Möbelmesse in Mailand:Filigran, unkantig, reduziert

Möbelmesse in Mailand: Leise Fröhlichkeit: Die Leuchte "Easy Peasy" von Luca Nichetto für Lodes ist eine freundliche Skulptur.

Leise Fröhlichkeit: Die Leuchte "Easy Peasy" von Luca Nichetto für Lodes ist eine freundliche Skulptur.

(Foto: Lodes)

Mit einer Sonderausgabe des Salone del Mobile gibt die Design-Branche ein lange erwartetes Lebenszeichen.

Von Max Scharnigg

Auch wer nur gelegentlich Produktbeschreibungen liest, hat es wohl gemerkt: Die letzten Jahrzehnte haben dem Präfix "Design-" enorme Zuwächse beschert. Diese neue Zeigefreudigkeit bei der Gestaltung und der Siegeszug der visuellen Medien konnten den Salone del Mobile, der jeden Frühling in Mailand Möbelhersteller, Gestalter und Fachpresse vereint, von einer trockenen Versammlung der Stau- und Polstermöbel zu etwas wachsen lassen, das einer stadtweiten Party sehr viel näher kam als einer Messe. Der Salone, wie man so sagte, war in den letzten Jahren jedenfalls ein Event mit solcher Strahlkraft und Selbstwirksamkeit geworden, dass sich längst auch Menschen und Marken davon angezogen fühlten, die zum Kerngeschäft eigentlich gar nichts beizutragen hatten. Auto, Mode, Elektronik - egal, man wollte da sein, und schließlich war ja alles auch irgendwie Design.

Für die Hersteller sollte es auf stark verkleinertem Messegelände ein innovatives Ausstellungskonzept geben

Corona hat diese Pilgerreise zum heiligen Stil nun zweimal ausfallen lassen, und das war für Händler, Designer und Stadt ein herber Verlust- zumal die Möbel- und Accessoirebranche überwiegend gut bis sehr gut durch die Lockdown-Monate kam. Als alle zu Hause die Möbel rückten und nach Home-Office-Lösungen googelten, wären Impulse aus Mailand noch mal dringlicher geteilt worden. Aber wer die drangvolle Enge in den Hallen und an den zahllosen, kuratierten Ausstellungsorten in Mailand vor Augen hatte, zweifelte daran, ob derlei überhaupt irgendwann wieder postpandemisch machbar sein könnte.

Möbelmesse in Mailand: Beistelltisch "Tore" des deutschen Labels e15 setzte auf simple Archaik.

Beistelltisch "Tore" des deutschen Labels e15 setzte auf simple Archaik.

(Foto: E15/E15)

Um diesen Zweifeln ein Lebenszeichen entgegenzusetzen und die Mangelerscheinungen zu lindern, kündigten die Mailänder Verantwortlichen im Frühsommer eine Veranstaltung an, von deren Ausmaßen bis zum Beginn am vergangenen Sonntag niemand eine rechte Vorstellung hatte. Einen sogenannten "Supersalone" unter deutlich veränderten Vorzeichen: Für die Hersteller sollte es auf stark verkleinertem Messegelände ein innovatives Ausstellungskonzept geben, für die Einheimischen das Angebot, auch als Nicht-Fachbesucher schon von Beginn an dabei zu sein, und in der Stadt selbst sollte sich die internationale Flanierparty zumindest unter diversen Corona-Auflagen ein wenig einstellen. Die Gesichter dieses ungewöhnlichen Salone-Intermezzos sind der Architekt Stefano Boeri, der das Hallenkonzept entwarf, und die Designerin Maria Porro, die vor zwei Monaten überraschend zur neuen Präsidentin des Salone del Mobile gewählt worden war. Nach einer Reihe von ehrwürdigen Herren auf diesem Posten wirkt die erfrischend und unprätentiös auftretende Porro beinahe wie die beste Nachricht dieses Supersalone.

Denn was sich in den Messehallen abspielte, hatte wenig von der Opulenz vergangener Jahre, wo sich sonst die italienischen Marken im Bau riesenhafter Stiltempel aus Sofalandschaften und Marmortischen überboten hatten. Diesmal gab es keine derartigen Stände, die Hersteller bespielten lediglich schmale, offene Korridore mit Holzwänden, an denen sich die Betrachter vorbeischoben. Diese Seitenstreifen boten zwar Platz für aneinandergereihte Neuheiten, ließen aber kaum eine Inszenierung zu oder so etwas wie Wohnatmosphäre aufkommen. Demokratisch und puristisch gedacht hätte diese Anordnung wie eine Fastenkur nach den fetten Jahren wirken können, wie eine Besinnung auf das Wesentliche. Dafür war das Konzept aber vor Ort dann nicht abstrakt genug ausgeführt, es war sozusagen noch zu wenig Setzkasten.

Möbelmesse in Mailand: Maria Porro ist die erste Frau, die den Salone del Mobile leitet.

Maria Porro ist die erste Frau, die den Salone del Mobile leitet.

(Foto: Giovanni Gastel)

So streifte man die Markenwelten diesmal im wahrsten Sinne nur am Rande und spürte selten die Lust am Einrichten, aber oft die Mühe beim Präsentieren. Nur wenige konnten auch auf kleinem Raum zaubern, wie etwa Molteni&C, die mit einer Installation von Ron Gilad eine Flugzeugkabine andeuteten und damit die Wiederauflage eines Gio-Ponti-Sessels recht stimmungsvoll inszenierten. Wohl auch wegen der kurzen Vorlaufzeit hatten viele Hersteller solche Mühen aber gescheut. Auch das Fehlen des Teppichbodens, der einem sonst beim ersten Schritt auf die Messe klarmachte, dass man sozusagen im Wohnzimmer stand, trug zur unsinnlichen Stimmung bei. Die interessierten Einheimischen, die schon am ersten Tag mit Kinderwagen und baumelenden Kameras das Messegelände bevölkerten, konnten einem fast leidtun - denn ausgerechnet diese Volks-Ausgabe der Möbelmesse sah nun tatsächlich so nüchtern aus, wie das Wort klang.

Möbelmesse in Mailand: Der Loungechair der schwedischen Marke Blå Station verspricht jetzt Stabilität.

Der Loungechair der schwedischen Marke Blå Station verspricht jetzt Stabilität.

(Foto: Blå Station)

Dazu kommt, dass die Designer bei ihren neuen Entwürfen eher leise Töne anschlagen und die Zeit etwas abgeklungen scheint, in der Farben, raumgreifende Formen und Materialien ausgereizt wurden. Ein neuer Sessel von Stardesignerin Patricia Urquiola für den Hersteller Andreu World etwa präsentierte sich in nahezu therapeutischen Farbkombinationen aus Beige- und Erdtönen, ein neuer Bürostuhl von Arper wurde ausschließlich in falben Herbstfarben gezeigt. Sehr defensiv und heilsam wirken diese Möbel, ihre Botschaft: Ruhe, bitte. Auch matte Pastell- oder Weißtöne scheinen vielen Herstellern angesichts der aktuellen Weltlage angemessen. Polster sind dabei wieder gerne in Naturleinen oder ähnlichen Stoffen mit reformatorischem oder nachhaltigem Charakter bezogen, die Samt- und Plüschgewitter vergangener Jahre haben sich weitgehend verzogen - wirken wohl einfach nicht mehr hygienisch genug. Denn wenn der Rückzug ins Private keine feierliche Kür mehr ist, sondern Teil der Quarantäneverpflichtung, ist dort eben auch mal Demut und Kontemplation angesagt.

Statt reicher und patinierter Messingoberflächen sind vermehrt sterile Metalle zu sehen, etwa bei Luca Nichettos neuer Stehlampe "Croma" - einer ufogrünen Metallstele von klinischer Perfektion. Marmor ist weiterhin ein Thema, aber nicht mehr in den flamboyanten Varianten, dafür scheint der vergleichsweise reizarme Travertin wieder mehr Beachtung zu finden. Auch wenn die verminderte Zahl der Aussteller und gezeigten Neuigkeiten Trendbestimmungen diesmal noch weniger seriös zulässt als sonst - die Formensprache der Möbelentwürfe ist weiterhin rundlich, freundlich unkantig, gerne auch filigran. Dazu passt, dass der deutsche Designmatador Sebastian Herkner während der Messe den renommierten EDIDA-Award bekommen hat - Herkner ist ja nicht zuletzt ein Meister der weichen Ecke und geschmackvoller Unschärfen. In den wenigen gezeigten Räumen stehen Möbel heute im respektvollen Mindestabstand, dazwischen lenken Paravent-Lösungen den Aerosol-Verkehr. Oder es unterstreichen leichte Vorhänge den gesunden Luftfluss, wie auch bei der Installation des deutschen Teppichspezialisten Edelgrund im schönen Palazzo Litta: Teppichstreifen in zarten Farben, die von der Decke labyrinthisch hinabreichen und sich bei offenen Fenstern im Mailänder Wind wiegen, wie zum Beweis, dass fleißig gelüftet wird. Ach.

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