merkel zunächst einmal deutlich machte: "Es gibt mich!". Wenn bis Ende September über die Existenz der Kanzlerin prinzipiell Konsens hergestellt werden könnte, müsste der nächste Schritt dann im Bereich dessen liegen, was es nicht mehr geben soll: querulatorische Seehofers, geckige Jungminister, Kabinettskakophonie. Hätte Merkel dies bis Jahresende erreicht, würden die Leute sagen: Die ist ja führungsstark! Das aber wäre fast ein Gottesbeweis.

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