Süddeutsche Zeitung

Deutsche Literatur:Ein Blech voll Baklava

Pierre Jarawan ist mit seiner Familie aus dem Libanon nach Deutschland geflohen und wurde ein Star der Poetry-Slam-Szene. Jetzt hat er seinen Debütroman geschrieben: Den Stil, den er darin sucht, hat er noch nicht gefunden.

Von Hannes Vollmuth

Die Vatersuche gehört zu den Ur-Motiven der Literaturgeschichte. Ödipus suchte nach seinem Vater. Parzival suchte nach seinem Vater. Auch bei Jonathan Franzen wurde im jüngsten Roman nach dem Vater gesucht. Vatersuche, da läuten gleich die Traditionsglocken. Dementsprechend ist auch der Vatersuche- und Debütroman "Am Ende bleiben die Zedern" nicht gerade niedrig eingehängt. Wäre er bloß nicht so rührselig geraten.

Samir heißt der Held und Ich-Erzähler in Pierre Jarawans Debütroman, ein zu Beginn der Handlung siebenjähriger Junge, dessen Denken fast ausschließlich um den Vater kreist. Der Vater auf dem Dachfirst, die Satellitenschüssel in der Hand, auf der Straße die Menschen des Viertels, die ihm zujubeln. Der Vater beim Erzählen von Geschichten, vor allem aus Libanon, aus dem die Familie 1982 nach Deutschland geflohen ist. Der Vater als Mittelpunkt jeder Menschenmenge, "als sei er den Seiten eines Schelmenromans entstiegen". Bis der Vater eines Tages verschwindet und Samirs Welt ins Schlingern gerät.

Pierre Jarawan ist literarisch groß geworden in der deutschen Poetry-Slam-Szene. Poetry Slam - wer davon noch nie etwas gehört hat: protoliterarischer Hype der Nullerjahre, junge Menschen treten mit jungen Texten vor jungem Publikum für ein paar Minuten gegeneinander an. Jarawan wurde 2012 sogar Deutscher Poetry-Slam-Meister. Auf Youtube kann man sich anschauen, wie er beispielsweise von einer Morgenmuffel-Erfahrung in der Deutschen Bahn erzählt.

Der Sound des Poetry Slams wirkt in Buchform oft merkwürdig, er ist ja auch für ein hörendes, eingeweihtes Publikum, die Peers, gedacht. Ein guter Poetry Slammer muss überhaupt kein guter Autor sein, und umgekehrt. Gut also, dass dieser Roman so gar nichts von Poetry Slam hat. Wobei ein etwas locker-flockigerer Sound auch schön gewesen wäre.

Jarawan erzählt die verzweigte Familiengeschichte einer libanesischen Familie, die nach Deutschland geflohen, aber nach wie vor tief mit der Geschichte Libanons verbunden ist. Auf der einen Zeitebene schildert Samir, wie der Vater verschwindet, die Mutter stirbt, das Jugendamt die Schwester holen kommt und er selbst als stumpfsinniger Angestellter eines Copy-Shops endet. Auf der zweiten Zeitebene, die in Samirs Zwanzigern spielt und in einem atemlosen Präsens geschrieben ist, geht es um die Suche des Ich-Erzählers nach dem Vater in einem äußerst unübersichtlichen Libanon.

Ja, man kann diesen Roman auch spannend finden: Ein junger Mann sucht seinen Vater in den Wirren des Nahen Ostens, es gibt drögere Settings für einen deutschen Debütroman. Aber nicht nur Samir, der Held dieses Romans, ist auf der Suche. Auch Pierre Jarawan fahndet noch mit Hochdruck nach einem Stil.

Jarawan schildert seine Geschichte unter massivem Einsatz von Metaphern und Vergleichen. Und leider liebt er auch das Adjektiv. Man muss sich diese Prosa wie ein Blech voll Baklava vorstellen, das süße Gebäck aus dem Orient: überzuckert. Der Vater wird da beschrieben als "Kapitän, in dessen Kielwasser jeder gern mitfuhr". Einen Kindheitstag empfindet Samir als "Tag wie ein Sommerlied". Yasmin, eine Nebenfigur, hat "dunkelbraune Augen von bemerkenswerter Tiefe". Es regnet "bleierne Fäden" oder Samir empfindet "gleißende Sehnsucht". Ständig tanzen Staubkörner im Gegenlicht, und Stimmen sind "benetzt von einer wehmütigen Schwere". Die Baklava-Prosa ist das erste Problem dieses Romans.

Viel Krieg, Dramatik, Zedern, Zitrusfrüchte und orientalische Exotik

Das zweite Problem ist ein inhaltliches. Um die zugegebenermaßen komplizierte Geschichte Libanons in den Griff zu kriegen, hat Jarawan regelrechte Volkshochschul-Lektionen in seine Handlung gebaut. Es gibt viele solche Lektionen in diesem 445-Seiten-Buch. Die Geschichte Libanons ist ja eigentlich ein dankbarer Stoff: viel Krieg, Irrungen und Wirrungen, dramatische Umschläge, Zedern, Zitrusfrüchte, die Levante, orientalische Exotik, von der ja gerade der deutsche Leser nicht genug bekommen kann. Auffällig, wie viele Filmemacher in den vergangenen Jahren Libanon-Geschichten erzählt haben: "Waltz with Bashir" zum Beispiel, ein dokumentarischer Trickfilm, dessen Handlung direkt mit Jarawans Roman zusammenhängt; oder "Die Frau die singt - Incendies", ein kanadisches Drama, das aus den Ereignissen des libanesischen Bürgerkriegs einen Spielfilm bastelt.

Beide Filme sind munter, ohne überladen zu sein. Jarawans Roman dagegen ist mit Informationen gemästet, es gibt zu viele Passagen, die gut gemeinte Geschichtsstunden sind. Das ist keine Katastrophe für einen Debütroman. Aber es wirkt, als habe hier jemand seiner eigenen Geschichte nicht vertraut.

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SZ vom 16.03.2016
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