Deutscher Alltag:Der Geruch des Gewesenen

Es ist ja schön, dass viele Leute, und sei es wegen Schweinsteiger, wieder Deutschland tragen. Doch schon bald werden die großen Deutschlandfahnen von Hirten in der Mongolei zu Sommerjurten verarbeitet werden.

Kurt Kister

Neulich stand eine schöne Geschichte in dieser Zeitung über eine Firma, die von anderen Firmen überständige Ware aufkauft. Zwar war das Geschäftsmodell sonderbar, weil der Käufer dem Verkäufer kein Geld gibt, sondern sich zum Beispiel durch die Platzierung von Zeitungsanzeigen entlohnen lässt. Als Zeitungsmensch kann man das nur begrüßen, denn jeder, der eine Anzeige schaltet, unterstützt die freie Presse, rettet das Abendland und hilft auch den Kollegen Anzeigenvertretern, unter denen erstaunlich viele ehrliche Menschen sind.

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Schon jetzt schwer überständig: alle Arten von WM-Fanartikeln.

(Foto: afp)

Das mit der überständigen Ware ist hochinteressant. Überständig sind zum Beispiel heute T-Shirts mit dem Aufdruck "Obama Superstar" oder "CSU - die Zukunft Bayerns". Man kann so was gerade noch als Schlafhemd anziehen, wenn man nicht besonders wählerisch ist. Oder man verkauft zwei Waggons mit bedruckten Hemden "Bistum Augsburg, Mixa unsere Zuversicht" nach Togo, wo es nicht so schlimm ist, wenn ein Juju-Mann mal einen Stich von Piranesi mit dem Gürtel schlägt. Es gibt übrigens auf der CD "Endless Wire" von The Who, die 2006 erschien, ein leicht garstiges Lied über Bischöfe: A man in a purple dress, ein Mann im purpurnen Kleid. Zwar waren The Who, wie fast alles, früher viel besser, aber trotzdem ist dieser Song für Anhänger des Postklerikalismus hörenswert.

Schwer überständig sind schon jetzt alle Arten von WM-Artikeln. Der scheußliche Spanier hat mit unmittelmeerischer Disziplin die Deutschen aus dem Rennen geworfen und zu traurigen kleinen Männern gemacht. Nachdem nun Schweinsteiger, Müller, Klose etc. gegen die Urus spielen müssen (die Lautfolge Uru lässt an die Morlocks aus der Zeitmaschine von H.G. Wells denken), will man keine Vuvuzelas (das ist garantiert das einzige Mal, dass dieses Unwort in dieser Kolumne auftaucht), keine schwarzrotgoldenen Gummibären und keine Unterhosen in Deutschlandfarben mehr kaufen. All diese Dinge sind überständig, sie tragen den Modergeruch des Gewesenen an sich. Bald werden die großen Deutschlandfahnen von Hirten in der Mongolei zu Sommerjurten verarbeitet werden.

Als Mensch, der unabhängig von Sportereignissen moderat national denkt, wurde man in letzter Zeit wiederholt von Melancholie überfallen. Auf dem Weg zur Arbeit an Kant, Mahler und den Dom von Speyer denkend, überrollte man mit dem Auto immer wieder kleine Deutschland-Flaggen, die es von Opeln oder Hyundais geweht hatte. Es ist ja schön, dass viele Leute, und sei es wegen Schweinsteiger, wieder Deutschland tragen. Aber leider ist es das Plastikfähnchen-Grillwurst-alles-für einen-Euro-Doitschland, das jetzt gegen die Morlocks spielt.

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