Deutscher Alltag:Weh getan

Samstagabend sind im TV die blonden Fröhlichmacher am Werk. Bei der großen Abendunterhaltung sind zwar Gelächter und Hohn vorgesehen, nicht aber Ernst oder gar Schmerzen.

Kurt Kister

Fast könnte man meinen, es gäbe in Deutschland nichts Wichtigeres, als wenn ein bedauernswerter junger Mann in einer Fernsehshow gegen ein Auto springt. Nahezu täglich wird man, durchaus auch in diesem seriösen Blatt, mit den allerletzten Neuigkeiten zum Fall versorgt.

German TV hosts Gottschalk and Hunziker joke during the game show 'Wetten Dass' (Bet it...?) in Duesseldorf

Samstagabend will man fröhlich sein oder fröhlich gemacht werden. Samstagabend sind deshalb die blonden Fröhlichmacher am Werk, auf fast allen Kanälen.

(Foto: Reuters)

Man erfährt Relevantes zur Beschaffenheit der Wirbelsäule, legt gemeinsam mit Kurt Beck und Franz Josef Wagner die Stirn in Falten über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, und macht sich tiefe Gedanken darüber, ob der Verunglückte nicht besser mit stärkeren Federn über kleinere Autos hätte hüpfen sollen.

"Wetten, dass ...?" gilt als große Abendunterhaltung, wobei der normale Misanthrop angesichts dieser Klassifizierung dazu neigt, die kleine Morgendepression deutlich mehr zu schätzen.

Das Prinzip der Sendung liegt darin, dass man Menschen findet, die Taten mit oft absurden Zielsetzungen in der größtmöglichen Öffentlichkeit vollbringen wollen. Sie leisten etwas, was an und für sich lächerlich ist - der Moderator lässt daran zumeist wenig Zweifel - , werden aber trotzdem belohnt, weil sie das Lächerliche so ernsthaft betreiben.

Eigentlich ist das eine schöne Parabel auf die moderne Gesellschaft und vor allem das öffentlich-rechtliche Fernsehen, wo das Ernsthafte immer häufiger nur noch eine Methode, das Lächerliche aber Daseinszweck ist.

Dazu passt sehr gut, dass bei dieser Fernsehshow die Schauspieler von der Couch aus zusehen, während die Amateure sich zur Schau stellen. Das ist zwar nicht unbedingt im Sinne Nietzsches die Umwertung aller Werte, aber dennoch eine gute Gelegenheit, bei der sich die Prominenz von Gaga bis Guttenberg ungestraft über ihr eigenes Publikum lustig machen kann, das sich, Andy Warhol lässt grüßen, eine Viertelstunde lang selbst für Lady Gaga oder Guttenberg hält.

Wenn einer dieser Amateur-Gladiatoren verunglückt, fragt der Moderator erst mal: "Weh getan?" Das ist nicht verwunderlich, denn bei der großen Abendunterhaltung ist zwar Gelächter, zwischen Freude und Hohn changierend, vorgesehen, nicht aber Ernst oder gar Schmerzen. Muss ja auch nicht, denn Samstagabend will man fröhlich sein oder fröhlich gemacht werden. Samstagabend sind die blonden Fröhlichmacher am Werk, auf fast allen Kanälen.

Unterhaltung sieht der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ausdrücklich vor, und wenn einer mit Sprungfedern an den Beinen über ein fahrendes Auto flankt, dann ist das mindestens genauso unterhaltend, wie wenn der Fernsehrat einen missliebigen Chefredakteur absägt. Allerdings hat Roland Koch damals nicht gefragt: "Weh getan, Herr Brender?"

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