Deutsche Sprache:Mir laust der Affe

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Dativ statt Genitiv, Grunzen statt Goethe? Wer behauptet, dass die deutsche Sprachwelt verflache, offenbart nur, dass er nichts liest. Es ist ein dumpfes Ressentiment.

Thomas Steinfeld

Noch gibt es auf deutschen Bahnhöfen den "Service Point". Geht es nach dem Willen von Rüdiger Grube, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn, und von Peter Ramsauer, dem Verkehrsminister, soll die Aufschrift über dem Tresen demnächst wieder "Auskunft" heißen. Doch ist in den vergangenen Jahren so viel über den "Service Point" und die dazugehörige scheinbare Anglifizierung der Eisenbahn geredet und gespottet worden, dass der Ausdruck dennoch bleiben wird - nicht nur in der Erinnerung, sondern auch, weil er längst etwas anderes als "Auskunft" bedeutet.

Den Service Point wird kein deutsches Wort ersetzen können

Diese Mischung aus hilflosem Ehrgeiz und Kundenverachtung, aus Provinzialismus, Anmaßung und Beflissenheit, die in der Formel vom "Service Point" steckt, ist durch kein deutsches Wort zu ersetzen. Daher wird es dem "Service Point" vielleicht ergehen wie einst der "délicatesse" - die zwar von Johann Christoph Adelung als "Feingefühl" eingedeutscht wurde, und doch, für besonders spitzfingrige Verhältnisse, aber auch als ironischer Ausdruck, neben dem "Feingefühl", bestehen blieb.

Für die deutschen Sprachschützer, die sich im "Verein Deutsche Sprache" zusammengeschlossen haben, gehört das Wort "Service Point" zu einem Idiom, das sie "Affensprache" nennen. "Forscher sagen eine starke Verflachung unserer Sprache voraus", behauptet ihre Zeitschrift, die Deutsche Sprachwelt, in ihrer jüngsten Ausgabe (Frühling 2010): Anglizismen, "Kreolisierung", das Schwinden von Genitiv, Akkusativ und unregelmäßigen Verben, das Zusammenziehen von Wortgruppen zu neuen Einzelwörtern - all diese Erscheinungen seien Zeichen einer Entwicklung hin zu "Gestik und Grunzen", die eben unter diesem Titel "Affensprache" gefasst werden müsse.

Du Jane, ich Goethe

Die dieser Aufregung zugrunde liegende Überzeugung, der Wandel einer Sprache sei notwendig Ausdruck ihres Niedergangs, ließe sich zwar leicht widerlegen: Der israelisch-niederländische Sprachwissenschaftler Guy Deutscher hat unter dem Titel "Du Jane, ich Goethe. Eine Geschichte der Sprache" (München 2008) ein wunderbares Buch über die vermeintlichen Untergänge der Sprache veröffentlicht. Auch sonst gibt es keinen ernsthaften Gelehrten, der eine solchermaßen schlichte Lehre des Verfalls teilen würde. Und doch ist es erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit sich hier das dumpfeste Ressentiment in der Öffentlichkeit blicken lässt.

Denn "Affensprache" ist kein harmloses Wort. Nicht nur, dass es mit frischem Selbstbewusstsein neben die "Negerkultur" tritt, vor der im Jahr 1930 der Nationalsozialist Wilhelm Frick die Deutschen retten wollte. Sondern auch, weil das Schimpfwort, ohne Unterscheidung, allem entgegengeschleudert wird, was sich nicht dem Wunsch nach Reinigung der deutschen Sprache im Sinne ihrer selbsternannten Schützer fügt: den Sprachwissenschaftlern, die sich "professor of general linguistics" nennen, den Kreuzberger Migranten aus den arabischen Ländern, die nur schlecht Deutsch lernen, und nicht zuletzt den Deutschen selber, die ihren falschen Frieden mit der englischen Sprache schließen wollen.

Peter Ramsauer macht das Missvergnügen nicht geringer

Eine pöbelhafte Lust am Vergröbern, am Denunzieren und Herabsetzen, tobt sich in der Rede von der "Affensprache" aus, dass einem die Freude an der deutschen Sprache durchaus vergehen könnte. Und das Missvergnügen wird nicht geringer, wenn sich Peter Ramsauer, der Verkehrsminister, im selben Heft der Deutschen Sprachwelt dem Begehren nach Erneuerung der deutschen Sprache mit dem ganz und gar nicht schönen, aber sehr großsprecherischen Satz anschließt: "Die gedankenlose Verwahrlosung unseres wichtigsten Kommunikationsmittels kann und will ich nicht akzeptieren."

In zwei Richtungen wütet hier das Ressentiment: nach oben und nach unten. Oben, das ist die englischsprachige Welt, in der man sich behaupten muss, aber vielleicht fürchtet, nicht bestehen zu können. Unten, das ist die Sphäre der Migranten, die als Nutznießer, ja Räuber eines befriedeten Wohlstands erscheinen, den sie angeblich nicht verdient haben. In einer Mischung aus Angst und Wut, aus dem Gefühl von Minderwertigkeit und Trotz, spiegelt sich in der Rede von der "Affensprache" die Furcht eines bei weitem nicht nur linguistischen Mittelstands vor der Deklassierung - eines Mittelstands, der weiß, dass die Bindungskraft des Deutschen sich nicht mit der Attraktion des Englischen messen kann, sondern der internationalen Geltung der dahinterstehenden Nation entspricht: mittelgroß und mittelmächtig.

Und gewusst wird auch, dass die Europäer untereinander ihre Sprachen immer seltener lernen, weil es jenseits von allem das Englische gibt. Umso fataler aber wirkt sich die Bereitschaft zur Bosheit aus, mit der hier das Deutsche verteidigt werden soll. Denn wie soll sich einer für die deutsche Sprache, ihren Reichtum und ihre Schönheit, begeistern können, wenn da weder Reichtum noch Schönheit sind, sondern nur abstrakte Bekenntnisse und Beschimpfungen?

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum es sich mit dem Deutschen als Landessprache ähnlich verhält wie mit der ehelichen Treue.

Vor ihrem Abflug in die Türkei forderte Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, nach Deutschland eingewanderte Menschen auf, Deutsch zu lernen. Für dieses Lernen gibt es viele gute Gründe. Und doch - beruhigen kann man sich auch über diese Formel nicht. Zum einen, weil ein großer Teil der Eingewanderten vorzüglich Deutsch spricht und schreibt und sich die Schwierigkeiten derer, die das nicht tun, mit noch größeren gesellschaftlichen Problemen mischen, nämlich vor allem mit der Entstehung einer Unterschicht, die den Anschluss an den Mittelstand in jeder Art und Form verloren hat. Zum anderen, weil man nur schlecht für das Deutsche argumentieren kann, wenn man nicht anzugeben vermag, worin Deutsch (und möglichst: gutes Deutsch) besteht.

Der Triumph unserer Kultur

Auf die Frage, warum das Grundgesetz einen Passus enthalten solle, in dem Deutsch als Landessprache festgelegt werde, antwortete Peter Ramsauer im vergangenen Sommer: "Die deutsche Sprache aufzunehmen, halte ich für ein bemerkenswertes Anliegen, mit dem man sich auseinander zu setzen hat. Aber genauso wichtig ist es, die deutsche Sprache auch zu praktizieren." Einmal ganz abgesehen davon, dass es sich mit dem Anspruch auf Deutsch im Grundgesetz etwa so verhält wie mit dem Treueversprechen in der Ehe - wer treu sein will, ist es auch ohne Versprechen, und wer es nicht ist, dem helfen auch keine Schwüre: Was ist schon ein "Anliegen", mit dem man sich "auseinanderzusetzen hat", weil es "bemerkenswert" ist? Eine große Tüte lauwarmer Luft?

Über Jahrhunderte hinweg besaß die deutsche Sprache eine große Anziehungskraft für ihre Nachbarn, und zwar nicht zuletzt, weil sie andere Sprachen in sich aufnahm, das Lateinische und das Französische vor allem. So groß war diese Anziehungskraft, dass sich die deutschsprachige Ökumene im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert über einen großen Teil Westeuropas erstreckte, vom Baltikum bis nach Lothringen, von norwegischen Pfarrhäusern bis zu den Bauernhöfen im Burzenland. Es gab aber, anders als in Frankreich oder England, keinen Staat, der diese Verbreitung gedeckt und gefördert hätte; das Deutsche verbreitete sich aus und mit kulturellen Motiven.

Diese Entwicklung kulminierte im ausgehenden achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhundert, als mit Literatur und Philosophie, also mit der Säkularisation des protestantischen Glaubens, etwas Einzigartiges in der deutschen Sprache entstand, aus dem nicht nur die moderne Universität und Wissenschaft, sondern auch eine unvergleichliche Sprachkultur hervorgingen. Wenn Politiker der noch frühen Bundesrepublik über die deutsche Sprache redeten, erwähnten sie daher Goethe - nicht nur aus Bewunderung für gerade diesen Dichter, sondern auch, um an den Triumph der Kultur zu erinnern, der mit diesem Namen verbunden ist.

Zu manchen Treffen sollte man ruhig weiter "meeting" sagen

Längst gibt es wieder eine Literatur in Deutschland, die sprachlich auf so hohem Niveau ist, dass sie sich mit den Werken der Zeit um 1800 messen kann: die Bücher von Brigitte Kronauer und Sibylle Lewitscharoff, von Georg Klein und Martin Mosebach, von Rainald Goetz und W. G. Sebald, und die Arbeiten von Peter Handke sowieso. Gewiss, die Literatur ist heute nicht mehr die Herrin über das öffentliche Reden und Denken, andere Medien sind neben sie getreten.

Aber es stimmt einfach nicht, es ist eine Lüge, wenn die Deutsche Sprachwelt behauptet, die deutsche Sprache verflache zusehends. Wer so etwas sagt, offenbart nur, dass er nichts liest, und das gilt auch für Politiker. Wie man umgekehrt erwarten müsste, dass in den vielen Anrufungen der deutschen Sprache, die gegenwärtig angestimmt werden, die lebenden Dichter vorkommen.

Im übrigen gilt: Für "Besprechungen", in denen man sich mit "bemerkenswerten Anliegen" "auseinanderzusetzen" hat, sollte man ruhig weiter "meeting" sagen.

© SZ vom 29.3.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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