Deutscher Alltag:Laut gelacht und doch nicht fröhlich

Sie singen so, wie man sich immer zu leben gefürchtet hat. Arte zeigte einen anrührenden Film über Janis Joplin, über den man niemals so lange nachgedacht hätte - wäre da nicht Amy Winehouse gestorben.

Kurt Kister

Arte gehört zu jenen Sendern, für die man gerne Rundfunkgebühren zahlt. Nun gut, vieles, was auf Arte zu sehen ist, wächst aus dem großen Reich der Nischenexistenzen in den Fernseher hinein. Das erinnert an Kleinverlage, Literaturblogs oder jene Teile des Feuilletons, in denen Menschen mit sonderbaren Frisuren oder apokrypher Kleidung über rumänische Zahlenlyriker und antipapistische Ausdruckstänzer schreiben.

Frueh verstorbene Musiker

Janis Joplin starb wie nun auch Amy Winehouse im Alter von nur 27 Jahren. Niemand sang "Me and Bobby McGee" so anrührend wie die Joplin.

(Foto: AP)

Man braucht so etwas nicht, aber wehe man hat es nicht mehr. Wenn die Freiheit zur Verbreitung des Nischentums dahinsiecht, siecht die Freiheit insgesamt dahin. Man kann das sehr gut daran sehen, dass Autoritäre jeder Art zwar oft keine Ahnung von Kultur haben, trotzdem aber sofort bereit sind, "Unkultur" zu identifizieren und als schädlich, verderbt oder krank zu brandmarken.

Neulich also lief in Arte ein Film von Ray Müller über Janis Joplin. Viele Ältere wissen mindestens, dass niemand Me and Bobby McGee so anrührend sang, flüsterte und röhrte wie die Joplin. Wessen Herz gerade im Begriff war zu brechen oder schon gebrochen war, der musste nur die Zeile hören: "I'd trade all my tomorrows for a single yesterday".

Ein einziges Gestern mit ihr (oder ihm), das aber unwiederbringlich verflossen ist, wiegt alles auf, was man noch vor sich glaubt. Sicher, in einem gewissen Alter sind Herzen in erster Linie dazu da zu brechen, auch weil die meisten Menschen glücklicherweise so lange leben, dass sie sich, wenn sie älter werden, inbrünstig daran erinnern wollen, wie jene Gefühle waren, die den Herzensbrüchen vorausgingen. Die Größe einer Liebe ermisst sich allzu oft im Schmerz, manchmal auch in der Intensität der Erinnerung.

Weil das so ist, sind die größten Musiker und Schriftsteller selten fröhliche Menschen. Janis Joplin hat oft sehr laut gelacht, war aber nicht fröhlich. Man höre sich nur noch einmal Cry Baby von ihr an, das eigentlich ermutigend sein soll, weil sie versichert, was immer passiert, sie sei für den anderen da. Joplin aber singt dieses Angebot in einem so verzweifelten Tonfall, dass man weiß: Es hat keinen Zweck.

Vielleicht hätte man über den Joplin-Film nicht so lange nachgedacht, wäre nun nicht Amy Winehouse gestorben. Auch sie wurde, wie Joplin, nur 27. Man muss nicht unbedingt länger über dieses Alter und die Rocktoten herumsülzen. Aber man kann, und sei es im Audi-Kombi auf dem Weg zur scheußlichen Führungskräftetagung, erst Pearl von Janis Joplin einschieben und dann Back to Black von Amy Winehouse. Oder beide auf dem MP3-Spieler als Mix hören. Das macht traurig und dann auch wieder etwas glücklich, weil die Frauen so singen, wie man sich immer zu leben gefürchtet hat.

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