Süddeutsche Zeitung

Deutsche Gegenwartsliteratur:Dix, Herl, Krais & Co.

In seinem jüngsten Roman "Die Verbesserung unserer Träume" blickt der Autor Sebastian Guhr ins 28. Jahrhundert voraus - und bietet dort den aktuellen Selbst­optimierungs­programmen Paroli.

Von Moritz Müller-Schwefe

Vielleicht unterscheiden die Träume den Menschen auch in der Zukunft noch von der Maschine. Oder träumen Androiden tatsächlich von elektrischen Schafen, wie der amerikanische Autor Philip K. Dick im Titel des Romans fragte, der zur Vorlage für Ridley Scotts Film "Blade Runner" wurde? Falls nicht, könnten die seltsamen Hirngespinste eine der letzten Bastionen des Menschseins darstellen. Immerhin sind sie so irrational wie unberechenbar, irgendwie "fehlerhaft" - und kaum zu kontrollieren. Bisher jedenfalls.

Denn Facebook beispielsweise wird schon bald die Hirnsignale seiner Nutzerinnen und Nutzer lesen und in Text übertragen. Was also, wenn in Zukunft auch das menschliche Unterbewusstsein maschinell erfasst und beeinflusst werden kann? Was, wenn "störende" Träume dann problemlos durch "angenehme" virtuelle Realitäten ersetzt werden, wenn Träume der allgemeinen Selbstoptimierung, oder besser -rationalisierung, zum Opfer fallen?

In seinem im Wiener Luftschacht Verlag erschienenen Roman "Die Verbesserung unserer Träume" stellt sich Sebastian Guhr diesen Fragen. Seinen Text lässt der 1983 in Berlin geborene studierte Germanist und Philosoph, der bereits mehrere Romane in Independent Verlagen veröffentlicht hat, um die sogenannten Oneiropole kreisen. Die "Traumstadt" befindet sich auf dem Planeten Rheit, weit ab von der Erde. Im 28. Jahrhundert trennen die beiden Himmelskörper etwa siebzig Reisejahre. Von den ersten, etwa zwei Jahrhunderte zuvor von der Erde gekommenen Siedlern als ein Labor für die Entwicklung einer neuen, besseren Gesellschaftsform gedacht, hat sich die Oneiropole inzwischen in einen ziemlich trostlosen Ort verwandelt.

Das Leben der Stadtbewohner dreht sich nur noch um "Selbsterweiterung", eine radikale, von dem regierenden "Zentralpanel" verordnete Version der Selbstoptimierung, die Guhr erschreckend plastisch als mögliches Endstadium der heute schon allgegenwärtigen Rationalisierungsbemühungen entwirft. Leidenschaft, Liebe, Ideologie oder Glaube jedenfalls existieren auf Rheit nicht mehr. Gott ist nur noch die vergessene "Idee eines großen Beschützers".

Allein die ungewöhnlich häufig auftretenden heftigen Träume und insbesondere die "Störträume" heben das maschinengleiche Leben der Oneiropoliten gelegentlich aus den Angeln. "Trotz aller gut gemeinten Versuche, eine gesunde Gesellschaft zu organisieren", heißt es an einer Stelle des Romans, "bricht manchmal etwas ein. Angst, schon allein wegen der Unberechenbarkeit der Träume, ist immer möglich." Daran ändert auch die vom Zentralpanel empfohlene Droge "Kys" nichts, welche die Anfälligkeit für Träume mindern soll und praktischerweise so stark sedierend wirkt wie Aldous Huxleys "Soma" in "Brave New World".

Die Figuren, die Guhr durch dieses, sich mitunter frappierend nach 21. Jahrhundert und Erde anfühlende Romansetting manövriert, arbeiten alle daran, die Träume in den Griff zu kriegen. Die Politikerin Herl beispielsweise setzt sich im Zentralpanel für die permanente Überwachung der Träume ein, um ihnen durch "Transparenz" ihr Störpotenzial zu nehmen. Der Forscher Dix hingegen arbeitet mithilfe des, an der Selbsterweiterung wenig interessierten Gelegenheitsingenieurs Krais an einer Maschine, die Störträume bannen und in nutzbare Energie umwandeln soll. Gerade der melancholische Wissenschaftler, doch auch die anderen, nicht immer sympathischen, immer aber liebevoll gezeichneten Figuren nehmen die Lesenden schnell für sich ein - und für ihre Bestrebungen. Was nicht unproblematisch ist.

Denn schon bald ertappt man sich bei dem Gedanken, ob die Kontrolle der Fantasiegebilde unter den auf Rheit gegebenen Umständen nicht tatsächlich sinnvoll ist. Guhr stößt seine Leserinnen und Leser in einen tückischen Zwiespalt. Hier die unter den Hirngespinsten des eigenen Unterbewusstseins leidenden Figuren, dort die drohende Totalkontrolle des Innersten, die Abschaffung des letzten Rests Irrationalität, gegen die sich in den Lesenden doch intuitiv alles sträuben muss. Im letzten und stärksten, dem gewagtesten Teil des Romans wird das Dilemma noch greifbarer. Hier schickt der Autor Dix, Herl, Krais und Co. auf einen aberwitzigen, mitreißenden Trip durch das eigene Unterbewusstsein - und unterstreicht damit nicht nur die zerstörerische, sondern auch die poetische Kraft der Träume.

Ähnlich wie in den hierzulande bisher kaum beachteten, so spektakulären wie klugen Romanen des Amerikaners Mark von Schlegell finden die Figuren Guhrs sich irgendwann in anderen, rätselhaften und scheinbar ausweglosen Dimensionen wieder. In denen verlieren sich nicht nur die Figuren, sondern auch schon mal die Lesenden. Zum Glück, denn die raffiniert entworfenen und mit starken, an Kubricks 2001 oder Nolans "Interstellar" erinnernden Bildern versehenen Zwischensphären entfalten einen immer stärkeren Sog. Und so setzt der Roman zum Ende hin immer nachdrücklicher das Anarchisch-Fantastische als Lebensenergie gegen die Kontrollinstanzen.

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SZ vom 22.01.2018
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