Deutsche Rapper - schwarze Originale:Ein Ghettoboy für 50 Cent

Wenn ein amerikanischer Jugendlicher "50 Cent" sagt, meint er härtesten Hardcore-Rap. Wenn das ein deutscher tut, meint er vielleicht einen halben Euro. Deren HipHop-Welten sind tatächlich Welten voneinander entfernt.

DIRK PEITZ

Diese Vita lässt sich einfach nicht toppen. Vater unbekannt, Mutter ermordet, mit zwölf brav das verwaiste mütterliche Geschäft als freischaffender Crack-Dealer übernommen, der unvermeidliche Knast, die unvermeidliche Rapper-Werdung, und dann, zurück in der Freiheit mitten in New York City, der ganz große Stunt: ein "drive by shooting" überlebt, in dessen Verlauf der Körper des jungen Mannes mit neun Pistolenkugeln fein säuberlich perforiert wurde. Echter geht es gar nicht, das ist so verflucht real, dass es sich kein HipHop-Manager zu erfinden traute.

Deutsche Rapper - schwarze Originale: Schön, reich und sexy: Der Superrapper, der sein Debutalbum "Get Rich or Die Tryin'" innerhalb von nur vier Tagen 872.000 mal verkaufte, tauchte neben der luftig angezogenen Vivica Fox bei den diesjährigen MTV Video Music Awards in New York auf.

Schön, reich und sexy: Der Superrapper, der sein Debutalbum "Get Rich or Die Tryin'" innerhalb von nur vier Tagen 872.000 mal verkaufte, tauchte neben der luftig angezogenen Vivica Fox bei den diesjährigen MTV Video Music Awards in New York auf.

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Curtis Jackson, alias 50 Cent, ist die Menschwerdung der schlimmsten Rap-Klischees. Die handeln vom Atavismus des Ghettos und was er aus Menschen zu machen imstande ist - Gangster und Rap-Superstars, beides auf ihre Art ethisch gesäuberte Ballermaschinen im ewigen Überlebenskampf der Gosse, die nach der Genrekonvention bestenfalls in einer Person wie 50 Cent zusammenfallen. Mithilfe seines in der popmythischen Aufladung solcher Trash-Darwinismen umfassend vorgebildeten Mentors Eminem hat Curtis Jackson daraus die derzeit radikalste Variante der an radikalen Authentizitätsnachweisen eh schon reichen Kunstform HipHop destilliert: "dead man walking", so heißt Jacksons künstlerische Agenda. Zumindest müht sich der muskelgepanzerte, über und über tätowierte Fleischberg nach Kräften, seinen potenziellen HipHop-Märtyrertod durch stete Verweise auf das Schicksal von Biggie Smalls und Tupac Shakur, den berühmtesten Ermordeten des Rap-Business, als jederzeit möglich erscheinen zu lassen.

Seht mich an, solang es mich noch lebend anzuschauen gibt - so funktionieren auch 50 Cents Auftritte während seiner derzeitigen Deutschland-Tour. Im eigentlichen Sinne handelte es sich dabei nicht um Konzerte - sondern um einen 60-minütigen Schusswechsel mit Musikuntermalung. Der Sound von rauchenden Colts knallt ununterbrochen aus dem Sampler, dazwischen wummern die Bässe, und ein dreistimmiger Chor aus 50Cent und zwei Hilfsrappern vollführen eine obszöne Publikumsanschreiung zumeist minderjähriger Vorstadtkinder. Hypertropher HipHop-Hardcore: gewaltverherrlichend, sexistisch, von keinen moralischen Skrupeln getrübt.

Das Konzept zieht, 50 Cents aktuelles Album "Get Rich Or Die Tryin'" ist eines der schnellstverkauftesten der Popgeschichte. Interessanter aber als die Frage, warum das so ist - es handelt sich um den Erfolg einer schier unfassbaren, aber eben biografisch authentifizierten Ghetto-Story -, ist die nach der Exportierbarkeit solcher, derzeit den Fortgang des Genres in Amerika beherrschenden Erzählungen. Was fängt dessen deutsche Spielart mit einer Gestalt wie 50 Cent an, die von der Abbildung einer vorgeblichen mikrosoziologischen Realität handelt, die außerhalb amerikanischer Großstädte nicht existiert? Hierin zeigt sich das Grundparadox des deutschen HipHop, von dessen Beginn in den frühen neunziger Jahren an - das simple musikalische Konzept ließ sich vergleichsweise leicht adaptieren, auch wenn die Produktionsmoden nach wie vor von Amerika übernommen oder in abstraktere Popmusik überführt wurden, wie es etwa die Fantastischen Vier seit längerem vollführen, derzeit wieder auf ihrer "UnpluggedTour; die Eindeutschung des Ausdrucksmittels Sprechgesang brauchte etwas länger, die Probleme auf textlicher Ebene jedoch blieben bis heute. Was haben deutsche Rapper eigentlich zu erzählen?

Nicht viel im Allgemeinen - außer von den Vorzügen der eigenen Rap-Fähigkeiten zu berichten. Der Versuch der Lifestyle-Aneignung erscheint unfreiwillig komisch, wie sich exemplarisch im Vorprogramm von 50 Cent bei der deutschen HipHop-Crew Massive Töne beobachten lässt: Deren Texte machen sich an die Übersetzung des Freizeitverhaltens schwerer Ghetto-Jungs ins Deutsche - Mädchen, Partys und Autofahren ("Cruisen"). Doch statt mit dem BMW durch Compton geht es hier mit dem tiefergelegten Polo durch Sindelfingen. Musikalisch befinden sich die Massiven Töne derweil im mimetischen Nirgendwo, fast verzweifelt klingen ihre Referenzen an die Achtziger-Ikonen Public Enemy, deren Vordenker Chuck D. einst das Schlagwort vom HipHop als "CNN der Schwarzen" prägte. Eine auch in den USA allerdings längst haltlose Behauptung: Heute sendet der amerikanische HipHop inhaltlich außer im Ghettoklischee-Funk nurmehr auf Home-Shopping-Kanälen.

Trotz aller Unzulänglichkeiten aber war die HipHop-Adaption im Stile der Massiven Töne eine Weile äußerst erfolgreich in Deutschland. Das ist nun vorbei, die Charts sind seit etwa einem Jahr fast gänzlich frei von deutschsprachigem HipHop, die Leute greifen lieber wieder zum Original aus den USA. Mit einer Ausnahme: In dieser Woche ist die neue Platte der Beginner (das Hamburger Trio hat sich vom Präfix "Absolute" im Bandnamen getrennt) von Null auf Eins in die deutschen Albumcharts eingestiegen. Erstaunlich ist dies weniger in musikalischer Hinsicht - die Beginner waren seit jeher eine der wenigen deutschen HipHop-Formationen, die sich amerikanische Produktionsstandards anzueignen verstand; ihr neues Album "Blast Action Heroes" bestätigt diesen Ruf, aber gegen die wahrhaft avantgardistische Ästhetik etwa des aktuellen "Clones"-Albums des amerikanischen HipHop-Produzentenduos The Neptuns und dessen minimalistische Subbass-Orgien klingen die Beginner hausbacken.

Erstaunlich ist der Erfolg der Beginner dennoch, weil sich mit ihnen ein inhaltliches Konzept durchsetzt, das bisher als wenig massentauglich galt: sozialkritisch, explizit politisch, nur sparsam selbstreferenziell und dabei auf eine seltsam warmherzige Weise auch noch zutiefst familien- und heimatverbunden. "Blast Action Heroes" ist vielleicht der erste restlos gelungene Versuch im deutschen HipHop, sich vom amerikanischen Vorbild in Inhalt und Gestus zu lösen und dabei doch dessen musikalische Formensprache als zeitgenössisches Transportmittel zu nutzen. Die Beginner beantworten damit zugleich eine so hochmoralische wie für die Popmusik derzeit dringende Frage der Hamburger Band Blumfeld, die ebenfalls in dieser Woche mit ihrem neuen Album in die deutschen Top Ten eingestiegen ist: "Wem dienen eure Lieder?" Antwort: Der kunstvollen Beschreibung von Lebenswirklichkeit und Zeitgefühl. Genug Nachfrage dafür gibt es offensichtlich.

50 Cent: 20.9. Berlin, 21.9. München

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