Deutscher Alltag:Mehr lesen als sprechen

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Im neuen Buch von Alexander Kluge wird der Leser mit dem Kern des Politischen geradezu beworfen. Und zwar, weil es auch von Napeoleon in Ägypten oder vom Bauch des Walfischs handelt.

Kurt Kister

Es lohnt sich immer wieder, den Spiegel zu lesen. Neulich zum Beispiel dachte ein nahezu bedeutender Essayist im Spiegel über die Politik nach und verglich sie mit dem Fußball, was volksnahe Essayisten gerne tun. Dabei entstand der Satz: "In der Politik ist das anders (als beim Fußball), weil hier das Belanglose, das ganze Gestanzte den Kern des Politischen tötet."

"Das Bohren harter Bretter." Alexander Kluge hat ein Buch geschrieben, in dem man mit dem Kern des Politischen geradezu beworfen wird. (Foto: AP)

Ah, der Kern des Politischen! Und noch dazu einer, den man durch Gestanztes, nicht etwa durch Geschnetzeltes, töten kann. Man ahnt, dass der Schreiber im Lande Heideggers, des großen Rauners, sozialisiert worden ist. Der Kern des Politischen. Wie kann man den wohl lokalisieren, gar im Spiegel?

Man blätterte im Heft nach vorn. Dort fand man noch ein Essay, diesmal verfasst von einem längst bedeutenden Essayisten, der sich gegenwärtig noch in Berlin die Gedanken in den Bauch steht. Jener Autor also, der so wie kaum ein anderer die Frucht rund um den Kern beschreiben kann, selbst auf die Gefahr hin, dass es gar keinen Kern gibt, sinnierte über Banken, Schulden und das große "Wir". Wenn er sich selbst meinte, schrieb er "wir" oder "uns". Das machen große Männer, egal ob Schriftsteller, Politiker oder Chefärzte. Frauen übrigens sagen viel seltener "wir", wenn sie eigentlich nur sich meinen.

In dem Wir-Essay jedenfalls wird der Kern der Politik mit Appellen wie "Demut ist gefordert" eingekreist. Dann gibt es Anweisungen wie jene, dass die Politik den Banken schärfere Regeln setzen muss. Und schließlich endet der Aufsatz mit der Forderung, dass es "die Verantwortung für das Ganze", nicht etwa das ganze Gestanzte, zu berücksichtigen gelte. Gnaaaa!

Ja doch, auch in dieser Zeitung steht zu oft das Gestanzte, das den Kern des Politischen töten würde, könnte man ihn denn töten. Man schreibt das Zeug hin und glaubt, man habe gesagt, was endlich mal gesagt werden musste. Man merkt oft nicht einmal, was man wieder zusammengeschwurbelt hat.

Dann aber geht man in den Buchladen und kauft zum Beispiel "Das Bohren harter Bretter. 133 politische Geschichten" von Alexander Kluge. Das ist ein Buch, in dem man mit dem Kern des Politischen geradezu beworfen wird, obwohl, oder: weil es von Napoleon in Ägypten, von Mussolinis Tod oder dem Bauch des Walfischs handelt. Ein sehr schönes, sehr politisches Buch.

Das Politische ist selten Drama. Es ist meistens nur Phänomen, das man besser versteht, wenn man mehr liest als spricht. In jedem Fall darf man nicht zu viel schreiben über das, was man nur sieht, weil es nie so ist, wie man es sieht. Das ist fast ein Satz für ein Spiegel-Essay, wenn auch für eines weiter hinten im Heft.

© SZ vom 11.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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