Süddeutsche Zeitung

Deutsch-deutsche Geschichte:Kalter Krieg ums Nashornhaus

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"Wenn der eine einen Zwergesel kauft, dann kauft der andere einen Riesenesel": Jan Mohnhaupt erzählt von der Berliner Rivalität zwischen dem Zoo im Westen und dem Tierpark im Osten.

Von Katrin Blawat

Willy Brandt hatte verkrüppelte Klauen. Er konnte keine Beute greifen, sich nicht an einem Ast festkrallen und kaum schlucken. Der kränkelnde Weißkopfseeadler, benannt nach dem damaligen Regierenden Bürgermeister Berlins, war eine Blamage. Nicht nur für den Zoo in Westberlin, wo der Vogel Anfang der 1960er-Jahre vor sich hin vegetierte, sondern für die gesamte westliche Welt. Für den Kapitalismus. Denn den Adler hatte Robert Kennedy, der damalige US-Außenminister, mitten im Kalten Krieg als Gastgeschenk mit nach Berlin gebracht. Er hätte der SED keinen größeren Gefallen tun können. Genüsslich berichtete die Parteizeitung Neues Deutschland über den schwächelnden Willy Brandt "hinter Gittern", der "am liebsten tote Ratten frisst".

Dabei hatte der Westberliner Zoodirektor, Heinz-Georg Klös, für den schlimmsten Spott schon vorgesorgt und ein jüngeres, gesundes Double als Symbol westlicher Kraft und Stärke besorgt. Denn sein Zoo stand in erbitterter Konkurrenz zum Tierpark im Ostteil der Stadt. Der hatte 1955 eröffnet, als Prestigeobjekt des Sozialismus - und um die vielen Zoo-begeisterten Ostberliner von ihren Ausflügen in den West-Zoo abzubringen. Doch waren die beiden Tiergärten mehr als nur enorm beliebte Ziele für den Sonntagsausflug. West-Zoo und Ost-Tierpark wurden zu politischen Schauplätzen, zu Orten eines tierischen Wettrüstens, das ebenso unnachgiebig betrieben wurde wie das militärische. Die beiden Tiergärten dienten als Stellvertreter für den Kampf zweier Systeme: Mal schickten die Russen als Erste einen Menschen ins All, dann wieder wurden im Westberliner Zoo ein Menschenaffen- und Nashornhaus eingeweiht, während sich im Ostberliner Tierpark die Elefanten noch in einen alten Pferdestall quetschen mussten.

Nashornhaus und ein improvisiertes Elefantengehege als Bühne für die Weltpolitik? So ungewöhnlich diese Perspektive erscheint, so nachvollziehbar und unterhaltsam vermittelt sie der freie Journalist Jan Mohnhaupt in "Der Zoo der Anderen". Das Buch lässt den Sog spüren, den jeder Schritt des einen Zoodirektors auf den im anderen Teil der Stadt ausübte. Als Klös 1962 im Zoo die Tropenhalle mit scheinbar frei fliegenden Vögeln eröffnete - ein damals revolutionäres Gehege-Konzept -, blieb Tierpark-Direktor Dathe nur deshalb gelassen, weil er ein halbes Jahr später das größte und "modernste Tierhaus der Welt" eröffnen würde. Dieses Raubkatzenhaus sei "ein Meilenstein für den Sozialismus", hatte ein Banner beim Richtfest verkündet. Zur Eröffnung erschien auch Ostberlins Oberbürgermeister Friedrich Ebert. Ihm hatte Dathe Krokodile und andere Exoten zu verdanken, die dem Tierpark-Chef einige Zeit einen Vorsprung gegenüber dem Rivalen im Westen sicherten.

Doch auch dort war Verlass auf Hilfe aus der Politik. Klös wünschte sich einen der Pandabären, die China von Anfang der 1970er-Jahre an im Rahmen der sogenannten Panda-Diplomatie an ausgewählte Länder verschenkte. Bundeskanzler Helmut Schmidt gab sein Bestes - er hätte das Tier zur Not sogar mit der Luftwaffe einfliegen lassen - und im November 1980 landete das Pandaweibchen "Tjen Tjen" auf dem Flughafen Tempelhof. Als es nur vier Jahre später starb, kursierten Gerüchte, dahinter stecke der sowjetische Geheimdienst, der das Symbol der westdeutsch-chinesischen Freundschaft auslöschen wollte.

Die beiden Direktoren verstanden es, die Politik für ihre Leidenschaften zu nutzen

"Wenn der eine einen Zwergesel kauft, dann kauft der andere einen Riesenesel", hieß es über die beiden Berliner Direktoren. Klös selbst beschwerte sich einmal über seinen Rivalen, den er regelmäßig bei Tierhandelsfirmen traf: Wenn ich mit einem Lastwagen anreise, kommt Dathe mit einem ganzen Waggon."Beide Direktoren waren Tiersammler aus tiefstem Herzen, die die Politik für ihre Zwecke zu nutzen wussten. So ließ sich Dathe von der Stasi zwei Brillenbären schenken und ausgerechnet das Gehege des amerikanischen Schwarzbären bezahlen. Doch als er schriftlich bestätigen sollte, zu Hause kein Westfernsehen zu empfangen, verweigert er dies mit Verweis auf die Informationspflichten, die sein Beruf mit sich bringe - und kam damit durch.

In ihrer Haltung, unabhängig vom politischen System alles zu nehmen, was Tierpark oder Zoo zugute kam, ähnelten sich die Rivalen Dathe und Klös. Letzterer ließ in den 1980er-Jahren einen ausladenden, auf zwei großen Elefantenstatuen ruhenden Torbogen wieder aufbauen, den Bomben 1943 zerstört hatten. Für die Säulen brauchte er jedoch Elbsandstein, den es nur in der DDR gab. Also schloss der Westberliner Senat für die Elefantensäulen eigens einen Vertrag mit der DDR, eingefädelt vom damaligen Regierenden Bürgermeister Richard von Weizsäcker.

Jenseits der großen Namen im Zentrum des Geschehens schildert Mohnhaupt auch Nebenfiguren sehr lebendig, etwa den jungen, ebenso abenteuerlustigen wie geschäftstüchtigen Tierhändler Martin Stummer aus Bayern, der für die Zoologischen Gärten in Ost und West arbeitete. Er besorgte dem Leipziger Zoo zwei "kapitalistische" Bergtapire im Austausch gegen vier "kommunistische" Sibirische Tiger. Selbst haben zu wollen, was die anderen besitzen: Auch diesem zutiefst menschlichem Bedürfnis boten die Zoos des Kalten Krieges eine Bühne.

Jan Mohnhaupt: Der Zoo der Anderen. Als die Stasi ihr Herz für Brillenbären entdeckte & Helmut Schmidt mit Pandas nachrüstete. Hanser Verlag, München 2017. 304 S., 20 Euro. E-Book 15,99 Euro.

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SZ vom 02.03.2017
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