Deutsche Popmusik 2014:Versuch's subtiler!

Böhse Onkelz kündigen Comeback-Auftritt an

Die Böhsen Onkelz haben ihr Comeback angekündigt.

(Foto: dpa)

Mit den Böhsen Onkelz ist eine berüchtigte und zugleich eine der wehleidigsten Bands der deutschen Popgeschichte zurück. Es stellt sich die Frage: Hat deutscher Pop denn jenseits solcher Sumpfgestalten überhaupt noch eine gesellschaftliche Relevanz? Eine Spurensuche.

Von Joachim Hentschel

Es tobt ein Kampf da draußen, so viel ist sicher. Wo genau, wer gegen wen oder was, das weiß man alles nicht. Aber die Lage muss sehr ernst sein, man sieht es in den Gesichtern, den finsteren, zerfurchten, ultra-schwarz-weiß gefilmten Fressen. Es donnert, als würde ein ganzer irokesenhaariger Trupp die Kriegstrommeln schlagen. Blitze machen Schocklicht, dann stiefeln die vier Männer herbei. Man sieht sie leicht von unten. Offenbar ist der Zuschauer selbst das Opfer.

"Wir sind wieder eins!", wufft einer der vier, und spätestens jetzt ist klar, dass dieses Video, das seit Freitagmorgen im Internet steht und wie der Trailer eines unglaublich schlechten Studenten-Horrorfilms aussieht, nur die Ankündigung für ein Konzert ist. Kein Krieg. Bloß Bierdosenrock aus Frankfurt, wenn auch mit ziemlich großer Dose.

Es geht um die Rückkehr der Böhsen Onkelz, einer der berüchtigtsten, zugleich wehleidigsten Bands der deutschen Popgeschichte. Von den tiefen Wurzeln in der Skinheadszene hatte die Gruppe sich zwar seit Mitte der Achtzigerjahre distanziert, die gewaltigen Erfolge verdankte sie trotzdem dem Märtyrerstatus und einer diffus-reaktionären Positionierung, besonders nach der deutschen Wiedervereinigung. Vor neun Jahren trennte sich die Band, jetzt hat sie mit Donner, Blitz und Stirnfurchen ein Comeback-Konzert auf dem Hockenheimring angekündigt, für kommenden Juni. Die rund 100 000 Tickets dürften kaum die Nachfrage decken, was weitere Auftritte befürchten lässt.

Nach Blut und Boden miefende Texte

Dabei will man ja gar nicht erst reinfallen auf die billige Art, mit der auch dieses immens lukrative Revival wieder als Provokation stilisiert wird. Ob die Böhsen Onkelz spielen oder nicht, das ist ihre Entscheidung, sie macht am Ende keinen Unterschied. Ihre Präsenz erinnert bloß besonders schmerzhaft daran, welche ekelerregenden Formen von Zeichenspiel und Dissidenz eben auch möglich sind im Rahmen dessen, was man schillernd und genreübergreifend Pop nennt.

Auf dem Papier nachweisen kann man ihnen eh nichts, ebenso wenig wie der Südtiroler Band Freiwild, die mit ihren nach Blut und Boden miefenden Texten gerade Gegenstand eines Indizierungsverfahrens der Bundesprüfstelle ist und in der Zwischenzeit sehr viele CDs und zünftige Hirschgeweih-T-Shirts verkauft. Die eigentliche, viel verheerendere Frage, die solche Geschichten stellen, ist eine ganz andere: Hat deutscher Pop denn jenseits dieser Sumpfgestalten - die eine große Boulevardzeitung gerade in einem perfiden Akt der Beweislastumkehr "Tabubands" genannt hat - gar keine gesellschaftliche Relevanz mehr?

Im Frühjahr 2014 erklärt die Hamburger Polizei die halbe Stadt über Nacht zur Gefahrenzone, bei Amazon in Bad Hersfeld wird um die Arbeitsbedingungen der Zukunft gerungen, es sind heiße Zeiten. In München läuft der NSU-Prozess, in Berlin der Regierungsantritt, monatlich sickern Ungeheuerlichkeiten über die internationale Geheimdienstpraxis durch. Gibt es denn gar keine Musik dazu? Kein Sprachrohr, keinen Soli-Hit, kein "Keine Macht für Niemand" für die ausgeflippten Frühstücksradios? Nur den "Leb dein Leben"-Singsang der Stand-up-Poetin Julia Engelmann, den sich jetzt alle auf die Schenkel tätowieren?

Alles rauscht durch

Ende Januar sehen die Album-Verkaufscharts jedenfalls so aus, wie die Befürworter einer Radio-Deutschquote es sich immer kribbelig erträumt haben. Peter Maffay, der rumänisch-bayerische Bruce Springsteen, hat das amerikanische Original von der Spitzenposition gedrängt. Allein in den Top Ten stehen acht einheimisch produzierte Platten, Deoroller-Schlager von Andrea Berg und Helene Fischer, Nasenpiercing-Rock von Jennifer Rostock, Hänger-Hip-Hop von Psaiko Dino. Ja, auch Heino ist noch dabei. Auf Platz 97. Alles rauscht durch.

Bis man ins Internet geht und das Video mit den zwei Cheerleader-Girls findet. Es beginnt im Block, in der typischen Berliner Plattenbausiedlung, dem sozialen Hallraum des deutschen Hip-Hop. Die Teenager tragen Hockeyschläger, kauen Kaugummi. Und während sie dann durch die Stadt laufen, lethargisch ein Büro verwüsten, Bier in den Wasserspender füllen, singt ein quengelnder Mädchenchor den Refrain, einen Gummitwist: "Alle haben 'nen Job, ich hab Langeweile, keiner hat mehr Bock auf Kiffen, Saufen, Feiern!" Es ist ein fantastisches, verblüffendes, vom Stil her an die globalisierte Favela-Crossover-Elektromusik angelehntes Stück: die Novelle vom verzweifelten letzten Sofahocker, dem Minijobs und ABM-Abendkurse alle verbliebenen Freunde geraubt haben.

In der Schule Ärger mit den Glatzen

"Jeder ist jetzt Zahnarzt, keiner ist mehr Gangster", klagt der Rapper Marteria, der den Song gemacht hat, "silbernes Besteck, goldener Retriever." "Kids", so heißt der Song, hat eine ironische Raffinesse, wie man sie deutschem Rap bisher kaum zugetraut hätte. Und läuft dann, eine Biegung weiter, im Gedanken aus, ob der traurige Tropf auf der Couch nicht der Einzige ist, der im Zweifel noch den Sturz des Systems einleiten kann, in dem die anderen sich längst ihre Bettchen gemacht haben.

"Wir stellen uns in Deutschland oft hin, als wäre da eine große Kuppel über unserem Land", sagt Marteria, der 31 ist und eigentlich Marten Laciny heißt, zu seinem Lied. "Allen um uns herum geht es beschissen, hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa, aber wir halten uns für die Coolsten. Alle haben einen Job, alles läuft, die anderen sind die kleinen Würstchen, die von uns gerettet werden müssen. Das geht völlig an der Realität vorbei, die ich hier sehe."

Marteria, Ex-Model, Ex-U17-Fußballnationalspieler, kommt aus Rostock-Lichtenhagen. Als im August 1992 dort das Asylbewerberheim brannte und die Leute applaudierten, saßen er und die Mutter vor Angst zitternd im Wohnzimmer, zwei Häuser weiter. In der Schule hatte er Ärger mit den Glatzen. Hip-Hopper galten automatisch als links, umso mehr hat er darunter gelitten, dass viele Musiker damals ums vermeintlich tiefbraune Rostock einen Bogen machten. Sie hätten den Zuspruch brauchen können, die gute Popkultur. Die Böhsen Onkelz kamen natürlich.

Die Texte des neuen Albums "Zum Glück in die Zukunft II" hat er auf diversen Bildungs- und Aktionsreisen in Chile, Nepal, Palästina geschrieben, und man merkt es diesen Stücken an, dem weiten Blick, dem gewandten Witz, dass er nicht nur dort war, um in der Wüste für hübsche Motorradfotos zu posieren. Eine Deutschstunde, die der Rapper an der Uni von Kampala in Uganda hielt, wurde von einem Tränengasangriff der Polizei unterbrochen, der demonstrierenden Studenten galt. Zum Stück "Bengalische Tiger", das er daraufhin als eine Art Fanal für die Straßenrebellion schrieb, bekam er Beschwerdepost von Fans, Polizisten, die sich diffamiert fühlten. Pop, der einen politischen, zeitläufigen Kern hat, erkennt man ja oft daran, dass er missverstanden werden kann. Dass er selten Tätowiersprüche liefert.

Theatergedonner und Kunstgeblitze

Die Hamburger Band Die Goldenen Zitronen hat dennoch vor kurzem ein solches Parolenstück veröffentlicht. "Echohäuser", ein kommunardischer Schlachtgesang über die mit im Zentrum der St.-Pauli-Aufstände stehenden, baufälligen Esso-Häuser, untypisch direkt, gemessen am sonst eher auf Irritation hin angelegten Werk der Band. Man habe lange über das Stück debattiert, sagt Sänger Thomas Sehl, der sich seit Punktagen Schorsch Kamerun nennt und heute neben der Musik auch Theater und Kunst macht. Und sich gut an die Zeit Anfang der Neunziger erinnert, als der Wendewahn und die Anschläge von Mölln und Rostock die deutsche Popszene hochgradig politisiert hatten.

"Mir ist damals ziemlich schnell aufgefallen, dass das nicht funktionieren kann", sagt Kamerun. "Wenn die politische Aussage Pop wird, eine temporäre Sexyness bekommt, heißt das ja zwangsläufig, dass sie auch aus der Mode kommen kann wie ein Turnschuh. Vielleicht ist es manchmal gar nicht so verkehrt, den Pop aus der Politik sogar absichtlich fernzuhalten. Ideale passen selten in diese Zeitfenster, über die Popkultur funktioniert."

Während seiner Gastprofessur an der Münchner Kunstakademie bekam Kamerun vor einigen Jahren diverse gesellschaftlich ambitionierte Arbeiten junger Studenten zu sehen. "Und ich stand daneben und dachte mir: Scheiße, das kenne ich doch alles schon! Der grelle Zugang funktioniert bei uns heute nicht mehr, weil er durchgesetzt ist, im Privatfernsehen, im Guerillamarketing. Die krasseste Kunst, die es heute gibt, landet sofort im Museum, nicht erst nach 50 oder 100 Jahren. Versuch's subtiler! Dann hör ich dir auch lieber zu."

Illusion von Authentizität

Und genau das ist das Ergebnis, zu dem man auch selbst kommt, wenn man sie alle nacheinander durchhört, die vielen großen deutschen Platten, die in diesen Wochen noch über die erste Quartalsrutsche der Musikbranche gesegelt kommen, Judith Holofernes, Ja, Panik, die Broilers und so weiter. Nein, da ist in der Tat nicht wirklich etwas dabei, das es von Statur und Gestus her mit dem Theatergedonner und Kunstgeblitze der Böhsen Onkelz aufnehmen könnte. Aber als Strategie erschiene das auch nicht sonderlich klug in einer Zeit wie heute, in der bei den politischen Bewegungen weltweit das physische Wir neu im Vordergrund steht. Die Versammlung, der aufständische Flashmob, weniger die pure Repräsentation.

Für Musik, die stellvertretend Meinungen produziert, besteht da kein Bedarf - eher für Stimmen, die aus den alten Formaten herausstechen, die eine Art der direkten Ansprache finden. Für, und da kommt man um den unbeliebten, missbrauchten Begriff nicht herum, die Illusion von Authentizität. Wie beim schwäbischen Hardcore-Punktrio Die Nerven, das mit dem neuen Album "Fun" ein großartiges Epos spätadoleszenter Unsouveränität geschaffen hat. Oder Desiree Klauekens, eine 28-jährige Kfz-Mechanikerin aus Duisburg, die ihre ersten Songs damals semi-anonym auf der Plattform MySpace veröffentlichte und in diesen Tagen "Wenn die Nacht den Tag verdeckt" herausbringt, eine außergewöhnliche Sammlung von Liebesliedern, die sich zwischen allen Klischees hindurchbewegt, sie manchmal zwar berührt, sich aber dennoch nie ins modische Nuscheln rettet. Dem Hörer also nichts von dem erspart, was im professionellen Schlager retouchiert wird. Wenn man so will: Herzschmerz-Schlachtrufe.

Es gibt noch ein anderes deutsches Popvideo, das vor kurzem im Netz für Heiterkeit und Verunsicherung sorgte. Ein unscharfer Handyfilm, man schaut in ein bürgerliches Wohnzimmer, sieht drei Kinder im Vorschulalter, die aufgebracht Karaoke singen, dazu umherhüpfen, am Schluss vor lauter Euphorie sogar eine Schlacht mit Sofakissen beginnen. Das Stück, das sie so ausgesprochen textsicher zusammen schmettern, heißt "Die Diktatur der Angepassten", im Sommer 2001 veröffentlicht von der Hamburger Band Blumfeld, damals ein absichtlich in die ironielastige Prä-9/11-Zeit hineinplatzierter Protestsong, eine Suada über die mörderischen Folgen des Kapitalismus und die blinde Bereitschaft, ohne Nachfragen mitzuspielen.

"In den Städten und den Dörfern leben sie und ihre Lügen, Lügen, Lügen, Lügen." Die Kinder singen es mit grenzenloser Begeisterung. Subtil ist das nicht. Aber vielleicht kann es ja so wieder was werden mit dem politischen Popsong.

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