Deutsche Literatur:Der launische Gott

Dollar
(Foto: © NeONBRAND/Unsplash)

Ernst-Wilhelm Händlers neuer Finanzwelt-Roman hat einen ungewöhnlichen Erzähler: das Geld.

Von Christoph Bartmann

Einen Finanzweltroman zu schreiben ist das eine, aber das Geld selbst sprechen, ja es erzählen zu lassen, ist noch mal etwas ganz anderes. Ernst-Wilhelm Händler, der Romancier, Ökonom und Unternehmer, wird selbst am besten wissen, worauf er sich da eingelassen hat. "Das Geld spricht", so heißt sein jüngster Roman.

Aber wie hat man sich das vorzustellen? Als eines der "symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien" der Gesellschaft, wie Niklas Luhmann es nannte, ist das Geld der Inbegriff der Wandlungsfähigkeit. Nicht nur ist es, wie schon Rilke wusste, "in den Geschäften zuhause" und "verkleidet sich scheinbar in Seide, Nelken und Pelz". Auch das Geld selbst wandelt sich historisch, wird abstrakt, entmaterialisiert sich. Rilkes "kupfernen Zehner" hätte man sich heute wohl als Bitcoin vorzustellen. Es gibt wenig, was das Geld nicht kann, solange es Vertrauen gibt, aber kann es auch sprechen? Eben das kann man von Medien zuletzt erwarten. Ihr Status als Mittel lässt es nicht zu, dass sie auch Subjekte einer Artikulation sind. So ist es üblicherweise, aber bei Händler soll nun also das Geld Erzähler sein, Ich-Erzähler sogar. Ein Zitat aus Shakespeares "Macbeth" leitet den Roman ein: "... a tale told by an idiot, full of sound and fury, signifying nothing."

Mehr Gesellschaftsroman als im Geldroman ist gar nicht vorstellbar, aber hier geht es nicht um die ganze, breite Gesellschaft, die auch nicht weniger durchdrungen wäre vom Wirken des Geldes, sondern um "High Finance", in Frankfurt, New York und anderswo. "Der Schatten eines Flugzeugs gleitet über den in der Hitze flimmernden Asphalt und die blendend hellen Glasoberflächen der Hochhäuser. Der Gründer hebt beide Arme hoch und beugt sich vor". Ein Déjà-vu-Gefühl drängt sich auf: Sieht es hier nicht ein bisschen aus wie etwa in der TV-Serie "Bad Banks". Mag sein, aber erhebt das Geld neuerdings Anspruch auf Originalität?

Das Geld als Erzähler hat einen Hang zum Fachsimpeln, und wie auch nicht, auch zum Angeben und Bescheidwissen. "Die klassisch keynesianische Sicht, dass die Wirtschaft bei Leitzinsen um die Nullmarke in eine Deflationsspirale abgleitet, ist falsifiziert. Die klassische monetaristische Sicht, wonach Quantitative easing in dem stattfindenden Umfang zu hoher Inflation führt, ist ebenfalls falsifiziert." Das Geld kennt sich aus. Es nimmt nicht zu viel Rücksicht auf Leserinnen ohne MBA-Abschluss. Es kennt keine Ironie und baut seine Erzählung aus einer straffen, kühlen und selbstbewussten Sprache. Die Figuren der Erzählung sehen dem Geld ähnlich, oder das Geld ihnen.

"Finance" fängt eigentlich erst dort an, wo die Sicherheiten aufhören

Das Geld kann aber zum Glück auch eine Geschichte erzählen. Die Story, unterhaltsam, ja spannend und tatsächlich serienkompatibel (sieht man von den Monologen des Geld-Ichs ab), hat Folgendes als Ausgangslage: "Der Gründer hat eine halbe Milliarde Dollar aus seinem Börsengang in den USA übrig, die er nicht in seine Firma investieren will."Ein Banker, Abteilungsleiter "Private Wealth" bei einer Frankfurter Großbank, soll ihm helfen, dieses Geld zu parken. Er holt von drei Hedgefonds-Inhabern Angebote ein, wie es anzulegen sei: beim Nano-Mann, beim schweren Mann und bei Banana Clip. Alle Drei sind exzentrische Meister ihres Fachs, Finanz-Nerds reinster Sorte und zugleich Künstler, Virtuosen, Zauberer der Geldvermehrung. Kurz, die Figuren sind so gezeichnet, wie man sich, geschult durch die eine oder andere Finanzwelt-Soap, deren Protagonisten eben vorstellt.

Der Roman hat es freilich auch gar nicht auf ein realistisches Porträt der heutigen Finanzelite abgesehen. Eher ist es so: Das Geld sucht sich die Figuren, die ihm zur Vergegenständlichung seiner Ideen plausibel scheinen. Je weniger sie mit dem wahren Leben zu tun haben, umso besser für die Theorie. "Ich habe die Macht", spricht das Geld. Ich strukturiere: die Wahrnehmung, das Denken, das Gefühl. Ich wähle aus der Gesamtheit möglicher Weltbezüge. (...) Ich bin Kognition und Emotion."

Und habe mir als Schöpfergott natürlich auch diesen Roman untertan gemacht, in dem die Figuren Geld atmen, Geld denken und Geld fühlen. Könnte man diesen Befund auch auf den Filialvorstand einer mittleren Sparkasse ausdehnen? Nicht wirklich, denn "Finance" fängt eigentlich erst dort an, wo die Sicherheiten aufhören. Die Deutschen werden international als Banker sowieso nicht ernst genommen, weiß das Geld, denn sie kleben treudoof an Sicherheiten. Ihre vertrauensgestützte, risikoscheue Realwirtschaft spielt sich irgendwie unterhalb des Hedgefonds-Radars ab. Die in Händlers Roman abgebildete, durchgespielte, vielleicht auch kritisierte Geldwelt des "entfesselten Kapitalismus" fängt erst da an, wo Trader (um nicht "Händler" zu sagen) an vorgefundenen Realwerten hochspekulativ weiterdrehen. Erst in dieser Sphäre können sich Finanz- und Künstlergenie auf allerhöchster Ebene in die Augen schauen.

Justiz oder Liebe noch immer weithin unbeeinflusst vom Zugriff des Geldes

Händlers Romanthese geht offenbar dahin, dass von diesem Dach der Welt aus der Geist des Geldes in alle unterhalb gelegenen Lebens- und Wirklichkeitsbereiche einsickert und diese kontaminiert. "Ich bin die erfolgreichste Sprache, die es gibt", behauptet das Geld. Mag sein, aber die einzige Sprache ist es nicht. Folgt man Luhmann, dann gäbe es jedenfalls noch die Macht, die Liebe, die Wahrheit und weitere Kommunikationsmedien. Wenn das Geld, ihm selbst zufolge, "Kognition und Emotion" ist, dann könnte man glauben, es habe sich alle übrigen Medien erfolgreich einverleibt. Das ist ein oft gehörter Verdacht, tatsächlich aber funktionieren Medien wie etwa Justiz oder Liebe noch immer weithin unbeeinflusst vom Zugriff des Geldes. Die wachsende Bedeutung der spekulativen Finanzindustrie trägt allein noch nicht die Annahme, es habe sich in den gegenwärtigen Gesellschaften der Totalitätsanspruch des Kapitals gegen andere Medien vollständig durchgesetzt. Eine solche Annahme wäre übrigens in einem Roman auch schwer darstellbar (von ihrer Begründung ganz abgesehen).

Der Gelderzähler in Händlers Roman neigt wohl auch deshalb zum Essayismus. Die sichtbare Welt, in der sich gemeinhin die erzählbaren Dinge zutragen, behandelt er routiniert, und auch ein bisschen gelangweilt. Was soll sich auf oder hinter dieser Oberfläche auch groß zutragen, was nicht "Derivat" von höheren Orts waltenden Mächten wäre? Deutlich mehr beschäftigt das Geld seine eigene Meinung. Man hat fast den Eindruck, es hätte ihm lange niemand mehr zugehört. Seine Meinungen sind immer interessant, aber wir können nicht beurteilen, ob sie neu sind, oder ob sie nicht vielleicht sogar "falsifiziert" werden können. Gut für uns und den Roman, dass kein Erzähler an seinen Meinungen zu messen ist. Idealerweise hat er nämlich keine, und schon gar keine eigenen.

Ernst-Wilhelm Händler: Das Geld spricht. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019. 398 Seiten, 22 Euro.

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