Deutscher Alltag:Liebe deinen Leser

Als Journalist, zumal als einseitiger Hetzkampagnenschreiber, wird man immer wieder mit unerbittlichen Kritikern konfrontiert. Man hat's nicht leicht im Leben.

Kurt Kister

Neulich sagte ein Mensch, den man zum Freund haben könnte, hätte man denn welche, man dürfe nicht "Lehrerluschen" schreiben in der Zeitung. Nicht etwa, weil es keine Lehrerluschen gäbe, auch wenn hiermit betont sei, dass die allermeisten Lehrer hart arbeitende Menschen sind, die noch dazu von pubertierenden Monstern gequält werden.

Wiener Kaffeehaus in der Nachkriegszeit, 1946-1949

Klar, früher war alles besser. Nicht nur die Zeitung, auch die eigene Jeansgröße. Und die Leser teilen einem das auch ständig mit.

(Foto: SV-Bilderdienst)

Aber wenn man "Lehrerluschen" schriebe, sagte der potentielle Freund, dann würden viele Lehrer die Zeitung abbestellen, weil sie sich beleidigt fühlten. Aber, antwortete man selbst, wenn man das doch in einen ironischen Zusammenhang stelle, so dass klar sei, dass man eigentlich ein großer Anhänger des Lehrertums an und für sich sei? Nein, sagte er, die Lehrer verstünden keinen Spaß, wenn es um sie selbst gehe. Hmmmm.

Als Journalist, zumal als einseitiger Hetzkampagnenschreiber oder neoliberaler Verlegerknecht (das ist jetzt IRONIE, liebe website-Nutzer), wird man immer wieder mit unerbittlichen Kritikern konfrontiert. Da sind zum Beispiel jene, die seit dreißig Jahren die Zeitung lesen, die damals viel besser war. Sagen sie jedenfalls. Nun hat man selbst das Gefühl, dass fast alles vor dreißig Jahren besser war: der Bundeskanzler, die eigene Jeansgröße, das Wetter und sogar der FC Bayern.

Und dann gibt es Leser, die den Linksdrall der Zeitung beklagen, wohingegen andere, auch nicht wenige, bemängeln, dass die Zeitung doch zu deutlich nach rechts gerückt sei. Die Digitalisten schicken einem elektrische Briefe, in denen sie einem den Tod der Zeitung prophezeien, jedes Jahr aufs Neue. Der durchschnittliche Abonnent will mehr Redakteure, vor allem in Starnberg und Hamburg, der durchschnittliche Verleger möchte eher weniger Redakteure. Man hat's nicht leicht im Leben.

Allerdings, und damit gelangt man wieder zu den Lehrern, gibt es Gruppen, die entweder viel Zeitung lesen und/oder besonders meinungsstark sowie mitteilungsfreudig sind. Neben den Pädagogen sind dies die Ärzte ("...ist Ihre ärztefeindliche Berichterstattung eine Frechheit") sowie, wen wundert es, die Juristen im weiteren Sinne ("wenn ich meine Urteile so begründen würde wie Sie Ihre Schluder-Kommentare..."). Nun liebt man als Redakteur nahezu jeden einzelnen Leser, selbst wenn er einen gröblichst beleidigt. Meistens meint er es nicht so, und schließlich kennt man als lebenserfahrener Mensch jene Stimmung, in der Ian Dury einst den Song Hit me with your rhythm stick geschrieben hat. Hin und wieder braucht der weltsicherste Großmeinungsbär eins mit dem rhythm stick übergebraten. Wie gut, dass es all die Lehrerluschen, Richter a.D. und Internisten unter den Zeitungslesern gibt.

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