Deutscher Alltag:Duell im Fahrstuhl

Mit dem Fahrstuhl geht es meistens schneller abwärts als mit dem Rest des Abendlands. Trotzdem können einen im Aufzug schon mal Zweifel packen, ob wir nicht im Rom des Jahres 1527 leben, wegen der Hosen der Mitfahrer.

Kurt Kister

Siebter Stock, die Aufzugstür öffnet sich. Man steigt ein. An der Wand lehnt ein junger Mensch in knielangen, karierten Hosen. An den Füßen trägt er jene Art von Schuhen, die im Laden unter der Rubrik "Freizeit und Sport" stehen.

'Die Schweden vor dem Koenigsstern'

Bringt H&M uns das MIttelalter zurück? Die Landsknechte, hier die sächsischen, waren im Kampf wenigstens noch modebewusst.

(Foto: ddp)

Eigentlich sind es keine Turnschuhe, sondern ins Lockere mutierte Büro-Halbschuhe, die den Eindruck erwecken, sein Träger würde jedermann mit dem Wort "Hallo" begrüßen, begrüßte er denn überhaupt jemanden. Als sich die Aufzugstür schließt, sagt der junge Mensch: "Hallo". Man nickt und sagt: "Tag".

"Tag" bedeutet in diesem Zusammenhang: Ich habe keine Ahnung, wer du bist. Du arbeitest offensichtlich in derselben Firma wie ich und trägst trotzdem kurze Hosen. Zwar siehst du nicht ganz so schlimm aus wie jener sonderbare, gelb-grün-haarige Jüngling aus der XY-Abteilung, dem noch niemand gesagt hat, dass zivilisierte Leute keine Hosen anziehen, bei denen die Unterhose 15 Zentimeter breit herausschaut. Selbst wenn ich deine Unterhose glücklicherweise nicht sehen muss, macht mich dein Anblick unglücklich. Letztendlich nämlich sagt er mir, dass das Abendland, auch wenn du nicht weißt, was das ist, wieder ein Stück tiefer versunken ist.

Nein, es soll nicht schon wieder geschimpft werden über die Kleidungsbarbaren, die besonders im Sommer einfallen, als lebten wir im Rom des Jahres 1527. (Selbst die Landsknechte des Sacco di Roma übrigens stanken, mordeten und soffen, aber immerhin legten sie großen Wert auf modische Kleidung.)

Das mit dem Schimpfen nützt auch gar nichts mehr, weil die Dreiviertelhose und H&M längst gewonnen haben. Jeder Spaziergang in München oder Berlin zur Ferienzeit belegt dies auf das grausamste: Die Fußgängerzonen sind voller Rheinländer, Sachsen und Schwaben, die sich alle in jenen Geschäften eingekleidet haben, wo man mehr Quergestreiftes und Besticktes kaufen kann, als der liebe Herrgott dies jemals wollte.

Aber ist es wirklich richtig, um nicht zu sagen: gerecht, dass diese Menschen in dieser Kleidung nun auch in den eigenen Lebensbereich, die Firma, vordringen? Man verlangt ja gar nicht, dass die Kollegen, seien es die älteren oder die jüngeren, so viel Stilgefühl an den Tag legen, dass sie das Haus wenigstens nicht mit kurzen Hosen betreten. Und dennoch, denkt man, wenn sie schon kein Stilgefühl haben, könnten sie sich nicht einfach davor fürchten, dass sie lächerlich aussehen mit ihren Stachelbeerwaden über den Sportschuhsocken? Nein, sie fürchten sich nicht. Sie merken es gar nicht. Sie lächeln und sagen zu dem Stiesel im Anzug: "Hallo". Sie finden sich ziemlich cool im Vergleich zu dem da.

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