Deutsche Intellektuelle auf Reisen:Sie fliegen First Class

Was ist mit Lessing, und wer, bitte, schenkt Champagner nach? Die denkwürdige Begegnung arabischer und deutscher Schriftsteller in Dubai.

Ijoma Mangold

Deutsche Intellektuelle und Schriftsteller fliegen selten Business Class. Und das trotz oft erheblicher Reiseaktivitäten. Meistens sind die Organisatoren des weltweiten Gedankenflusses (zum Beispiel das Goethe-Institut) der Meinung, dass sich der Geist ohne größere Verluste auch in der Economy Class verfrachten lasse. Gewinn und Verlust sind in diesem Bereich ohnehin schwer zu beziffern.

Diesmal aber Business. Da zuckt der kritische Geist erst einmal zusammen: Soll mich dieser Luxus etwa korrumpieren? Der kritische Geist grübelt, während er die Stewardess bittet, vom Champagner nachzuschenken.

Der Scheich von Dubai, Mohammed Bin Rashid Al Maktoum, hat eingeladen. Genauer: die von ihm gegründete Mohammed Bin Rashid Al Maktoum Foundation, die vor einem Jahr mit dem entschlossenen Stiftungskapital von zehn Milliarden US-Dollar an den Start ging, den Graben zwischen der islamischen und der westlichen Welt zu überbrücken. Es sind goldene Brücken, die der Scheich in diesem Fall baut - und etwa zwanzig deutsche und zwanzig arabische Schriftsteller und Gelehrte überqueren sie mit Staunen: Volker Braun und Hans Magnus Enzensberger, Gerhard Falkner und Daniela Dahn, Adolf Muschg und Adonis - und viele mehr.

Was immer man von Dubai vorher gehört hat: die krasseste Vorstellungskraft wird von der Wirklichkeit kaltblütig überboten. Man staunt - um diesen primitiven, die Sache aber eben doch treffenden Kalauer zu entsichern - Bauklötze, wenn man sieht, welche aberwitzig babylonischen Hochhäuser sich mitten in der Wüste rechts und links der vierzehnspurigen und trotzdem immer verstauten Autobahn in den Himmel recken. Zwei Dinge sind es dabei, an denen sich die Gäste aus Deutschland erst einmal abarbeiten müssen: Das Geld und die Künstlichkeit. Als deutscher Kulturbürger misstraut man einfach Dingen, die erstens ganz neu sind und sich zweitens dem Einsatz großer Summen Geldes verdanken.

Das Madinat Jumeirah ist eine beispiellose Hotelanlage, direkt am Golf gelegen. Das Luxushotel verteilt sich auf zwei gewaltige Hauptgebäude mit riesigem Basar (das bedeutet in diesem Fall: eine Luxusmarke neben der anderen) und einer Vielzahl über das wie eine Oase gestaltete Areal verteilter, kleinerer Gästehäuser. Alles das in einem postmodern-orientalischen Stil, den der deutsche Normal-Ästhetiker am ersten Tag mit "Puh, ist das alles artifiziell" kommentiert, am zweiten mit: "Irgendwie ganz schön lustig" und am dritten Tag, während der Mond in der lauen Wüstennacht durch die Palmen sein milchiges Licht ergießt, mit: "Eigentlich richtig schöne, seelenvolle Architektur. Doch, ich bekenne mich dazu: Ich mag das."

Das ganze Madinat Jumeirah ist dabei ein kleines Venedig, denn die weitläufig verteilten Gästevillen sind durch unzählige Kanäle verbunden. Möchte man vom Spa zum Basar oder vom Swimmingpool zum Thai-Restaurant, winkt man eine die märchenhaft im Wasser schaukelnden Barken heran und wird mit leise surrendem Elektromotor durch die Wasserlandschaft chauffiert.

Natürlich ist das alles ziemlich schrill. Und nur mit massivem Personaleinsatz realisierbar, der wiederum nur aufgrund des hohen Wohlstandsgefälles der Weltökonomie möglich ist. Anschaulich ausgedrückt: Meistens bedienen vier Inder eine Russin. Oder eben auch mal: einen deutschen Autor. Michael Roes, Schriftsteller und Ethnologe mit großem Interesse für die arabische Welt, schaut zum Beispiel über den Swimmingpool hinweg zu dem 7-Sterne Hotel Burj Al Arab, das mit seinen 321 Metern wie ein riesiges Segel in die türkisenen Wellen des Arabischen Golfs sticht, und sagt mit einer gequälten Miene, die aussieht, als sei er selber unglücklich über den Satz, der gleich komme, könne ihn aber gleichwohl auch nicht einfach unterdrücken: "Ich sehne mich schon nach der Armut des Jemen, in den ich nächste Woche reise."

Aber natürlich soll dies keine Tourismus-Marketing-Reise sein, sondern ein deutsch-arabischer Kulturdialog. In den prachtvollen Konferenzräumen sitzen die Schriftsteller, arabische Schriftzeichen schmücken die Wände, und Araber mit weißen Gewändern und Deutsche sitzen, lauschen und melden sich zu Wort. Da gibt es dann zum Beispiel das Panel zu der Frage: "Wer hat Hegel (wirklich) missbraucht? Der Einfluss der veränderten weltpolitischen Lage auf die Kultur". Weil ja in diesen Tagen auch in Dubai jeder dritte Satz der Finanzkrise gilt, wird gerade gefragt, ob man Hegel für Fukuyamas Thesen vom Ende der Geschichte verantwortlich machen müsse (ohnehin ist Fukuyama der Welt beliebtester Buhmann: noch jeder, der noch nie auch nur eine Seite Fukuyama gelesen, aber von ihm gehört hat, hat schon sein Mütchen an ihm gekühlt). Jemand aus dem Publikum meint: "Wenn Hegel heute aus dem Grab stiege, ich glaube, er würde sich entschuldigen." Amüsiert werden die Köpfe geschüttelt. Dann sagt Volker Braun - ganz so, als säße er 1990 am Runden Tisch: "Also, der Hegel-Satz, wonach nichts Bestand habe, was nicht vernünftig sei, wurde ja schon im 19. Jahrhundert revolutionär beantwortet mit dem Satz, dass nicht alles, was vernünftig ist, wirklich ist." "Ach", lässt sich ein arabischer Gelehrter vernehmen, "wie wollen wir über Hegel reden, wo das Arabische nicht einmal das Wort ,Aufhebung' kennt, das bei Hegel allein drei unterschiedliche Bedeutungen hat." Und Hans Magnus Enzensberger möchte wissen: "Und was ist mit Lessing?"

Nun, über nichts lässt sich leichter spotten als über den Begriff des Kultur-Dialogs. Er klingt so sehr nach lauter Phrasen guten Willens. Nach Paartherapie: "Wir müssen lernen, einander besser zuzuhören." Dabei ist es ja wirklich nicht das Verkehrteste, wenn sich Paare untereinander besser zuhören. Und so ist es vielleicht auch mit dem Kultur-Dialog: Auch wenn er nach pädagogischer Weltumarmung klingt, kann er die Koexistenz von Nationen produktiv prägen. Bei jedem feierlichen Anlass meldet sich einer der Honoratioren zu Wort und verleiht seinem Wunsch Ausdruck, dass diese Tage dazu beitragen mögen, etwaige Vorurteile abzubauen. Das klingt abgedroschen. Aber vermutlich begann die deutsch-französische Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg nicht anders.

Natürlich kommt es bei solchen Begegnungen nicht zu neuen intellektuellen Einsichten oder grundstürzenden Erkenntnissen - im Sinne von: "Ach so, wenn das bei Hegel gar nicht steht, dann hat sich der Dschihad natürlich erübrigt." Und doch spürt man vor allem bei den arabischen Teilnehmern eine echte Beteiligung und Begeisterung, dass sie auf arabischem Boden so offen über die Freiheit des Individuums, die Rolle der Religion und die Aufgabe der Literatur sprechen können.

Und das alles vom Scheich persönlich finanziert. "Auf den Barken, die uns schippern", sagt ein klug und geschmeidig abwägender Adolf Muschg, "ist die Miniatur eines Narren eingelassen. Vielleicht ist ja der Narr die arabische Version des europäischen Intellektuellen." Und er erinnert daran, wie Kaiser Maximilian den Pinsel, der Dürer, der den Kaiser porträtierte, aus der Hand fiel, aufhob - und formuliert darauf den salomonischen Satz: "Auch wir hier sind versammelt im Namen eines Kaisers, der uns den Pinsel aufgehoben hat." In diesem Satz ist Ehrerbietung und Eigenständigkeit aufs Glücklichste verbunden.

Und da tritt er dann auch tatsächlich auf, umgeben von seinem Hofgefolge: der Scheich. Es wird fotografiert, und es werden Höflichkeiten ausgetauscht. Der Scheich wird auch dafür verehrt, dass er selber traditionelle arabische Gedichte schreibt. Das ist natürlich sehr schön. Michael Krüger, der Hanser-Verleger, schlägt dem Scheich vor, eine zweisprachige Anthologie arabischer Lyrik herauszubringen, die dann kostenlos in der First Class der Emirates Airlines ausliegen solle. Der Scheich findet das eine sehr gute Idee. Über seine Schulter hinweg zischelt er seiner Entourage etwas zu, und man kann sicher sein, dass schon bei der nächsten Dubai-Reise ein kleiner Gedicht-Band zur Hand sein wird. Vorausgesetzt natürlich, Sie fliegen First Class.

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