Deutsche Schriftsteller im Ersten Weltkrieg:Tödlicher Modder

Erich Maria Remarque, 1968

Für Schriftsteller Erich Maria Remarque wurde Flandern zum lebenslangen Trauma.

(Foto: DPA)

Die Schriftsteller Ernst Jünger, Carl Zuckmayer und Erich Maria Remarque kämpften im Ersten Weltkrieg in den morastigen Gräben Flanderns - manchmal sogar gleichzeitig. Ihr Entsetzen schildern sie jedoch sehr unterschiedlich.

Von Hubert Wetzel

Aus seinen Schauplätzen setzt sich das Gesicht des Ersten Weltkrieges zusammen. Literatur und bildende Kunst trugen dazu bei, dass die Namen von Orten, Landschaften, Flüssen zu Chiffren der Erinnerung wurden. Wir beginnen unsere kleine Artikelfolge zur Topografie des Großen Krieges mit einem Blick auf Flandern.

Es war ein Gemetzel, und als es vorbei war, blieb den Generälen nichts übrig, als den Toten ein Heldenmäntelchen umzuhängen, um ihr eigenes Versagen zu verbergen. "Westlich Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesange ,Deutschland, Deutschland über alles' gegen die erste Linie der feindlichen Stellungen vor und nahmen sie", meldete die Oberste Heeresleitung in Berlin am 11. November 1914. Das war eine Lüge. In Wahrheit waren am Tag zuvor Tausende unerfahrene Rekruten ins Feuer französischer Maschinengewehre gehetzt worden, etwa 2000 von ihnen fielen. Vom Singen des Deutschlandlieds während dieses Massensterbens wird noch die Rede sein.

Langemarck ist ein Ort in Flandern, im Westen von Belgien, einer von vielen in dieser Gegend, deren Namen für das Grauen des Grabenkriegs stehen, wie sonst vielleicht nur Verdun und die Somme. Ypern, wo der Gaskrieg begann, liegt in Flandern, ebenso das Dorf Passchendaele, wo Regimenter aus allen Teilen des British Empire verbluteten. Vier Jahre lang gingen sich in Flandern Deutsche, Franzosen und Briten an die Gurgel. In jedem Kriegsjahr gab es eine große, sinnlose Schlacht, die Soldaten stürmten dabei immer über das gleiche blutgetränkte Terrain hinweg und eroberten nichts als Schlamm und Ruinen.

Vor allem aber war Flandern ein Kriegsschauplatz, der den künstlerischen Umgang mit dem Ersten Weltkrieg in Deutschland geprägt hat wie kaum ein anderer. Viele der Schriftsteller, die als Soldaten an der Westfront waren und danach etwas darüber geschrieben haben, das heute noch von Bedeutung ist, waren in Flandern eingesetzt, gelegentlich sogar gleichzeitig.

Unterschiedliche Niederschläge

Ludwig Renn, der damals noch Arnold Friedrich Vieth von Golßenau hieß, führte als Oberleutnant ein Infanterie-Bataillon in Flandern. Carl Zuckmayer diente dort als Leutnant bei der Artillerie, Erich Maria Remarque wurde als Rekrut in Flandern verwundet. Auch Ernst Jünger, Leutnant in einem Infanterieregiment, kämpfte dort. Ähnliches gilt für einige der bedeutendsten Maler jener Zeit: Max Beckmann diente als Sanitätshelfer bei Ypern, der Unteroffizier Otto Dix war Maschinengewehrschütze in Flandern.

Der Niederschlag, den die Erlebnisse an der Front in Belgien in ihren Werken fanden, war sehr unterschiedlich. Carl Zuckmayer zum Beispiel hat erst viel später über seine Jahre als Soldat im Ersten Weltkrieg berichtet, in seinen 1966 erschienenen Erinnerungen. "Ich habe kein Kriegsbuch geschrieben und keine Kriegsgeschichten erzählt", schrieb er darin. Das Erlebte auch nur sachlich zu schildern, sei ihm lange Zeit unmöglich gewesen. "Ich habe auch selten, fast nie, vom Krieg gesprochen, besonders nicht mit Leuten, die nicht dabei waren. Und mit den anderen genügte ein Stichwort - ,Somme 1916', ,Flandern Juli 17' - zur Verständigung, dann schwieg man lieber."

In den Erinnerungen erstmals abgedruckt ist ein wüstes Gedicht. Es heißt "1917", Zuckmayer hat es wohl im Sommer oder Herbst jenes Jahres während der besonders gewaltigen Dritten Flandernschlacht in einem Bunker an der Front geschrieben, "nach einem Erlebnis, das unerzählbar ist": "Ich habe sieben Tage nichts gegessen / Und einem Manne in die Stirn geknallt. / Mein Schienbein ist vom Läusebiss zerfressen. / Bald werd ich einundzwanzig Jahre alt", lautet die erste Strophe; und die letzte: "So nehm ich meinen Samen in die Hände: / Europas Zukunft, schwarzgekörnter Laich - / Ein Gott ersäuft im schlammigen Krötenteich!! / Und scheiße mein Vermächtnis an die Wände."

Anständig Krieg führen

Ganz anders klingt der Krieg in Flandern bei Ernst Jünger. Der Offizier des vornehmen Hannoverschen Füsilier-Regiments Nr. 73 stiefelte wie ein Herrenreiter, auf seiner Pfeife kauend, durch den Matsch an der Front. Gleich bei seiner Ankunft im Juli 1917 beschwerte er sich in seinem Kriegstagebuch über die flachen, nassen Schützengräben, die eher einer "Pißrinne" glichen.

Wie soll man da anständig Krieg führen? Das war eine Besonderheit der Front in Flandern: Da das Grundwasser dort sehr hoch steht, war es fast unmöglich, tiefe, trockene Gräben und Unterstände zu bauen. Statt dessen verkrochen die Soldaten sich in Betonhäuschen und hinter Sandsäcken. Der flandrische Schlamm machte Sturmangriffe zu einem mörderischen Gestolpere durch schmierige Granattrichter und ließ alle Offensiven stecken bleiben.

Verschwunden im Morast

Sich in dem Morast zu bewegen, war für die Soldaten selbst dann lebensgefährlich, wenn der Feind einmal nicht schoss: "Ab und zu verschwand einer bis über die Hüften im Schlamm und wäre ohne die helfend hingestreckten Gewehrkolben der Kameraden unfehlbar ertrunken", schreibt Jünger in den "Stahlgewittern". "Das unangenehmste bei diesem Lauf war die Aussicht, durch eine Verwundung unfehlbar zur Moorleiche verwandelt zu werden. Blutige Rinnsale aus einzelnen Trichtern verrieten, daß hier schon mancher verschwunden war." Dix hat diesen tödlichen Modder später gemalt. Auf seinen Bildern ist Flandern eine Schlammwüste voller Toter und irrer, vergammelter Soldaten.

Abgesehen vom Schlamm war die Dritte Flandernschlacht, die von Juli bis November 1917 tobte, für Jünger nur eine von vielen, an denen er teilnahm und die er in den "Stahlgewittern" beschrieben hat - Trommelfeuer, Sperrfeuer, Vernichtungsfeuer, Gas. Wann immer es ging, wurde gesoffen. Mitten im Chaos fand Jünger in einem Bunker seinen verletzten Bruder Friedrich und ließ ihn nach hinten tragen. Nach ein paar Tagen sammelte sich der Rest des Regiments. "Welche Verluste! Von zwei Bataillonen fast alle Offiziere und Mannschaften", schrieb Jünger. Nicht, dass ihn das besonders bekümmerte. Dann ging es nach Frankreich, in die nächste Schlacht.

Für Erich Maria Remarque hingegen wurde Flandern zum lebenslangen Trauma. Der Lehramtsstudent kam Ende Juni 1917 an die belgische Front und wurde bereits am 31. Juli verwundet. Den Rest des Kriegs verbrachte er in einem Lazarett in Deutschland. In seiner kurzen Frontzeit erlebte Remarque zwar nur einen kleinen Teil des Grauens, das Jünger oder Zuckmayer mitmachten. Aber auch er sah, wie Freunde verwundet wurden und starben. Die Erlebnisse an der Front und im Lazarett erschütterten den jungen Remarque tief.

Kein Heldentum

Zehn Jahre nach Kriegsende schrieb er seinen Roman "Im Westen nichts Neues", der an der Front in Flandern spielt, "zwischen Langemarck und Bixschoote", wie es an einer Stelle heißt. Heldentum findet man darin nicht. Der Krieg ist bei Remarque auf drei Tätigkeiten reduziert: Warten, Töten, Sterben, ohne Sinn oder gar Glanz. "Graben, Lazarett, Massengrab - mehr Möglichkeiten gibt es nicht." Auch durch Remarques spätere Romane und Erzählungen spuken noch die Geister Flanderns. Wenn er seine Figuren an den Krieg zurückdenken lässt, dann meist an Mohnwiesen bei Ypern; an Männer, die verwundet im Houthulster Wald liegen; an Kompanien, die am Kemmelberg zusammengeschossen werden. In seinen Büchern ist Erich Maria Remarque Flandern nie entkommen.

Im August 1918 begannen die Alliierten an der Westfront die "Hunderttageoffensive", in der sie die deutschen Linien durchbrachen. Im Herbst zog sich das deutsche Heer aus den besetzten Gebieten zurück. Eine der aus Belgien abrückenden Einheiten wurde von Arnold Friedrich Vieth von Golßenau kommandiert, einem sächsischen Adelssohn. Wie Remarque hat auch er später einen Roman geschrieben, "Krieg", den er 1928 unter dem Namen Ludwig Renn veröffentlichte.

Völkischer Mythos

Das letzte Kapitel beschreibt den Zusammenbruch der Front in Flandern: Die Soldaten wollten nicht mehr kämpfen, sie ließen ihre Waffen im Regen verrosten, jeder hoffte, bis zum Waffenstillstand am Leben zu bleiben. Geschlagen schleppten sich die deutschen Truppen heimwärts. "Wir marschierten immer als ständige Nachhut einen Tagesmarsch vor den uns folgenden Feinden. Vor den Häusern standen Zivilisten, sahen voll Hass nach uns und schimpften."

Auch mit jenem Angriff bei Langemarck hat sich Renn in der Weimarer Zeit literarisch beschäftigt. Der "Opfergang der deutschen Jugend" in Flandern war damals längst ein völkischer Mythos - für Renn freilich war er nur eine "verflucht blutige Lüge". Als erfahrener Soldat wusste er, wie absurd die Vorstellung war, junge Rekruten hätten im Mahlstrom eines Sturmangriffs, beim atemlosen Lauf über nasse Rübenäcker, zwischen Granaten und Maschinengewehrkugeln aus Vaterlandsliebe das Deutschlandlied angestimmt. Renn fiel nur ein sehr unpatriotischer Grund ein, in einer Schlacht laut zu singen: aus Todesangst, in dem verzweifelten, aussichtslosen Versuch, die eigene Artillerie zu warnen, die zu kurz schoss und die eigenen Leute erwischte, wie es bei Angriffen immer wieder vorkam.

So hat Ludwig Renn es aufgeschrieben; ob es so war, weiß niemand mehr: "Schuß auf Schuß setzte unsere Artillerie in unsere Schützenlinie. Von vorn zirpten die feindlichen Kugeln. Von hinten stampfte unsere Artillerie. ,Singt!', brüllt die Stimme. ,Singt Deutschland, Deutschland über alles!' Zwei, drei Stimmen sangen dünn. Dann wurden es mehr. Wir sangen doch um unser Leben! Aber unsere Artillerie hatte nichts davon gehört. Die schoß und schoß. Die Verwundeten wimmerten. Da und dort tauchte der Gesang wieder auf, immer hoffnungsloser: Deutschland, Deutschland über alles." Das Deutschlandlied - in Flandern wurde es zu einem dünnen Todesgesang.

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