Frühjahrstagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung:Gegen das Gift der Drohungen

Frühjahrstagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung: Die Schriftstellerin Katja Petrowskaja riet in Dresden dazu, die Kriegstagebücher der Ukrainer zu lesen, das seien "die wahren großen Texte unserer Zeit".

Die Schriftstellerin Katja Petrowskaja riet in Dresden dazu, die Kriegstagebücher der Ukrainer zu lesen, das seien "die wahren großen Texte unserer Zeit".

(Foto: imago stock&people/Metodi Popow)

In Dresden folgen neun Schriftsteller dem Ruf der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und positionieren sich zum Ukrainekrieg.

Von Miryam Schellbach

Wo von Sprachlosigkeit die Rede ist, wird oft viel Interessantes gesagt. Als der Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss am Freitagabend im Hygiene-Museum an das Mikrofon trat und verkündete, Dresden sei für ihn zugleich die schönste und die schrecklichste Stadt des Universums, zitterten einigen Mitgliedern der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung aufgeregt die Mundwinkel. Die Stadt macht gerade einige schlechte Schlagzeilen. Parallel zur Frühjahrstagung der Akademie las der Dresdner Autor Uwe Tellkamp aus seinem jüngsten Roman. Das zu diesem Anlass ausverkaufte Buchhaus Loschwitz war in die Schlagzeilen geraten, weil die Betreiberin Susanne Dagen offen mit Pegida sympathisiert und die Nähe zum rechtsextremen Verlagsspektrum rund um den Antaios Verlag sucht.

Das ist selbst wieder ein Bild, wie es in einem Roman von Tellkamp stehen könnte: Jenseits der Elbe erzählt ein Dresdner Autor von den verborgenen Mächten der Medien, diesseits im Hygienemuseum kommen die Mitglieder der Darmstädter Akademie zusammen, um "Positionen über die Ukraine" auszutauschen, zwischen ihnen der berühmte Fluss und eine auseinanderdriftende Stadtgesellschaft.

Für Durs Grünbein wissen westliche Politiker nicht "wie ihnen geschieht, der Aggressor hat sie mit dem Gift seiner Drohungen gelähmt"

"Was wir denken, was wir fühlen, was wir hoffen" ist der Titel der Veranstaltung im Hygiene-Museum, und Lukas Bärfuss machte gleich klar, dass die Zeit der Hoffnung vorbei sei angesichts des längst tobenden Angriffskriegs. Zumal der vielleicht wichtigste Gast gar nicht erst gekommen war. Der in der Ukraine lebende Schriftsteller Juri Andruchowytsch habe kurzfristig wegen einer "kurzen" Reise nach Lemberg absagen müssen, "die kurzen Reisen aber sind heute lang geworden" zitierte ihn Akademie-Präsident Ernst Osterkamp.

Anwesend war dafür eine eindrucksvolle Reihe von neun Schriftstellern und Übersetzern: Neben Bärfuss tragen Marcel Beyer, Durs Grünbein, Iryna Herasimovich, Olga Martynova, Katja Petrowskaja, Michail Schischkin, Karl Schlögel und Ingo Schulze ihre "Positionen" vor. Sie waren spürbar unterschiedlich stark emotional involviert, manche lasen Literarisches, anderen gelang das nicht mehr.

Marcel Beyer erinnerte mit hochgerüsteter Metaphorik an den kürzlich veröffentlichten Brief von Alice Schwarzer und anderer "sogenannter Intellektueller", "eine Petition, die sich hervorragend in Putins Poesiealbum einfügen würde". Seinem Abgang von der Bühne ging ein "Es lebe die Ukraine" voran. Durs Grünbein, der sichtlich einig war mit Marcel Beyer, führte die politische Gegenwartslage auf eine Blindheit auch westlicher Politiker zurück, "sie wissen nicht, wie ihnen geschieht, der Aggressor hat sie mit dem Gift seiner Drohungen gelähmt, um ein selbstbestimmtes Handeln zu verhindern".

Die intellektuelle Überforderung derzeit erinnert Karl Schlögel an die frühen Dreißigerjahre

Auch Katja Petrowskaja fand, dass genug Argumente ausgetauscht wurden. Als sie 1999 aus Moskau nach Deutschland gekommen war, habe es hierzulande noch einen klaren Konsens über Krieg und Frieden gegeben, inzwischen sei diese Ordnung durcheinandergeraten. Doch, "alles was die deutsche Regierung nicht schafft, schafft die Bevölkerung". Petrowskaja, die sich seit drei Monaten um die Unterbringung von Geflüchteten und die Rettung von Kunstobjekten aus ukrainischen Museen kümmert, verweist auf Hilfsinitiativen und rät dazu, die Kriegstagebücher der Ukrainer zu lesen, denn das "sind die wahren großen Texte unserer Zeit".

Nur der Dresdner Schriftsteller Ingo Schulze unterspülte den einigen Reigen mit einer irritierend besinnlichen Note. In seinem Essay "Charkiw in Europa" erzählte Schulze von einer brenzligen Diskussionsveranstaltung 2015 in der zweitgrößten ukrainischen Stadt. Die Lyrikerin Elena Zaslavskaja, die sich offen für die "Volksrepublik Luhansk" und damit pro-russisch engagierte, wurde dort von Uniformierten des "Rechten Sektors", einer rechtsextremen ukrainischen Partei, bedroht. Der Verhaftung entkam sie nur durch das diplomatische Geschick des ukrainischen Schriftstellers Serhij Zhadan, der wiederum die Uniformierten demonstrativ per Handschlag begrüßte. Das man aber nur mit allen - von russischen Separatisten bis ukrainischen Ultrarechten - reden müsse, damit kein Krieg herrsche, das scheint heute doch ein etwas aus der Zeit gefallener Gedanke zu sein.

Der historische Vergleich zwischen Dresden und Mariupol hinkt. Doch mag es gerade in dieser Stadt eine Gewissheit sein, dass das bloße Zuschauen zu nichts Gutem führt. "Es brauchte einen Krieg, um ein Land, eine terra incognita, wieder auf unsere Landkarte zu bekommen", sagte der Historiker Karl Schlögel. "Die Selbstverständlichkeit des intakten Diskurses ist endlich in Frage gestellt". Warum aber bleibt die Ohnmacht, der Sprachverlust der westlichen Denker bestehen? Die intellektuelle Überforderung derzeit erinnerte Schlögel an die frühen Dreißigerjahre, die Vorkriegssituation, "in der die besten Köpfe im Inland und im Exil darum gerungen haben, zu verstehen, was auf sie zukommt".

Die Akademie für Sprache und Dichtung hat diesseits der Elbe ein dringliches Zeichen dafür gesetzt, dass dem Versuch des Verstehens nun ein Handeln folgen muss, auch wenn an diesem Abend offen blieb, wie dieses Handeln aussehen müsste.

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