Deutscher Alltag:It's my party

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Betriebsfeste können nur im innersten Kreis der Hölle erfunden worden sein, dort wo das Tier mit den Hörnern wohnt. Das Tier meckert höhnisch tief unten, während man selbst oben steht und der Dame aus der Fahrbereitschaft lauscht.

Kurt Kister

Betriebsfeste. In welchem Kreis der Hölle wurden eigentlich Betriebsfeste erfunden? Es kann nur der innerste Kreis gewesen sein, dort, wo das Tier mit den vielen Hörnern und der Zahl 666 auf der Stirn selbst wohnt. Das Tier wird sich vor langer Zeit gewälzt haben im dumpfen Brodeln der verlorenen Seelen und es wird gedacht haben: "Wie kann ich meine Herrschaft unter den Menschen sichern und sie mir untertan halten?" Roland McLuzifer, der oberste Beratungsteufel, flüsterte daraufhin dem Großen Tier ins Ohr: "Mach, dass sich alle Menschen in der Firma vom Chef bis zum Büroboten einmal im Jahr und dann noch mal zu Weihnachten treffen müssen, so als seien sie alle gleich und würden sich mögen. Nenn das Betriebsfest."

Bei einem Betriebsfest laufen die jungen Leute auf die Tanzfläche, denn sie balzen wie hier im Film Das Jahr der ersten Küsse. Später kommen auch die älteren dazu. Wahrscheinlich balzen die auch. (Foto: dpa)

So wurde das Betriebsfest erfunden und die Weihnachtsfeier gleich dazu. Das Große Tier meckert höhnisch tief unten, während man selbst oben steht, ein Glas Apfelsaft umklammert hält und dem Herrn aus der Disposition sowie der Dame aus der Fahrbereitschaft lauscht, wie sie berichten, was sie in den Weihnachtsferien machen möchten. Dann starrt man auf den firmeneigenen Weihnachtsbaum, der irgendwie schwankt, weil er wahrscheinlich auch gern nach Hause möchte.

Man darf aber noch nicht nach Hause gehen, denn jetzt fängt die Band an. Es ist die Hausband, sie spielt Rock und alten Hackebeat. Erst lösen sich aus der Betriebsfest-Menge die Jüngeren und beginnen vor dem Podium herumzuspringen. Das ist nicht verwerflich, denn jene Art der Bewegung, zwischen Veitstanz und Bodenturnen changierend, die der Hackebeat hervorrufen kann, ist Sache der Jüngeren. Sie balzen.

Dann aber treten gesetzte Herren und gereifte Damen auf die Tanzfläche. Der Mann aus dem Rechnungswesen, dessen erster bewusst erlebter Kanzler Kiesinger war, zuckt heftig zu "Smoke on the water". Er reißt die Arme hoch, spitzt die Lippen und bedient die Luftgitarre, als sei sie eine Excel-Tabelle. Seine Partnerin pro tempore assistiert tagsüber der Geschäftsführung. Auch sie war sehr jung, als Deep Purple "Made in Japan" herausbrachten. Beide sind augenscheinlich verzückt. Man weiß nicht, ob über ihre Erinnerungen an die Zeit, als alles straffer war oder über ihren Mut, im Angesicht der Kollegen jene Sau rauszulassen, von der sie selbst nicht ahnten, dass sie noch in ihnen wohnt. Es könnte sogar sein, dass auch sie balzen.

Wenn die Nacht fortschreitet, sind viele weg, aber jene, die mehr als Apfelsaft getrunken haben, sind noch da. Etliche von ihnen sehen allerdings so aus, als seien sie schon lange weg. Später werden sie sich auch so benehmen. Und tief unten grunzt das Große Tier zufrieden, ja wollüstig.

© SZ am Wochenende vom 18.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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