Deutsche Literatur:Von Lust und Wahn und Schuld

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Gert Loschütz erzählt die Geschichte eines Verbrechens, das sich mit einem einzigen Satz verrät: Dass nämlich "ihre Liebe es war, die ihre Liebe zerstörte". Der Roman "Ein schönes Paar" ist hart und zart zugleich.

Von Insa Wilke

Alle Mühe hat man sich gegeben, dem neuen Roman von Gert Loschütz den sepiafarbenen Anstrich eines klassischen Liebesromans zu geben. "Ein schönes Paar" könnte einfach von dem Knacks erzählen, der Herta und Georg Karsts Liebe irgendwann zerspringen lässt, und von dem Sohn, den die Splitter dieser Liebe trafen, sodass er sich aufmachen muss, um den Anfang des Endes zu suchen, will er sich selbst retten.

Aber dies ist nicht die Geschichte einer Trennung. Es ist die Geschichte der Liebe und ihrer politischen Dimension. Und es ist die Geschichte eines Verbrechens, das sich mit einem einzigen Satz verrät: Dass nämlich "ihre Liebe es war, die ihre Liebe zerstörte". Zu diesem irrigen Ergebnis kommt Philipp, der Sohn, am Ende seiner Rekonstruktion. Seine Eltern, Herta, das Mädchen mit den hochfliegenden Träumen, und Georg, der Soldat, der Geborgenheit sucht, lernen sich kurz vor Kriegsausbruch kennen. Sie heiraten während des Krieges und leben später mit Philipp in der SBZ, nahe Potsdam, in der "Kanalstadt". Kurz nach dem Ungarn-Aufstand müssen sie nach einem fatalen Besuch Georgs im Westen fliehen und landen in der "Schieferstadt" in Nord-Hessen. Hier tappt Georg in eine banale Falle, und das Unglück nimmt seinen weiteren Verlauf.

Sacht ist die vermutlich autobiografische oder zumindest historisch reale Erfahrung ins Fiktive, fast Mythisch-allgemeine verschoben. Die halb-erfundenen Orte des Romans markieren das. Zart sind auch die Gesten, mit denen Gert Loschütz die Tiefe der Liebe in die Vorstellung tuscht: eine Berührung der Fingerkuppen, das unbeholfene Bemühen, den anderen davor zu behüten, die eigenen Irrwege erkennen zu müssen. Man könnte tatsächlich denken, dass es gerade diese Liebesdienste sind, die am Ende die große Liebe der beiden auf dem Gewissen haben, als ginge es hier um das schuldlos schuldig Werden, um tragische Innenwelten. Aber so ist es nicht. Es ist die Gesellschaft, die immer wieder einzubrechen versucht in die Liebe zweier Menschen, die souverän bleiben. Und es ist die Gesellschaft, die ihnen unterstellen und den Sohn glauben machen möchte, sie seien selbst schuld an ihrem Scheitern gewesen, die überhaupt die Kategorien "Scheitern" und "Schuld" aufruft.

Davon erzählt Gert Loschütz, der zuletzt "Auf der Birnbaumwiese" (2011) veröffentlichte, eine märchenhafte Geschichte für Kinder und Erwachsene, nicht direkt, aber im Atmosphärischen, durch feine, aber deutliche Hinweise wie den "eigentümlichen Glanz", den Philipp als "Widerschein einer harten, selbstgewissen Gerechtigkeit" auf den Gesichtern der Schieferstadt-Bewohner erkennt. Sie drängt sich nie in den Vordergrund, die "dunkle Gesellschaft", und ist doch anwesend in Bildern wie diesen: "Eine Reihe junger Tannen zog sich, ordentlich wie ein Trupp zum Appell angetretener Soldaten, über den Berg, und in einer Lücke zwischen den Bäumen, stand sie, Herta, in einem rot glänzenden Kleid". So beschreibt der Erzähler Philipp eine Szene während der Beerdigung seines Vaters. Sie steht ganz am Anfang des Romans, man hat sich da aber bereits über die übertriebene Häufung militärischer Metaphern gewundert, die klarmachen: Herta und Georg sind in der Schusslinie, sie stören.

Mal überraschende Haken schlagend, mal zielstrebig führt Loschütz uns immer im Kreis um die drängende Frage herum, was hier geschehen ist. Dabei geht es weniger um das Rätsel der Trennung, als um den Triumph der Liebenden, die ihre Liebe den Umständen entzogen haben. Das alles ist nicht psychologisch erzählt, auch nicht als Gesellschaftsroman. Loschütz bewegt sich eher in den Traditionen des Nouveau Roman: Die Möglichkeiten der Literatur verbinden sich mit den Möglichkeiten der Liebenden. Die Kausalität wird weggewischt, das Logische unterlaufen, und der Handlungsraum erweitert sich ungeahnt.

Widersprüchlich wirkt dieses Erzählen, ein bisschen altmodisch, sepiafarben eben, aber doch auch seiner Zeit voraus im souveränen Umgang mit diesem eigentlich hochpolitischen Showdown zwischen kollektivem Zwang und individuellem Sehnen. Während sich mancher im Moment klare Verhältnisse wünscht und im Harmlosen erholen will, geht Gert Loschütz mit seinem Roman "Ein schönes Paar" einen anderen Weg. Er führt ins Wahrhaftige jenseits der Schlagzeilen und jenseits der Müdigkeit, oder, wie es im Roman heißt: Er führt in ein Erzählen, das die auf keinem Film überlieferten Bilder bewahrt, bedingungslos hart und unfassbar zart.

© SZ vom 28.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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