Deutscher Alltag:Geht's noch?

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Noch schlimmer als der Chefredakteur des Handelsblatts sind eigentlich nur FDP-Spitzenpolitiker, pensionierte Beamte und natürlich Blogger: Ständig sagen sie einem, was zu tun ist.

Kurt Kister

Neulich lag am Kiosk so eine kleine Zeitung, die früher mal eine große Zeitung gewesen ist, groß zumindest, was die Ausdehnung der Seiten anging. Diese kleine Zeitung also, das Handelsblatt, rief seine Leser auf etlichen Seiten dazu auf, solidarisch mit Griechenland zu sein und griechische Anleihen zu kaufen. Das ist wunderbar.

DasHandelsblatthat zur Rettung Griechenlands aufgerufen - auch in Talkshows treten derzeit nur Menschen auf, die zufällig Griechen sind: bei Plasberg neulich der alte griechische Wirt aus der Lindenstraße. Geht's´eigentlich noch? (Foto: Foto: Lindenstraße)

Wow! So mutig

Der durchschnittliche Handelsblatt-Leser, so stellt man sich das vor, ist ein Mann im Anzug, der die Zeitung im Büro bezahlt bekommt, lichte Stellen im Haupthaar hat und eigentlich keine Kampagnen mag, weil er es nicht so gern hat, wenn ihm andere sagen, was er tun soll. Das sagt ihm im Büro schon sein Chef dauernd, der sich nicht nur eine, sondern sogar zwei Wirtschaftszeitungen halten darf.

Nun sind viele Journalisten, ganz vorne der neue Chefredakteur des Handelsblatts, leider Leute, die einem unablässig mitteilen müssen, was zu tun ist. Noch schlimmer in dieser Hinsicht sind nur Linkspartei-Aktivisten, FDP-Spitzenpolitiker, manche Beamte, vor allem pensionierte, und natürlich Blogger.

Andererseits ist es auch nahezu niedlich, dass im Handelsblatt etliche Menschen mit großem Bekennermut sagen: Ich habe griechische Staatsanleihen gekauft. Wow! So mutig. Womit man sich heutzutage alles outen kann. Vor langer Zeit hieß es im Stern: Ich habe abgetrieben. Und irgendwo früher gab es auch mal die Doppelseiten mit: Ich bin schwul. Jetzt also: Ich kaufe griechische Staatsanleihen. Menschen allerdings, die nicht so viel Geld haben, dass sie Staatsanleihen kaufen könnten, denken über andere Möglichkeiten der Solidarität mit Griechenland nach.

Sehr gut zum Beispiel käme die Kampagne: Ich habe gefüllte Weinblätter gegessen. Oder vielleicht: Ich schaue nur noch Talkshows an, in denen Jorgo Chatzimarkakis von der FDP auftritt, der eingeladen wird, weil er Chatzimarkakis heißt und Griechenland gerade das Thema ist. (Neulich hatten sie bei Plasberg den alten griechischen Wirt aus der Lindenstraße. Geht's eigentlich noch?)

Vor zwei Wochen jedenfalls hätte Jorgo Chatzimarkakis bei keinem Talkshow-Einlader einen Stich gemacht, es sei denn, er wäre - der Island-Vulkan! - unter seinem Künstlernamen Sigurdur Gudmundsson aufgetreten. War eigentlich irgendjemand solidarisch mit Island? Sind ja auch arme Schweine. Erst haben sie die Finanzkrise ausgelöst, dann spuckt ihnen (und uns) der Vulkan den Dreck um die Ohren. Man sollte jetzt irgendeinen Chefredakteur, und sei es den der Süddeutschen, davon überzeugen, dass man dringend eine Kampagne machen muss. Zum Beispiel: Ich esse nur noch Pferdewurst von Island-Ponys.

© SZ vom 25.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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