Deutscher Alltag:Hitchcockische Ängste

Junikäfer sind auf Bäumen heimisch und hin und wieder sollen sie sich gar an Menschen festklammern, die sie für Bäume halten. Dabei können die Junikäfer von den Menschen eigentlich wenig lernen, diese aber von den schwirrenden braunen Tieren schon.

Kurt Kister

Rätselhafte Natur. Man sitzt abends auf dem Balkon und blättert in Hermann Hesses "Krisis". (Das ist zwar Namedropping, aber jeder Mann, der ahnt, dass es mit 50 eigentlich vorbei ist, sollte gelegentlich in "Krisis" blättern. Hinterher weiß er, warum es tatsächlich vorbei ist.) Plötzlich aber ist man umgeben von schwirrenden braunen Tieren. Es sind viele, sehr viele, und weil sie brummen, könnte es sein, dass sie auch gefährlich sind, weil vieles, was brummt, gefährlich ist, zum Beispiel Hochspannungsleitungen oder Grizzlybären. Glücklicherweise sind die brummenden Fliegetiere deutlich kleiner als Grizzlybären.

JUNIKÄFER VERNICHTEN BLÜTEN UND BLÄTTER

Junikäfer: Plötzlich ist man umgeben von schwirrenden braunen Tieren. Es sind viele, sehr viele, und weil sie brummen, könnte es sein, dass sie auch gefährlich sind, weil vieles, was brummt, gefährlich ist, zum Beispiel Hochspannungsleitungen oder Grizzlybären. Glücklicherweise sind die brummenden Fliegetiere deutlich kleiner als Grizzlybären.

(Foto: DPA)

Es handelt sich um Junikäfer, die kleiner sind als Maikäfer, aber trotzdem vom Typ her ähnlich wirken - ungefähr so wie Philipp Rösler zwar anders aussieht als Rainer Brüderle, aber trotzdem ein ähnlicher Typ zu werden droht.

Die Junikäfer jedenfalls umschwirren einen so nachhaltig, dass man nach Erklärungen sucht. (Leider kommen sie in "Krisis" nicht vor.) Auf Bäumen seien sie heimisch, liest man, und hin und wieder würden sie sich gar an Menschen festklammern, die sie für Bäume hielten. Das weckt hitchcockische Ängste und Bilder von einem Mann, der, unter einer dicken Traube Junikäfer gefangen, schreiend über das Balkongeländer stürzt und dabei Hesses "Krisis" verliert.

Andererseits denkt man dann wieder, dass selbst der mutmaßlich dumpfe Junikäfer eigentlich merken müsste, wie wenig baumisch die meisten Menschen sind. Als mögliche Baumatavare fallen einem auf die Schnelle eigentlich nur ein: Dirk Niebel, Peter Hahne und natürlich Wolfgang Grupp, der den Schimpansen für sich werben lässt.

Gewiss, diese Auswahl ist gegenüber den Bäumen eher ungerecht, aber wer sich zum Beispiel Niebel mit Pfahlwurzeln und einer schirmakazienmäßigen Krone vorstellt, der weiß, warum Niebel eher baumisch ist. Sonderbarerweise fällt einem auch Günther Jauch ein, der viel von einer sehr belesenen Pappel hat. Vermutlich aber würden sich Junikäfer nicht an Jauch festklammern.

Nach einer Viertelstunde wird einem das Geschwirre zu viel und man retiriert nach drinnen. Am nächsten Morgen schwirrt nichts mehr. Auf dem Balkonfußboden aber liegt ein Junikäfer, ein einziger, der den Abend nicht überlebt hat. Er streckt alle Sechse von sich und ist so tot, als wollte er sich Ernst Jünger für seine Sammlung anbieten. In Käfergewittern scheint es Verluste zu geben, deren Ursache man als Laie nicht erkennt. Wahrscheinlich ist der Gefallene ein Männchen. Und vermutlich ist es nach in Menschenjahre umgerechneten Käferjahren gerade 54 geworden. Krisis.

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