Süddeutsche Zeitung

Deutsche Literaturpreise:Ist der Literaturbetrieb wirklich so sexistisch wie sein Ruf?

  • Die SZ hat sich die 50 wichtigsten Literatur-Auszeichnungen der vergangenen zehn Jahre angeschaut.
  • Das Ergebnis: Die meisten Preise werden nach wie vor an Männer vergeben.
  • In der Spitze dominieren aber Frauen: Daniela Strigl ist am häufigsten in Jurys vertreten, Sibylle Lewitscharoff und Terézia Mora haben am meisten Preise erhalten.

Von Felix Stephan

Wenn man sich die Demografie der fünfzig höchstdotierten Literaturpreise in Deutschland, Österreich und der Schweiz anschaut, die in den vergangenen zehn Jahren verliehen wurden, stellt man zunächst einmal fest, dass die Lage gar nicht so eindeutig ist. Das ist durchaus auch eine Nachricht. Zuletzt hatte es bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises 2017 einige Diskussionen über die Dominanz der Männer im Literaturbetrieb gegeben. Zwar gehen die meisten Preise nach wie vor an Männer und es ist auch wahr, dass sich der Literaturbetrieb als eine Ansammlung von fünfzigjährigen Herren namens Peter und Michael beschreiben lässt, die Auszeichnungen an andere fünfzigjährige Herren namens Peter und Michael vergeben.

In der Spitze aber dominieren Frauen: Mit Daniela Strigl ist nicht nur die fleißigste Jurorin eine Frau. Auch die erfolgreichsten Autoren sind weiblich: Den ersten Platz teilen sich Sibylle Lewitscharoff und, nachdem ihr am Dienstag der Georg-Büchner-Preis zuerkannt wurde, Terézia Mora. Auch insgesamt steigt der Frauenanteil kontinuierlich: In den Jahren 2015 und 2017 lag er bei fünfzig Prozent, in diesem Jahr liegt er nur knapp darunter. Obwohl der deutsche Literaturbetrieb also in dem Ruf steht, strukturell konservativ und maskulin zu sein, ist er zumindest in demografischer Hinsicht ausgeglichener als die meisten anderen gesellschaftlichen Bereiche.

Der typische deutschsprachige Literatur-Preisträger ist männlich, 50 Jahre alt und heißt Peter

Von der Öffentlichkeit werden die Literaturpreise in der Regel kaum wahrgenommen, für Autoren aber sind sie von einiger Bedeutung. Allein in Deutschland werden jedes Jahr deutlich mehr als eintausend Preise vergeben, außerdem Poetikprofessuren, Arbeits- und Aufenthaltsstipendien. Viele Romane wären ohne ein Stipendium, das es dem Autor oder der Autorin erlaubt, ein paar Monate ungestört an dem Manuskript zu arbeiten, nie entstanden. Und für viele Schriftsteller sind die Preise und Stipendien auch schlicht lebensnotwendig. Nicht zuletzt zeigen Literaturpreise den künstlerischen Rang eines Autors oder einer Autorin an, und der wiederum zieht sehr konkrete Konsequenzen nach sich: Einladungen zu Literaturfestivals in Tokio, New York oder Jaipur, Übersetzungen, Aufnahme in den Schulkanon. Negativ gewendet sichern sie die kulturelle Hegemonie eines bestimmten Milieus, positiv gewendet sorgen sie für Austausch: Ohne den Prix Goncourt etwa wären viele französische Romane nie nach Deutschland gekommen und ohne den Deutschen Buchpreis andersrum viele deutsche Romane nicht nach Frankreich.

Der häufigste Vorname unter Jurorinnen ist Ursula

Auch deshalb ist ein elementarer Bestandteil der Vergabepraxis das ständige Reflektieren der Vergabepraxis. Unentwegt werden die Kriterien kritisiert: Manche Juroren zeichnen bevorzugt Texte aus, die formal besonders anspruchsvoll sind. Andere verstehen den Publikumserfolg als Teil eines gelungenen Kunstwerkes. Und wieder andere blenden die externe Kriterien bei der Beurteilung eines Textes ganz aus, weshalb sie auch jene auszeichnen, die nicht nur gelungen, sondern auch erfolgreich sind. Gerade in Großbritannien und den USA werden Preise oft an Romane verliehen, die ohnehin schon in den Bestsellerlisten stehen, Romane von Richard Ford oder Ian McEwan. In Deutschland gehen die Preise tendenziell eher an Autoren, denen die Kritiker ein größeres Publikum wünschen würden, was unter anderem dazu führt, dass viel gelesene Autoren wie Daniel Kehlmann oder Ferdinand von Schirach nicht zu den am häufigsten ausgezeichneten gehören. Es gibt aber durchaus auch Schnittmengen: Arno Geiger zum Beispiel hat beides, ein großes Publikum und mehrere wichtige Auszeichnungen.

9,4 Millionen Euro beträgt die Summe aller Preisgelder. Der Buchhandel in Deutschland setzt pro Tag 25 Millionen Euro um.

Wir haben uns bei unserer Datenanalyse auf die fünfzig höchstdotierten Literaturpreise konzentriert, die an deutschsprachige Autoren vergeben werden; darunter die bekanntesten, wie der Georg-Büchner-Preis, der mit 50 000 Euro dotiert ist, oder der mit 25 000 Euro dotierte Ingeborg-Bachmann-Preis, der im Rahmen eines Wettbewerbs verliehen wird, der am Mittwoch in Klagenfurt startet. In der Liste finden sich aber auch "hidden champions", also hochdotierte Preise, die in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt sind, die auf die Autorenkarrieren ihrer Empfänger aber großen Einfluss haben können: der Joseph-Breitbach-Preis zum Beispiel, der mit 50 000 Euro dotiert ist, oder der mit 25 000 Euro dotierte Bremer Literaturpreis. Und auch wenn die Frauen zunehmend gerecht vertreten sind, ist eine Gruppe nach wie vor unterrepräsentiert, die fast ein Viertel der Bevölkerung ausmacht: Deutsche mit Migrationshintergrund. Wobei sich auch das gerade ändert: Die frisch gebackene Büchner-Preis-Trägerin Terézia Mora wurde in Ungarn geboren.

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Quelle:
SZ vom 04.07.2018/luch
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