Süddeutsche Zeitung

Deutsche Welle: China-Berichterstattung:Zwieback für den Tiger

Vorwurf tendenziöser Berichterstattung: Da musste Wickert ran. Der Moderator prüfte, ob die Deutsche Welle zu liebdienerisch über China berichtete. Mit erstaunlichem Ergebnis.

Hans Leyendecker

Der Journalist und Krimiautor Ulrich Wickert ist ein großer Erzähler fremder Leute und Länder. Als Fernsehreporter hat er auch immer wieder China besucht, wo sein Vater Erwin einst Botschafter in Peking war. So war es für den ehemaligen Tagesthemen-Moderator nicht ganz überraschend, dass ihn im Herbst vergangenen Jahres der Intendant der Deutschen Welle (DW), Erik Bettermann, um einen Gefallen bat.

Über das von dem Sender verbreitete Bild Chinas wurde damals in Medien und Politik erbittert gestritten, und am nächsten Morgen sollte Bettermann in einem Bundestagsausschuss Rede und Antwort stehen. Die Stimmung war geladen. Ob er im Ausschuss sagen dürfe, dass Wickert den Fall untersuchen werde, fragte Bettermann. Also: Wickert, übernehmen Sie? Der Krimiautor, dessen Untersuchungsrichter Jacques Ricou den Dingen meist auf den Grund geht, überlegte kurz und willigte dann ein: "Sie entscheiden, was am Ende herauskommt. Sie sind völlig frei", sagte Bettermann.

Wickert, 66, der auch Honorarprofessor für Journalistik/Medienmanagement in Magdeburg ist, ging ans Werk - ähnlich wie der unermüdliche Ricou, der schon in drei Thrillern die kniffligsten Fälle gelöst hat. Er studierte tagelang Akten, befragte Leute und beschäftigte sich mit den widersprüchlichsten Theorien. Unter Verweis auf diverse Spurenakten und Quellen legte er jetzt das Ergebnis seiner Ermittlungen vor.

Fazit: "Die Vorwürfe tendenziöser Berichterstattung gegen die journalistische Arbeit der chinesischen Redaktion bei der Deutschen Welle entbehren jeder Grundlage". Politiker hätten Vorwürfe "ungeprüft aufgegriffen", weil sie hofften, "damit in die Schlagzeilen zu kommen". Der Intendant habe "offenbar auf Grund des öffentlichen und politischen Drucks ... voreilig und nicht gerechtfertigt" Personalentscheidungen getroffen. Seit 39 Jahren ist Wickert schon Journalist, aber den Medienbetrieb lernt einer nur kennen, wenn er sich intensiv mit dem Gewerbe beschäftigt: "Der Einblick war niederschmetternd", sagt Wickert.

Politisch verwirrte Journalisten

In etlichen Medien lief im vergangenen Jahr die im Wesentlichen von zwei freien Journalisten gestartete Artikelserie über die Rundfunk-Journalistin Zhang Danhong, die damals stellvertretende Leiterin des chinesischen Programms der Deutschen Welle war.

Der seit knapp 19 Jahren für die Welle arbeitenden Journalistin wurde von Medien und Dissidenten vorgeworfen, tendenziös im Sinne der Kommunistischen Partei Chinas zu berichten und als eine Art Agentin die deutsche Medienlandschaft unterwandert zu haben. Der "Autorenkreis der Bundesrepublik" warnte in einem offenen Brief an den Bundestag vor einer "politisch verwirrten Journalistin" und forderte eine "Mitarbeiterprüfung" für alle DW-Journalisten, die über "totalitäre Länder einschließlich Russland berichten". Das roch nach Zensur und außerdem war für Außenstehende der Kampf um Begriffe schwer nachvollziehbar. So gab es auch einen heftigen Übersetzerstreit zwischen den verfeindeten Gruppen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, auf welche Art China die Menschenrechte sichert.

Den Ausgangspunkt der Debatte hat Wickert, dem unter anderem Rückübersetzungen der angegriffenen Beiträge vorlagen, in seiner "journalistischen Beurteilung der Kritik am chinesischen Programm der Deutschen Welle" untersucht: Am 4. August 2008 hatte Zhang Danhong anlässlich einer Debatte über Menschenrechte im Deutschlandfunk gesagt: "Es ist China gelungen, in den letzten dreißig Jahren 400 Millionen Menschen aus absoluter Armut zu befreien. Damit hat die KP-China mehr als jede andere politische Kraft auf der Welt zu Artikel 3 der Menschenrechte beigetragen".

Darf man so was sagen? Artikel 3 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung lautet: "Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person".

Entbindung von der Arbeit am Mikrofon

Bettermann hatte in der aufgeregten Debatte in einem Interview dazu erklärt: "Es ist nicht in Ordnung gewesen, wie sie es formuliert hat. Daraufhin habe ich gesagt, dass sie bis zur Klärung der Angelegenheit von der Arbeit am Mikrofon entbunden wird." Wickert hingegen verweist darauf, dass der für seine kritische Berichterstattung preisgekrönte Zeit-Korrespondent Georg Blume in seinem Buch "China ist kein Reich des Bösen" fast wortgleich dasselbe geschrieben hat, was Zhang Danhong sagte. Er jedenfalls, so Wickert, könne in der Aussage "keinen tendenziösen Journalismus entdecken".

Wickert zitiert auch den früheren Repräsentanten der OSZE für die Freiheit der Medien, Freimut Duve: "Man darf die Aussage einer Journalistin nicht in einen Zusammenhang stellen mit dem Land, aus dem diese Person kommt." Wickert: "Dieser Zusammenhang scheint aber in der Kritik der Gegner von Zhang Danhong unterschwellig mitzuschwingen nach dem Motto: Was ein Deutscher sagt, darf eine Chinesin noch lange nicht sagen."

Dass in den Kommentarübersichten der Deutschen Welle, so Wickert, "auch Texte aus chinesischen Quellen veröffentlicht" würden, "die der Sicht, die in Deutschland gängige Meinung ist, widersprechen", sei "im Sinne einer objektiven Berichterstattung richtig". Der Sender habe "nicht die Aufgabe, ausschließlich Sprachrohr der Dissidenten zu sein".

Verführung unbedachter Politiker

Dass chinesische Staatsmedien wie die Nachrichtenagentur Xinhua die Affäre nutzten, um über die angeblich bedrohte Pressefreiheit in Deutschland zu berichten ("Chinesische Journalistin wurde mundtot gemacht"), mag dem Politikbetrieb in Berlin egal sein - Wickert ist es das nicht: "Es zeigt sich hier, wie in Zeiten einer gesteigerten Gefühlslage (Olympische Spiele, Fackellauf, Tibetunruhen) es ehrenwerten, meinungsstarken Personen, einigen Dissidenten, Vereinsträgern, Journalisten gelingt, vorschnelle Verurteilungen in den Medien zu platzieren und damit Politiker, die gern in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, zu unbedachten Äußerungen und Vorverurteilungen zu verführen." Dass die Journalistin Zhang durch Bettermann als stellvertretende Leiterin der Redaktion abgesetzt wurde, findet Kommissar Wickert "voreilig und nicht gerechtfertigt. Die Entscheidung war falsch".

Am 4. Februar hat Wickert das Papier bei der DW abgeliefert und seitdem nichts mehr vom Sender gehört. Auf Anfrage der SZ lobte Bettermann, der in Berlin dringende Termine hatte, Wickerts "sehr gute Arbeit - toll". Er wollte sie aber nicht veröffentlichen, "um die China-Debatte nicht neu aufleben zu lassen".

Rätselhaftes Berlin, noch rätselhafteres China. Vater Erwin hatte in Shanghai mal das Fell eines Sibirischen Tigers erworben. Abends haben die Brüder Wolfram und Ulrich in das aufgesperrte Maul des Tieres immer wieder einen Zwieback gelegt. Wenn sie am nächsten Morgen aufwachten, war der Zwieback verschwunden. Die Jungs waren überzeugt, der Tiger habe ihn gegessen.

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Quelle:
SZ vom 25.03.2009/irup
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