Deutsch im Grundgesetz:Land der Dichter und Lenker

Und nun liebes Deutsch, wer soll dein Wächter sein? Oberlehrer, die mit Tintenpatronen schießen? Warum die deutsche Sprache die Verfassung nicht braucht.

Thomas Steinfeld

Es gibt viele Gründe, das Ansinnen der CDU, ein Bekenntnis zur deutschen Sprache ins Grundgesetz aufzunehmen, für einen schlechten Einfall zu halten.

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Die Verankerung der deutschen Sprache im Grundgesetz wäre ein Diktat der Schwäche.

(Foto: Foto: ddp)

Der erste ist die Verfassung selber: Denn sie ist ja dazu da, die rechtlichen Grundlagen, auf denen Staat und Gesellschaft ruhen, zu formulieren. Als Wunschliste taugt sie nicht, und die Präzedenz, die ein Satz "Die Sprache in der Bundesrepublik ist Deutsch" - der ja ein bloßes Begehren wäre - schaffen würde, ist nicht dazu angetan, den Respekt vor der Verfassung zu mehren. Umgekehrt wäre der deutschen Sprache gewiss nicht geholfen, sollte in der Folge die Verfassungsgerichtsbarkeit über die Einhaltung der Regel wachen. Und wie sollte das auch gehen? Mit Hilfe von Oberlehrern, die mit Tintenpatronen schießen?

Nutzlos

Woher die Aufregung, fragen nun die Befürworter des Ansinnens. Norbert Lammert und Wolfgang Bosbach, der eine Bundestagspräsident, der andere stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU, erklären, es gebe in der Europäischen Union siebzehn Länder, in denen die Landessprache ausdrücklich in der Verfassung genannt sei.

Das mag so sein, ist aber weder ein Argument dafür, dass die Erwähnung "schiere Selbstverständlichkeit" (Norbert Lammert) sei, noch dafür, dass dies nun auch mit der deutschen Sprache geschehen müsse. Denn welcher Nutzen entsteht für die französische Sprache dadurch, dass sie in der Verfassung erwähnt wird? Keiner. Es wird nur deutlich, dass sie den staatlichen Schutz braucht, damit sie ihre Geltung behalten kann - wodurch sich der entsprechende Passus in ein Dokument der Schwäche verwandelt.

Und wozu dient es, wenn die lettische Verfassung einen Paragraphen enthält, der den Abgeordneten des Parlamentes vorschreibt, die "lettische Sprache als einzige Amtssprache zu stärken"? Zur Regelung eines eher unfreundlichen Umgangs mit der russischen Minderheit.

Es bleibt das Argument, es handele sich bei der deutschen Sprache um das "höchste Kulturgut". Aber muss sie deswegen durch die Verfassung geschützt werden? Verglichen mit den anderen europäischen Kultursprachen hat das Deutsche eine einzigartige Entwicklung durchlaufen, die sich bis in späte neunzehnte Jahrhundert hinein nicht nur durch eine große Ferne zu aller Staatlichkeit, sondern sogar durch deren völlige Abwesenheit auszeichnete.

Wunder der Kulturgeschichte

Das Französische wurde im frühen siebzehnten Jahrhundert durch eine staatliche Instanz, nämlich die Academie française, normiert und hat sich seitdem nur noch wenig entwickelt. Das Englische verfügt seit dem Wörterbuch von Samuel Johnson aus dem Jahr 1755 über eine nicht nur lexikographische, sondern auch grammatische Richtschnur für den Umgang mit dieser Sprache - eng angelehnt an den Dialekt der Metropole.

Das Deutsche aber, die Sprache eines Landes ohne Hauptstadt, ohne politische Öffentlichkeit, zerfallen in Dutzende von kleinen und großen Staaten, an deren Höfen französisch gesprochen wurde, besaß nichts dergleichen.

Die Entstehung der deutschen Literatursprache, ohne viel Tradition oder historisches Formbewusstsein, gehört zu den Wundern der Kulturgeschichte. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten, zwischen 1770 und 1830, entwickelte sie sich aus kulturellen Interessen heraus, unter nur wenigen Schriftstellern und Gelehrten, durchlässig anderen Sprachen gegenüber, durchlässig aber auch in sich selbst, insofern sie sich immer wieder änderte und erst im späten neunzehnten Jahrhundert die Festigkeit gewann, die man für Schule und Amt braucht.

Johann Wolfgang Goethes "Werther", abgefasst in einem Deutsch, das keiner je gesprochen, keiner je geschrieben hatte, wurde zum Grundbuch dieser neuen Sprache. Die Hälfte des Wortschatzes soll sich damals neu gebildet haben. Und es waren diese Dichter und Gelehrten, mit denen, jenseits aller Staatlichkeit, die deutsche Sprache in ganz Europa und darüber hinaus zu etwas Interessantem wurde, das man lernte, um daran teilzuhaben: am Streit der Religionen, am philosophischen Idealismus, an der Säkularisierung der protestantischen Theologie in der Literatur, an den entstehenden Naturwissenschaften. Es ist diese Sprache, die wir noch heute, in glücklichen Momenten jedenfalls, benutzen.

Nähe zur Politik bekommt nicht gut

Umgekehrt ist es der deutschen Sprache nie gut bekommen, wenn sie in allzu große Nähe zur Politik rückte oder gerückt wurde. Das gilt für den Allgemeinen Deutschen Sprachverein, der sich im frühen "Dritten Reich" als "SA unserer Muttersprache" im Kampf gegen die "Verwelschung" des Wortschatzes empfahl, ebenso wie für die von den Kultusministern durchgesetzte Rechtschreibreform der Jahre von 1996 bis 2006, deren bleibendes Verdienst darin liegt, zwar nichts reformiert, aber so viel Verwirrung gestiftet zu haben, dass die Einheitlichkeit der Orthographie (oder -fie?) in der Praxis aufgehoben ist.

Welche Zuständigkeit aber reklamierte die Politik für die deutsche Sprache, wenn diese einst Gegenstand der Verfassung wäre? Und für welche deutsche Sprache? Für den Werkstattjargon der Wissenschaften, für das monströse Kauderwelsch der Betriebswirte, für das Verständigungsgeschwätz der Politiker? Für einen Dialekt aus dem Oberallgäu, für die Kunstsprache junger Einwanderer?

Wie aber, wenn mit der Aufnahme der Sprache in die Verfassung etwas ganz anderes gemeint wäre? "Sprache ist der Schlüssel für Integration in Deutschland schlechthin", sagt Wolfgang Bosbach. "Deswegen ist es auch schlicht falsch, wenn man sagt, das sei eine Ausgrenzung. Im Gegenteil, das ist eine Einladung, sich noch intensiver mit der deutschen Sprache und ihrer Bedeutung für das Zusammenleben der Menschen zu beschäftigen."

Ja, daran mag etwas Wahres sein, und doch wäre der bürokratische Akt, ein Bekenntnis zur deutschen Sprache in die Verfassung zu schreiben, ein ganz und gar ungeeignetes Mittel für diesen Zweck. Denn Amtssprache ist das Deutsche ohnehin.

Unfriedenstifter

Wem das nicht genügt, wer also wirklich, wie der saarländische Ministerpräsident Peter Müller, "ein klares Zeichen für die deutsche Sprache" setzen will, der müsste etwas anderes tun, als lauter bürokratischen Akten einen weiteren hinzuzufügen. Er müsste sich um die Attraktivität der Sprache bemühen, darum, was in ihr gesagt wird, und darum, wie es gesagt wird.

Die Wahrheit über die deutsche Sprache aber ist, dass viele Deutsche schon lange nicht mehr auf Deutsch sagen, geschweige denn schreiben können, was sie sagen oder schreiben wollen. Und das ist bei weitem nicht nur ein Phänomen von Unterschichten, sondern auch und gerade der Eliten: Was meint zum Beispiel Frank-Walter Steinmeier, der Außenminister, wenn er öffentlich behauptet: "Jenseits von aktuellen Einzelfällen kommen neue Fragestellungen und Spannungsfelder auf den Menschenrechtsschutz zu?" - will er tatsächlich von zukommenden Feldern und Stellungen reden?

Die Vertreter der Einwanderer aus der Türkei haben recht, wenn sie hinter der "fragwürdigen Bekenntnisrhetorik" eine Wiederkehr der nur scheinbar glücklich ausgestandenen Debatte um die Leitkultur ahnen. Denn ohne Reflexion auf die Sprache selbst, ohne den Willen, an ihr zu arbeiten und sie weiter zu entwickeln, als nur angeblich selbstverständliche formelle Selbstverpflichtung, hat dieses Bekenntnis eine Rückseite, eben doch die Abgrenzung.

Deswegen dient ein Bekenntnis zum Deutschen im Grundgesetz hauptsächlich dazu, Unfrieden zu stiften. Als ob es davon nicht schon genug gäbe.

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