Süddeutsche Zeitung

Design:Folge der Form

Lesezeit: 3 min

In diesem Jahr wäre Ettore Sottsass, der seine Entwürfe als kritische Kommentare zur Gegenwart verstand, 100 Jahre alt geworden. Das Vitra-Design-Museum widmet ihm eine Ausstellung.

Von Laura Weißmüller

Sottsass' Lampen Tahiti und Cavalieri sind von 1981.

Seine Schreibmaschine (1969) ist Kult.

Der Tisch "Rocchettone" von 1965.

Couch "Califfo" von 1964.

Auf den ersten Blick wirkt Ettore Sottsass wie der Schöpfer einer Armee von drolligen, aber doch eher harmlosen Wesen. Auch seine Lampe "Tahiti", wohl eine der am meisten abgebildeten überhaupt, macht da keine Ausnahme. Sieht sie doch aus wie eine indische Laufente, die in ein Farbenfest geraten ist. Dem Werk des italienischen Designers deshalb das Etikett "niedlich" zu verpassen, wäre trotzdem ein Fehler. Und was für einer!

Denn der österreichisch-italienische Designer, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, könnte mit seinem Widerspruchsgeist gerade heute einer jungen Generation von Gestaltern als Vorbild dienen. Eigentlich ja unmöglich in einer Branche, die ständig neuen Trends hinterherhechelt. Technikfortschritt und Kundenwünsche wollen fortwährend in neue Formen gegossen werden. Wer hat da Zeit für den Blick zurück?

"Was nützt eine perfekt designte Tür, wenn dahinter einer lauert, der dich umbringen will?"

Wie sehr sich der lohnen kann, zeigt eine Ausstellung im Vitra-Design-Museum in Weil am Rhein. Es trifft sich gut, dass diese im Schaudepot stattfindet, dem letzten Neuzugang auf dem Vitra-Gelände. Das Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron hat dafür die Luxusversion eines Lagergebäudes entworfen, mit händisch gespaltenem Klinker ummantelt und einer gigantischen fensterlosen Haupthalle, in der in hohen Regalen etwa 450 Stücke der insgesamt 20 000 Objekte umfassenden Sammlung ausgestellt sind. Wodurch nun allerhand Elegantes und Erhabenes auf die Sottsass-Entwürfe herabblickt. Etwa die Bugholzmöbel von Thonet oder die Freischwinger von Mart Stam und Mies van der Rohe. Genau in diese hehre Designgeschichte aus Form und Funktion legte Sottsas die Zündschnur.

Anfangs arbeitete Sottsass, geboren 1917 in Innsbruck und wie sein Vater ausgebildeter Architekt, noch als klassischer Industriedesigner. Den Durchbruch brachten ihm seine Entwürfe für den italienischen Büromöbelhersteller Olivetti, allen voran seine feuerrote Reiseschreibmaschine "Valentine" aus dem Jahr 1969. Eine Art Porsche unter den Schreibmaschinen, mit derart flotten Kurven, dass die schwarzen Schnallen, mit denen man das Gerät in der Schutzhülle fixieren kann, wie Sicherheitsgurte wirken. Doch wer in die klaren Formen den Wunsch nach Schnelligkeit und Effizienz hineininterpretiert, vielleicht sogar nach Einsatzbereitschaft rund um die Uhr, täuscht sich. 1969 schrieb Sottsass im Magazin Abitare: "Das Objekt heißt Valentine und ist für alle Orte bestimmt außer fürs Büro, denn es soll uns nicht an eintönige Arbeitsstunden erinnern, vielmehr leistet es Hobbydichtern an ruhigen Sonntagen auf dem Land Gesellschaft oder steht als leuchtend farbiges Objekt auf einem Tisch in einer Atelierwohnung."

Schon dieser Produktbeschreibung merkt man an, wie Sottsass mit dem Angestelltendasein und seiner Arbeit für große Firmen gehadert haben muss. Die Zwangsjacke aus technischen Voraussetzungen und festem Budget wurde ihm schnell zu eng. Zu groß war sein Freiheitsdrang, zu stark sein Wunsch, wirklich Neues zu entwickeln. Und zwar unabhängig von dem, was die Industrie wollte. 1965 erklärte er in der Zeitschrift Domus: "Meine Möbel sind unwichtig und unbedeutend, die Idee wäre, neue Möglichkeiten, neue Formen, neue Symbole zu erfinden: Auf Dinge zu klettern, die kurz vorm Sterben sind, um zu sehen, ob es möglich wäre, eine andere Energie, ein anderes Leben, eine andere Dynamik ins Leben der Menschen zu bringen." Genau das macht Sottsass heute so aktuell: sein Wunsch, Produkten mehr abzuverlangen als eine vernünftige Funktion oder ein ansprechendes Äußeres. Ihm ging es um die Aussage, seine Entwürfe sah er als kritischen Kommentar zur Gegenwart. Zeitdiagnostik in Form und Gestalt.

Und in Laminat. Die Gestaltung von Oberflächen war Sottsass extrem wichtig, waren sie für ihn doch "Teil der Menschheitsgeschichte". Deswegen auch sein Griff zu laminierten Oberflächen. Was die von ihm mitbegründete Gruppe Memphis mit ihrem Auftritt auf der Möbelmesse in Mailand 1981 schlagartig weltweit bekannt machen sollte, deutete sich bei Sottsass schon Mitte der Sechzigerjahre an. Ein poppig buntes Laminatmuster wurde zu einer Art Sprechblase, mit Hilfe derer seine Möbel kommunizierten. Sottsass schuf sich seine eigene Medientheorie. Mit heute kaum vorstellbarem Erfolg. Über die Gruppe Memphis erschienen Hunderte von Artikeln. Ihre Schöpfer hatten mit Plastiklaminat und Farbkontrasten zu einer Revolution aufgerufen. Zum Bruch mit den Konventionen. Funktional war das nicht. Und mit Ästhetik hatte es auch nur bedingt etwas zu tun. Dafür mit dem Leben. Oder wie Ettore Sottsass 2002 meinte: "Was nützt dir eine perfekt entworfene Tür, wenn dahinter einer lauert, der dich umbringen will?"

Ettore Sottsass. Rebell und Poet , Vitra Schaudepot, Weil am Rhein. Bis zum 24. September.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3613155
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 03.08.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.