Deutsch-Italienische Beziehungen:Diese Liebe ist noch lange nicht verloren

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Ach Italia! - Deutschland entliebe sich von dem Land, in dem die Zitronen blühn, hieß es in einem Beitrag der Süddeutschen Zeitung. Doch die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind weit besser als behauptet.

Antonio Puri Purini

Als Gustav Seibt am 13. Mai in der Süddeutschen Zeitung das neue deutsche Desinteresse an Italien als "Entliebung" kennzeichnete, erkannte er den Grund dafür vor allem in der italienischen Politik, aber auch in der Kultur: Weder im Film noch in der Literatur komme gegenwärtig Interessantes aus Italien. Der Artikel löste eine breite Diskussion aus. Der Autor dieses Beitrags ist Italiens Botschafter in Deutschland.

Nichts ist langweiliger als Debatten, in denen man alte Gemeinplätze über die Vorstellung ausgräbt, die Deutsche und Italiener voneinander haben, und in denen man in abstruser Haarspalterei den höheren oder geringeren Grad der Freundschaft zwischen beiden Ländern misst.

Veralteter Nationalismus

Ich halte solche Debatten für sinnlos und betrachte sie als Nachwirkung eines veralteten Nationalismus. Glücklicherweise sind sie unserer Jugend bereits fremd.

Gewiss gibt es noch einige Vorurteile. Wahrscheinlich werden sie immer existieren, genauso wie das Phänomen des Lokalpatriotismus innerhalb eines jeden Landes.

Aber sicherlich kann man die Intensität der deutsch-italienischen Beziehungen nicht an diesen marginalen und verbliebenen Aspekten messen. Um ihre wirkliche Reichweite zu verdeutlichen, lässt man besser die Fakten sprechen.

Historische Verflechtungen

Wenn wir eine plastische Darstellung der Tiefe der Verflechtungen zwischen beiden Ländern haben wollen, genügt schon ein Blick auf die schöne Landkarte Europas im Atrium des Deutschen Historischen Museums in Berlin. Durch Aufleuchten demonstriert sie anschaulich, wie zentral die Beziehungen zwischen Italien und Deutschland in der Jahrhunderte langen historisch-politischen Entwicklung unseres Kontinents waren.

Kommen wir zur Gegenwart. Die deutsch-italienischen Wirtschaftsbeziehungen sind von einer außerordentlichen Vitalität gekennzeichnet und haben ihren Schwerpunkt in einer Interdependenz des Handels und einer Komplementarität der Industrie.

Diese Vitalität zeigt sich ganz besonders deutlich vor allem in den süddeutschen Ländern, in die unsere Unternehmen mehr als nach ganz China exportieren: 2007 stieg der italienische Export nach Bayern um 6,2 Prozent, 2006 um 9,7 Prozent. Und es ist auch kein Zufall, dass die Hannover-Messe und die Mailänder Messe vor kurzem ein Abkommen mit dem Ziel geschlossen haben, ihre Präsenz auf dem chinesischen Messemarkt zu koordinieren.

Die Idee von Europa

Ich weiß, dass weitere deutsche Messen ähnliche Abkommen mit ihren italienischen Gegenparts anstreben. Diese Vereinbarungen bestätigen, dass unsere Unternehmen die ersten sind, die eine Idee von Europa mittragen, das nach innen kohärent und nach außen glaubwürdig auf handelspolitischer Ebene ist.

Aber da gibt es viel mehr als nur bloße Exportzahlen. Der Binnenmarkt und die Währungsunion haben strukturelle Veränderungen in der italienischen Handelspräsenz in Deutschland ausgelöst, nicht nur quantitativ (von 1995 bis heute hat sich die Mitarbeiterzahl italienischer Unternehmen in Deutschland verdreifacht und übersteigt inzwischen die 145.000), sondern auch qualitativ.

Die Integration zwischen der Assicurazioni Generali und der Aachener und Münchener Beteiligung sowie zwischen der Unicredit und der Hypovereinsbank belegen neben vielen weiteren Transaktionen der letzten Jahre zwischen mittleren und großen Unternehmen einen kulturellen Wandel in der Präsenz italienischer Unternehmen in Deutschland, die zunehmend im Rahmen einer Binnenmarktlogik operieren.

Italien - Lieblingsziel der deutschen Urlauber

Die Deutschen erleben eine Reise nach Italien als Begegnung, die ihre Seele wiederaufleben lässt. 2007 überholte Italien Spanien als Lieblingsziel der deutschen Urlauber. Gemessen an der Zahl der Aufenthalte haben die Deutschen den ersten Rang unter den Touristen in unserem Land: fast neun von insgesamt 46 Millionen.

Die italienische Kultur ist in Deutschland tief verwurzelt, dazu trägt auch die Verbreitung unserer Sprache bei, die fast dreihunderttausend Deutsche lernen.

Ich spüre diese Leidenschaft überall: in den großen ebenso wie den kleinen Städten; bei Privatleuten - wie könnte ich den Kommentar einer deutschen Persönlichkeit vergessen: "Wenn ich nicht mindestens zweimal im Jahr nach Italien fahre, geht es mir schlecht!" - wie auch bei den Institutionen.

Als Botschafter könnte ich mehr als die Hälfte meiner Zeit mit dem Besuch von Ausstellungen und Veranstaltungen verbringen, die der italienischen Kultur gewidmet sind. Im Land von Richard Wagner bleibt die italienische Oper sehr populär: Ich bin noch ergriffen von der Aufführung von Puccinis Manon Lescaut, die Riccardo Chailly an der Leipziger Oper kürzlich so meisterhaft dirigierte.

Lebendigkeit des italienischen Buches

Wer Beweise für die Lebendigkeit des italienischen Buches in Deutschland benötigt, braucht nur den Verleger Wagenbach zu fragen, warum er gerade "Le Vite" von Giorgio Vasari auf Deutsch veröffentlicht, oder seinen Kollegen Michael Krüger vom Hanser Verlag, woher seine Leidenschaft für die zeitgenössische italienische Literatur stammt, oder die Organisatoren der Stuttgarter Buchwochen, warum sie dieses Jahr Italien als Partnerland gewählt haben.

Die Zusammenarbeit zwischen Italien und Deutschland ist auch im akademischen Bereich sehr intensiv. Durch all meine Besuche an deutschen Universitäten, konnte ich feststellen, dass es Hunderte gemeinsamer Projekte gibt, an denen Hochschulen beider Länder beteiligt sind. Der größte Teil dieser Projekte betrifft die Spitzentechnologien.

Das Lied "Azzuro" auf dem Marienplatz

Der Einklang unserer beiden Länder folgt dem Zeitgeist. Anders kann ich die Begeisterung nicht erklären, die auf dem Marienplatz für den Sieg des FC Bayern München bei der deutschen Meisterschaft und einen ihrer wichtigsten Spieler ausbrach: Luca Toni. Dass bei dieser Gelegenheit mit dem Lied "Azzurro" von Celentano gefeiert wurde, ist ebenfalls Ausdruck der deutsch-italienischen Freundschaft.

Ich weiß, dass Italien in Deutschland auch Besorgnis erregt. Einige sehr kritische Aspekte der italienischen Realität - der Müllnotstand in Neapel, die Gewalt in den Stadien, die Mängel in der Infrastruktur, die organisierte Kriminalität, die öffentliche Verschuldung - beunruhigen die Deutschen. Sie haben nicht Unrecht, und natürlich verlange ich auch nicht, dass diese Aspekte der Aufmerksamkeit der deutschen Informationsorgane entgehen.

Es gibt auch Lücken in den sonst so soliden deutsch-italienischen Beziehungen. Diese müssen unverzüglich geschlossen werden.

Zwei Gewissheiten

Zum Beispiel ist in Deutschland eine ausgezeichnete Deutsch-Italienische Parlamentariergruppe im Bundestag tätig, zu der mehr als 50 Abgeordnete gehören. Von italienischer Seite wünsche ich mir mehr Engagement in dieser Richtung, denn in der vorangehenden Legislaturperiode wurde eine entsprechende parlamentarische Vereinigung nur verspätet und in kleinster Zusammensetzung eingerichtet.

Vor allem basiert meine Zuversicht auf zwei Gewissheiten in den Beziehungen zwischen Italien und Deutschland: die Stärke unserer Demokratien und die Verwurzelung des europäischen Ideals.

Seit Beginn des europäischen politischen Projekts haben Italien und Deutschland das Ziel eines geeinten Europas gemeinsam verfolgt und sich für seine Verwirklichung eingesetzt. Mit Entschlossenheit und Überzeugung stand Italien während des Halbjahrs der EU-Ratspräsidentschaft an Deutschlands Seite.

"Hier fühle ich mich zu Hause"

Bundeskanzlerin Merkel gehört zu den Persönlichkeiten, die in Italien am meisten geschätzt und respektiert werden. Es gibt keine anderen Länder in Europa, in denen das Engagement für den Integrationsprozess so stark unterstützt wird.

So war es in der Vergangenheit, und so wird es auch künftig nach dem baldigen Inkrafttreten des Reformvertrags sein. Auch die gemeinsame Beteiligung an friedenserhaltenden Missionen in Afghanistan, auf dem Balkan und im Libanon erweist sich als Instrument zur Vertiefung beidseitiger Übereinstimmungen in europäischem Sinne.

Wenn mich jemand fragt "Wie fühlen Sie sich in Deutschland?", ist meine Antwort, dass ich mich als italienischer Staatsbürger, der stolz darauf ist, Loyalität sowohl für sein Heimatland als auch für Europa zu empfinden, keineswegs als Ausländer in Deutschland betrachte: "Hier fühle ich mich zu Hause!"

© SZ vom 24.05.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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